Kernenergie – von Bombe und Kraftwerk bis in die Medizin

Kernenergie – von Bombe und Kraftwerk bis in die MedizinGörlitz, 12. April 2021. Von Thomas Beier. Wenn man im Erzgebirge aufwächst, dann prägt das auf ganz eigene Art. Damit ist nicht die Volkstümelei gemeint, sondern etwa etwa die Volkskunst jenseits der der Großserienfertigung, der besondere Zauber der Weihnachtszeit und nicht zuletzt der Bergbau. Selbst bei Kulturveranstaltungen bleibt man hier gern unterirdisch, ob nun in den Zinnkammern in Pöhla, in der Kraftwerkskaverne in Markersbach, in der Steigerstube tief unter Schlema oder im Tunnel in Schwarzenberg.

Abb.: Ein Zeugnis des letzten großen "Bergkgeschreys" im Erzgebirge
Quelle: © Archiv Beier
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Kernstrahlung zwischen schädlich und gezielter Anwendung

Thema: Woanders

Woanders

"Woanders" – das ist das Stichwort, wenn der Görlitzer Anzeiger auf Reisen geht und von Erlebnissen und Begegnungen "im Lande anderswo" berichtet. Vorbildliches, Beispielhaftes und Beeindruckendes erhält so auch im Regional Magazin seine Bühne.

Nach dem zweiten Weltkrieg bis zum Untergang der "DDR" war der Bergbau im Erzgebirge durch den Uranabbau, genauer gesagt die Gewinnung der Pechblende, aus der das radioaktive Element als Yellow Cake chemisch herausgelöst wurde, geprägt. Benötigt wurde das Uran für den Bau der sowjetischen Atombomben und nachdem am 26. Juni 1954 das erste sowjetische Kernkraftwerk der Welt in Obnisk/Sowjetunion weltweit erstmals Elektrizität in eine öffentliches Stromnetz geliefert hatte, natürlich auch für diesen Anwendungszweck. Das Uran für die erste sowjetische Atombombe kam, so will es die Legende, aus Schacht 2, dem früheren Günther-Schacht bei Johanngeorgenstadt, unweit der Teufelssteine im Steinbachtal.

Wie wichtig den Erzgebirgern ihre vom Bergbau und den daraus abstammenden Traditionen wie etwa dem Klöppeln und der Heimarbeit generell geprägten Identität ist, kann man am Stadion des FC Erzgebirge lesen: “Willkommen im Schacht!” müssen die Gastmannschaften in großen Lettern zur Kenntnis nehmen. Die Geschichte dazu muss erzählt werden: Seine Wurzeln hat der FC Erzgebirge in der BSG Wismut Aue, der Betriebssportgemeinschaft der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut. Dabei war Wismut nur ein Deckname, der den Uranbergbau verschleiern sollte. Da es in der "DDR" offiziell keinen Profisport gab, waren die Wismut-Fußballer angestellte Bergleute der SDAG Wismut – zumindest auf dem Lohnstreifen. Ihre fußballerische Motivation wurzelte allerdings nicht nur in der Bezahlung und in Siegprämien, sondern auch darin, dass sie nach verlorenen Spielen tatsächlich zur Schicht in den Schacht einfahren mussten. Dieser Umstand galt seinerzeit als bare Münze, heute eher als Legende.

