Wir sind Juden aus Breslau
Görlitz, 12. Oktober 2020. Dass Flüchtlinge und Fremde nicht willkommen sind, ist nichts Neues in der Menschheitsgeschichte. Das betrifft, blickt man auf Deutschland seit dem vergangenen Jahrhundert, Juden und andere Verfolgte, die vor den Nazis aus Deutschland fliehen mussten, es betrifft die vor der heranrückenden Sowjetarmee geflohenen Deutschen, es betrifft die Gastarbeiter, die nach Deutschland West oder Ost kamen, und jene, die sich auf den Weg nach Europa machen, um Krieg und Perspektivlosigkeit zu entrinnen.
Ein Film gegen Ausgrenzung
Thema: Jüdisch
Juden hatten und haben einen großartigen Anteil an der Entwicklung Deutschlands in Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft. Leben ist undenkbar ohne die Erinnerung an die Zeit, als es in Deutschland ausreichte, Jude zu sein, um verhaftet, deportiert und umgebracht zu werden, wenn man nicht rechtzeitig geflohen war.
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Aber es gibt zwar nicht widerspruchsfreie, doch aber positive Beispiele. Die böhmischen Exulanten oder die Hugenotten etwa, die wie die Exulanten in Böhmen ab 1620 von den Habsburgern wegen ihres evangelischen Glaubens in Frankreich vom Sonnenkönig im Jahr 1685 ihrer Rechte beraubt, weisen viele Parallelen mit den heutigen Migrantenströmen auf. Auch sie konnten nur mit Hilfe von Schleppern nach Deutschland gelangen und die anfängliche Begrüßungskultur schlug schnell um in Neid auf Hilfsgelder, Karriereförderung und Privilegien.
Dabei betrieb doch der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg nur kluge Migrationspolitik: Nach dem dreißigjährigen Krieg war in Brandenburg rund jedes dritte Dorf unbewohnt, in Berlin stand mehr als ein Viertel der Wohnungen leer. Das Potsdamer Edikt, mit dem Steuern und Zölle für jene Hugenotten, die ein Gewerbe gründeten, erlassen und den Hugenotten generell eigene Schulen und Kirchen zugesichert wurden, war die Basis für den Integrationserfolg, auch wenn die Hugenotten bis ins 20. Jahrhundert brauchten, bis sie sich mehr oder weniger als Deutsche fühlten.
Schon 15 Jahre nach dem Edikt, zu beginn des 18. Jahrhunderts, waren rund ein Viertel aller Berliner eingewanderte Franzosen und die Hugenotten machten ihrem Ruf, intelligent und fleißig zu sein, alle Ehre. Natürlich gab es unter den Deutschen auch damals welche, die glaubten, sich gegen die Fremden und ihre Sprache, die in gehobenen Kreisen noch dazu in Mode – en vogue – war, mit Worten oder Gewalt zur Wehr setzen zu müssen. Wer denkt heute noch daran, wenn von Adresse und Affäre, von Bagage und Bagatelle, Genie und Groteske, Vagabund, Zigarette oder Zivilisation die Rede ist?
Auch die Juden, die vor den Nazis und ihrem schließlich tödlichen Rassenwahn fliehen mussten, fanden nicht überall offene Arme. Erst vor einem knappen Jahr entschuldigte sich der kanadische Premierminister dafür, im Jahr 1939 wie zuvor Kuba und die USA die St. Louis, ein deutsches Schiff mit mehr als 900 jüdischen Flüchtlingen an Bord, abgewiesen zu haben. Das Schiff kehrte nach Deutschland zurück. 254 der Passagiere starben in deutschen Konzentrationslagern. Wann wird man je versteh'n?
Film dokumentiert Schicksale jüdischer Überlebender
Die Erlebnisgeneration stirbt aus. Umso wichtiger ist ein Film, der unter dem Titel "Wir sind Juden aus Breslau" 14 jüdische Schicksale dokumentiert und dabei die Brücke von der nationalsozialistischen Judenvernichtung, dem Holocaust, zur Gründung des Staates Israel schlägt. Und noch wichtiger ist der Film, weil der die Folgen von Abschottungspolitik gegenüber Migranten aufzeigt und sich so gegen nationalistische, fremdenfeindliche und rassistischen Tendenzen wendet.Die Protagonisten sind Esther Adler, Gerda Bikales, Anita Lasker-Wallfisch, Renate Lasker-Harpprecht, Walter Laqueur, Fritz Stern, Guenter Lewy, David Toren, Abraham Ascher, Wolfgang Nossen, Eli Heymann, Mordechai Rotenberg, Max Rosenberg und Pinchas Rosenberg. In den Dreißigerjahren waren sie jung, fühlten sich in Breslau, der Stadt mit der damals in Deutschland drittgrößten jüdischen Gemeinde in Deutschland, zu Hause. Als Hitler und seine Helfer an die Macht kommen wird aus dem geschürten Judenhass unter den Augen der Deutschen erst die Judenverfolgung und dann die "Endlösung", der systematische Mord . Manche flohen, manche gehören zu den wenigen, die die Lager überlebten. Wer entkam, baute sich im Ausland oder nach 1945 in Deutschland ein neues Leben auf, nicht wenige haben bei der Gründung und dem Aufbau Israels mitgewirkt.
Die Zeitzeugen, die im Mittelpunkt des Films stehen, erinnern an untergegangenes jüdisches Leben in Breslau und mit ihren späteren Erfahrungen geben sie das Portrait einer Generation Verfolgter. Für den Film nehmen einige sogar den Weg aus der großen Welt in die kleine Welt der früheren Heimat auf sich, reisen nach Breslau, das die Polen heute Wrocław nennen, wo sie einer deutsch-polnischen Jugendgruppe begegnen. In Zeiten des neu aufkeimenden Antisemitismus schlägt der Film eine Brücke aus der Vergangenheit in eine Zukunft, die jede mitzuverantworten hat.
Die Musik zum Film kommt von Bente Kahan, Simon Wallfisch, Patrick Grant und Carlo Altomare.
Prädikat: Unbedingt hingehen!
Freitag, 13. November 2020, 18 Uhr,
Filmpalast Görlitz, Jakobstraße 16, 02826 Görlitz.
Einführung und anschließendes Filmgespräch mit Annett Jagiela, Sprecherin des Kreisverbandes Görlitz von Bündnis90/Die Grünen. Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Schlesischen Museum zu Görlitz und dem Förderkreis Görlitzer Synagoge e.V.
FBW: Prädikat Wertvoll, FSK: ab zwölf Jahre, Länge 108 Minuten. Produktion und Eigenverleih des Films – für gute Filme findet man gewöhnlich keinen Verleiher – wurden von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert.
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- Quelle: red | Bilderquelle: Karin Kaper Film
- Erstellt am 12.10.2020 - 15:15Uhr | Zuletzt geändert am 12.10.2020 - 19:24Uhr
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