Der Glaube entscheidet

Der Glaube entscheidetGörlitz, 28. Januar 2023. Von Thomas Beier. Eine Frage, die ich mir in der Unternehmensberatung immer wieder gestellt habe, ist: Warum handeln Menschen so oft gegen besseres Wissen? Sie treffen vermeintlich sachlich begründete Entscheidungen, deren negative Folgen ausgeblendet werden. Andere Entscheidungen werden nur aus dem Bauch heraus getroffen, entbehren scheinbar jeder Grundlage und führen dennoch zum Erfolg.

Abb.: Primaten liefern offenbar den Beweis dafür, wie sehr das menschliche Verhalten ganz alten Gepflogenheiten fogt
Foto: Stephen, Pixabay License (Bild bearbeitet)
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Was unser Verhalten beeinflusst

Die Frage, was das menschliche Verhalten über grundlegende Motive hinaus beeinflusst, haben wir schon vor vielen Jahren an unserem IWN Institut für Wirtschaftsführung und angewandte Neuro-Ökonomie, dem Think-Tank der Saxon Consulting Group, diskutiert. Praktisch wurden etwa Trends und Merkmale für den Online Handel zusammengestellt.

Herauskristallisiert in Bezug auf Entscheidungen beziehungsweise das Verhalten haben sich drei Einflussfaktoren, die außerhalb des genetisch fixierten Temperaments liegen, aber teilweise im Zusammenhang mit dem erworbenen Charakter stehen.

Faktor 1: Das schwache Wissen

Es lässt sich leicht zeigen, dass Wissen – also in wissenschaftliche Zusammenhänge eingeordnete Fakten – ein schwacher Einflussfaktor auf das menschliche Verhalten ist.

Jeder Raucher weiß, dass er zwangsläufig an einem sehr unangenehmen Bronchialkarzinom sterben wird – insofern er nicht das Glück hat, schon eher einer anderen Todesursache zu erliegen. Jeder Kraftfahrer weiß, dass man nicht schneller fahren darf, als auf den runden Schildern mit dem roten Rand angezeigt – und dennoch fühlt man sich oft als Verkehrshindernis, wenn man sich ans Tempolimit hält.

Es wäre also reichlich naiv zu meinen, dass sich Verhalten absolut am Wissen orientiert. Entsprechend sagt der Vorwurf “Du weißt doch, dass du das nicht darfst!” viel über das Wissen dessen, der ihn vorbringt, aus.

Faktor 2: Wirksame Erfahrungen

Angenommen, jemand fährt notorisch zu schnell und wird geblitzt oder landet im Straßengraben. Nach dieser Erfahrung wird er langsamer fahren, aber nur vorübergehend. Nach und nach wird die Erfahrung von einem noch stärkeren Faktor überlagert: dem Glauben. Dann glaubt der Fahrer wieder, bei jeder sich bietenden Gelegenheit etwas zu schnell zu fahren, das sei schon in Ordnung.

In der Medizin gibt es durchaus die Erfahrung, dass eine Arznei hilft, obgleich es keinerlei Wirknachweis gibt. Es handelt sich um den Placebo-Effekt, der auf dem Glauben basiert, ein wirksames Medikament eingenommen zu haben.

Ein weiteres Beispiel ist der aktuelle Hype um CBD-Öle. Deren Wirkung ist wissenschaftlich nicht bewiesen, doch offenbar machen viele Menschen die Erfahrung, dass sie in bestimmten Fällen wirksam sind. Die unabhängig von ihrer Konzentration – CBD Öl 30% etwa gehört zu den höher konzentrierten – entsprechend der Novel Food Verordnung nicht zum Einnehmen bestimmten Öle sind inzwischen in Apotheken und sogar bei Discountern erhältlich.

Faktor 3: Der starke Glaube

Stärkster Einflussfaktor auf das menschliche Verhalten ist der Glaube. Woran er glaubt, das kann man niemandem ausreden, da helfen weder Wissen noch Erfahrungen. Im Gegenteil, Erfahrungen werden in den Glauben eingeordnet und verstärken diesen. Wissen wird sortiert und nur dann akzeptiert, wenn es in das eigene Glaubensgebilde passt.

Nur wer an seine Ziele glaubt, kann diese erreichen. Ein starker Glaube hilft, auf dem Weg zum Ziel Widerstände zu überwinden und Ablenkungen zu widerstehen. Ein Soldat, der an den Sieg glaubt, kämpft anders als ein Soldat, der nicht an den Sieg glaubt. In der Wirtschaft trainieren Führungskräfte Glaubenssätze, um Ziele zu erreichen, ohne sich zu verzetteln. Angesichts großer Herausforderungen hilft ein starker Glaube daran, sie bewältigen zu können, zu innerer Gelassenheit.

