Deutsche Einheit, viereckig

Görlitz | Oberstdorf | Selfkant | List, 3. Oktober 2018. Schon im Vorfeld der Reden zum Tag der deutschen Einheit waren einige Statements zum Thema schier unerträglich. Mehr Respekt für die Ostdeutschen forderte etwa ein protestantischer linker westsozialisierter ostdeutscher Ministerpräsident, während die Ostdeutschen weiterwitzeln "der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, beim Wessi ist es andersrum". Wer gleichwertige Lebensverhältnisse nur allein an Löhnen und Renten festmachen will, vergleicht Äpfel mit Birnen und unterschlägt die Vorzüge des Ostens – und dass es im Westen auch nicht allen gutgeht. Nur gut, dass unsere Zipfelpoeten, dieses Ost-West-Süd-Nord-Wettstreiterteam, über derlei Diskussionen erhaben sind und sich fröhlich dem Wettstreit poetischer Worte widmen (siehe Themenkasten weiter unten).
Abbildung oben: Zur Ankunft auf Sylt - hier liegt List als nördlichste bundesdeutsche Gemeinde – gab es nicht etwa gebratenen Bundesadler oder fette Henne, sondern echten Poetenbroiler. Nach der langen Anreise aus Selfkant im viel zu engen Auto freuten sich die Dichtermägen über ihre Füllung und Dehnung

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Tragische Verluste an der Poetenfront

Thema: Lesebühnen

Lesebühnen

Lesebühnen sind in Görlitz fester Kulturbestandteil - teils musikalisch unterlegt, teils mit Autoren von vor Ort, teils mit weitgereisten Schreib- und Lesenden.

Ganz ohne abenteuerliche Erlebnisse läuft die Vierkant-Tournee durch die östlichste, südlichste, westlichste und nördlichste Kommune Ganzdeutschlands jedoch nicht ab.

Dritte Station: Selfkant, Kulturhaus Höngen

Poetry Slam hier, Poetry Slam da: Die Leute tief im Westen haben ähnliche Themen wie jene tief im Osten, in Görlitz: "Die Ausländer" verstopfen Aldi & Co., denn angeblich ist der Selfkanter Aldi die am besten laufende Filiale von Aldi Süd, weil hier ständig Heerscharen kaufwütiger Niederländer und Belgier (ja, sie haben doch etwas gemeinsam!) einfallen. Diese und viele andere kleine Anekdoten erfuhren die Slammer der Zipfeltour von den Mitgliedern, die sich im Kulturverein Selfkant engagieren und den Slam des letzten Septembertages auf die Beine gestellt hatten.

Hier waren neben den Tour-Mitgliedern wieder zwei regionale Helden der Poetry-Slam-Szene am Start: Eric Jansen, seines Zeichens Titelverteidiger des Selfkant Slams 2015, und Florian Schreiber, der wie Eric aus Aachen kommt. Am Ende eines stimmungsvollen Wettbewerbs setzte sich zum zweiten Mal Luca Swieter durch und eroberte den kostbaren Siegerinnen-Pokal, der bis zur Kante mit Zipfeltrunk gefüllt ist. Dem Görlitzer Autoren Mike Altmann blieb wie schon in Görlitz und in Oberstdorf nur ein Finalplatz als Trost.

Zwei Verluste

Am Tag nach dem Selfkant-Slam mussten zwei bittere Verluste hingenommen werden. Nordwestlerin Helene Bockhorst folgte der alten, südostdeutschen Oberlausitzer Maxime "Wenn mich's Fernseh'n rufft, bin'sch furt!" und ging mit den besten Wünschen der Zipfel-Crew zu RTL. Die Diskussion, ob es gendergerecht ist, dass nun gestern Abend mit Michel Kühn ein Ersatzmann die Frau und die Nordfarben in List vertreten wird, hatte sich schnell erledigt, denn übernommen hat die Vertretung schließlich Mona Harry. Dass die bekannteste Slammerin des Nordens (Tourmitglied beim Zipfeltreffen 2015) den perfekten Namen zum Tag der deutschen Einheit trägt, ist ihr sicher nicht bewusst: Die wunderbare, zueinander gehörende Kombi einer Ost-Kaffeemarke (Mona) und eines West-Backwarenbetriebs (Harry). Alles klar, was es heute zum Frühstück gibt?!

Noch mehr Aufregung: Während Helene Bockhorst mit Blick auf künftigen Aufstieg im Privatmedium absentierte, war der zweite schmerzliche Verlust der Anfang eines Endes, denn Tourbus Horst gab aus Altersstarrsinn auf und verfiel komplett in Altersstarre. Beim freundlichen Autoverleih in Erkelenz gab es keinen Bus (wir kennen die verwendete Ausrede nicht, im Osten hätte es gehießen: "Da müssen Sie immer wieder mal nachfragen kommen!", ganz davon abgesehen, dass es wohl gar keinen Autoverleih gegeben hätte). Jedenfalls mussten die nächsten 700 Kilometer in einer zwar noblen, aber arg engen Kutsche absolviert werden. Motorkutscher Christoph Wielepp schaukelte auch dieses Schiff souverän ans Ziel und meisterte schließlich noch den Autozug nach Sylt.

In Sylt trafen die Poeten, der Moderator und der Fahrer auf einen zumindest für Mike Altmann alten Bekannten: den erwähnten Broiler. Angekommen und satt konnte sich der Poetencrew auf dem Weg zum gestrigen letzten Auftritt im Erlebniszentrum Naturgewalten nichts mehr in den Weg stellen.

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  • Erstellt am 02.10.2018 - 21:49Uhr | Zuletzt geändert am 02.10.2018 - 23:22Uhr
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