Mit einem Bergmann und studiertem Mineralogen als Vater bekam man als Kind so einiges mit, wie es in der Tiefe zuging. Noch heute klingen mir die Nummern der Schächte in den Ohren, die 366, die 371, auch “Jugendschacht 1. Mai” genannt. Hier ging es zum Schluss bis zu einer Gesamtteufe von 1.800 Metern in den Berg hinein, allein in Anbetracht der Bewetterung war dieser tiefste Schacht Deutschlands eine ingeneurtechnische Meisterleistung. An Namen sind "der Gaidomowitsch" und "der Opitz", der später in Aue den RFT-Rundfunkladen leitete, hängengeblieben – und eine Berufbezeichnung, die es wohl nur im erzgebirgischen Uranbergbau gab und die schon damals völlig genderkorrekt war: Radiometristin. Zumindest anfangs machten den Job wohl ausschließlich sowjetische Soldatinnen. Ausgestattet mit einem Geiger-Müller-Zählrohr und Kopfhören, die mit einem Knattern die Strahlung hörbar machten, prüften sie, wo eher taubes Gestein und eher höffiges Erz zu erwarten war. Auch das vermehrte Auftreten von Radon, des radioaktiven Gases, das wegen seiner geringen Halbwertszeit in Kombination mit radioaktiven Stäuben – Stichwort Schneeberger Lungenkrankheit – die größte Gesundheitsbedrohung für die Bergleute war, wurde von den Radiometristinnen erfasst. Schon Paracelsus hatte 1567 die Schneeberger Krankheit beschrieben, den ersten grenzwert für die Radonbelastung legte das Karlsbader Bergamt 1940 fest.

Mit Radioaktivität ist nicht zu spaßen, führt sie doch immer zu Gewebezerstörungen. Die treten Folgen erst spät auf, Leukämie lässt sich nach Angaben der Radiologischen Universitätsklinik Bonn etwa 15 Jahre Zeit, andere Krebsformen 40 Jahre. Vor diesem Hintergrund ist es höchst erstaunlich, dass – jedenfalls vor Corona – auf erzgebirgischen Weihnachtsmärkten Kupfer-Uran-Glimmer, auch Tobernit genannt, frei und ohne Warnhinweise verkauft wurde. Das leuchtend grüne Material findet man im Erzgebirge auf Halden des Wismut-Bergbaus auch Übertage, für die Aufbewahrung in Wohnräumen ist es schlichtweg ungeeignet.

Strahlenanwendungen bei Gesundheitsdienstleistern

Im medizinischen Bereich ist unter dem Oberbegriff Radiologie zwischen bildgebenden Verfahren und der Strahlentherapie zu unterscheiden. Erstes bildgebendes Verfahren war das Röntgen, Wilhelm Conrad Röntgen hatte 1895 die Durchdringungsfähigkeit von Katodenstrahlen mit Hilfe eines Fluoreszenzschirms entdeckt. Heute sehr bekannte bildgebende Verfahren sind die Computertomographie (CT) und die Ultraschall-Untersuchung (Sonografie).

Die Strahlentherapie war lange Zeit von der im Volksmund so genannten “Kobaltkanone” geprägt, die in den 1950er Jahren aufkam. Neben den auf natürlichen Elementen beruhenden Strahlungsquellen Kobalt-60 und Cäsium-137 wurden auch elektro-physikalischer Methoden wie Röntgengeräte und Beschleuniger benutzt, um Krebsgewebe einer ionisierenden Strahlung auszusetzen. Die alten Kobaltkanonen, die korrekt Telegamma-Geräte heißen, sind heute durch weit präziser arbeitende Linearbeschleuniger ersetzt, allerdings beruht das moderne "Gamma-Messer", mit dem Hirntumore behandelt werden, noch immer auf Kobalt-60 Strahlungsquellen, die nadelstichartig gebündelt werden.

Heute ist die Radiologie aus Diagnostik und Therapie nicht mehr wegzudenken. Sie erschließt sich immer wieder neue Anwendungsgebiete, etwa als in­ter­ven­tio­nel­le Ra­dio­lo­gie bei der Linderung von Rückenschmerzen. Hier können unter unmittelbarer Beobachtung am Computertomographen Entzündungen an den Nervenwurzeln mit einer Punktionsnadel angesteuert werden. Die Indikation zu dieser Behandlung muss natürlich mit einem Arzt besprochen werden.

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  • Quelle: Thomas Beier | Bildquelle: Archiv Beier
  • Erstellt am 12.04.2021 - 12:34Uhr | Zuletzt geändert am 12.04.2021 - 13:51Uhr
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