Wie Verschwörungstheorien entstehen

Verschwörungstheorien basieren darauf, etwas zu glauben, sei es auch noch so hanebüchen. Letztendlich spielt uns das Gehirn einen Streich, weil es kaum in der Lage ist, komplexe Zusammenhänge zu erfassen. Mit formaler Bildung, etwa beruflichen Qualifikationen, lässt sich daran im Grunde nicht viel ändern.

Freilich liegt auf der Hand: Je mehr man von einem Fachgebiet versteht, desto besser erfasst man die Zusammenhänge. Wer geübt ist, kann dann Zusammenhänge auf ganz andere Gebiete übertragen. Der Mechanismus, der zu Verschwörungstheorien führt, scheint jedoch ein anderer zu sein: Hier versucht das Gehirn, Zusammenhänge zwischen Fakten zu schaffen und damit Erklärungsmuster zu liefern. Dazu nutzt es auch Annahmen und falsch interpretierte Fakten.

Die Mondlandung als Inszenierung

Ein Beispiel ist die Verschwörungstheorie, die erste Landung von Menschen auf dem Mond im Jahr 1969 sei inszeniert worden. Das nahezu Unvorstellbare, der Flug von Menschen zu einem anderen Himmelskörper, musste ja geradezu eine Herausforderung sein, die Zweifel daran zu einer Verschwörungstheorie zu vernetzen!

Zwei maßgebliche Argumente der Verschwörungstheoretiker sind längst widerlegt, doch wie oben ausgeführt: Wissen ist zu schwach, um den Glauben an eine Verschwörungstheorie auszumerzen. Die Argumente beziehen sich auf ein Foto, das einen Astronauten und die US-Flagge auf dem Mond zeigt. Gefragt wird, warum am Himmel keine Sterne zu sehen sind und weshalb die Flagge “im Wind” flattert.

Die Antworten sind denkbar einfach: Die analogen, auf Film aufgenommenen Fotos können den Kontrastumfang zwischen dem gleißenden Sonnenlicht und dem vergleichsweise schwachen Licht der Sterne nicht wiedergeben. Anders gesagt: Die Kamera muss so weit abblenden und nur kurz belichten, dass deshalb die Sterne nicht mehr zu sehen sind. Hätte man so stark belichtet, dass die Sterne zu sehen sind, wäre das eigentliche Fotomotiv völlig überstrahlt worden. Die Fahne hingegen flattert nicht, sondern schwingt lange nach, weil es keinen Luftwiderstand und nur eine geringe Gravitation gibt.

Spannende Hirnforschung

In der Natur findet sich nichts, das der Komplexität des menschlichen Hirns nahekommt. Seine Funktionsweise kann man sich – auch wenn der Vergleich deutlich hinkt – vorstellen wie drei vernetzte Computer, die unterschiedliche Zuständigkeiten beziehungsweise Aufgaben haben. Das betrifft nicht nur körperliche Funktionen, sondern auch Bezüge zum Gruppenverhalten oder beispielsweise zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diese "drei Computer" können zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen kommen, womit sich dann auch widersprüchliches Verhalten einer Person erklären lässt.

"Wir sind die Letzten, die erfahren, was unser Gehirn mit uns vorhat", hat ein Hirnforscher sinngemäß gesagt. Tatsächlich basieren Entscheidungen "aus dem Bauch heraus" auf hirnähnlichen Strukturen am Darm, in den uralte Erfahrungen aus frühen Lebensformen gespeichert sind. Insofern ist es kein Fehler, auch auf sein Bauchgefühl zu achten; Instinkte sind nicht ohne Grund entstanden. Auch Vorurteile können positiv wirken, weil sie schnelle Entscheidungen ermöglichen.

Bei Beier Consulting und im Verbund der Saxon Consulting Group haben wir dieses Wissen in der Wirtschaft angewendet, um die Mitarbeiterführung, die Kommunikation und das Marketing zu verbessern. Letztendlich liegt hier der Schlüssel zu motivierten Mitarbeitern und zu mehr Anziehungskraft auf Kunden.

Der Autor hat sich mit der 1994 gegründeten Beier Consulting auf weiche Faktoren in der Unternehmensführung und die Strategieentwicklung spezialisiert. Sein 2005 gegründetes Digitalunternehmen dient unter anderem der Erprobung von marktorientierten Vorgehensweisen.

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  • Erstellt am 28.01.2023 - 19:17Uhr | Zuletzt geändert am 31.01.2023 - 14:53Uhr
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