Wirtschaftsförderung durch die Hintertür

Wirtschaftsförderung durch die HintertürGörlitz, 15. Juni 2022. Von Thomas Beier. Geht es um wirtschaftliche Visionen oder um Zielstellungen, dass ist schnell von "Think big!" die Rede. Das Denken im großen Rahmen hat seinen Reiz, aber auch besondere Risiken.

Abb.: Vittoriosa, genannt Birgu, an der Nordostküste von Malta zählt knapp 2.500 Einwohner
Foto: M W, Pixabay License
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Von Neuseeland und Malta lernen

Thema: Woanders

Woanders

"Woanders" – das ist das Stichwort, wenn der Görlitzer Anzeiger auf Reisen geht und von Erlebnissen und Begegnungen "im Lande anderswo" berichtet. Vorbildliches, Beispielhaftes und Beeindruckendes erhält so auch im Regional Magazin seine Bühne.

Zum Slogan wurde "Think big!" in den 1980er Jahren, als Neuseeland eine Wirtschaftsstrategie entwickelte, um seinen damaligen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu entgehen und die Abhängigkeit vom Ausland zu reduzieren. Schaut man sich die damaligen neuseeländischen Probleme genauer an, fallen Parallelen zum Deutschland der Gegenwart auf:


    • heftig steigende Energiepreise, damals als Folge der Ölkrise von 1973, heute des Krieges in der Ukraine
    • eine hohe Inflationsrate
    • die sinkende Bedeutung von Großbritannien als Handelspartner, damals für Neuseeland wegen des Beitritts der Briten zur EU, heute für Deutschland wegen des Brexits

So wie heute die Hinwendung zur Öko-Stromerzeugung setzte damals Neuseeland vor allem auf die Stärkung der Energiebasis als Schlüssel für die industrielle Basis. Unterm Strich haben sich die neuseeländischen Projekte aus heutiger Sicht großenteils ausgezahlt, allerdings spielten damals ökologische Aspekte kaum eine Rolle.

Risiken und Chancen

Dennoch ist "Think big!" kein Patentrezept, um Investitionsentscheidungen zu treffen oder Weichenstellungen für die Wirtschaftsförderung vorzunehmen. Das Hauptrisiko: Je größer man denkt, umso größer wird die Zahl der Unwägbarkeiten und damit auch der komplexen Zusammenhänge. In Konsequenz kann die Verfehlung eines Teilzieles ein gesamtes Entwicklungssystem zum Einsturz bringen.

Andererseits führt "Think big!" dazu, möglichst viele Wirkungen eines Entwicklungsprojekts im Auge zu behalten und darüber hinaus Einzelprojekte möglichst gut zu koordinieren. Ein andere Strategie wäre etwa, generell nur auf kleinere und risikoarme Projekte zu setzen unter der Maßgabe: Sind alle Einzelprojekte stabil, funktioniert auch das große Ganze. So gesehen ist Deutschland mit seiner ausgeprägten mittelständischen Wirtschaft insgesamt zukunftsrobust aufgestellt.

Von neuen Ideen

Oft wird man als Unternehmensberater nach neuen Ideen gefragt. Doch das ist schwierig: Selbst wenn man für einen Unternehmer einen wirklich guten Tipp parat hat, ist noch lange nicht sicher, ob dieser diesen annimmt, geschweige denn richtig umsetzt. Deshalb kommt es für gute Berater immer darauf an, Denksysteme für Unternehmen zu entwickeln, die dort auf Basis des eigenen Potentials zu neuen Ideen und damit letztlich Innovationen führen.

Dabei kann sich ein solches Denksystem durchaus an "Think big!" orientieren, indem es hilft, die Grenzen des bisherigen Denkens zu überschreiten. Nahezu regelmäßig gehört dazu die Internationalisierung des Geschäfts. Das hört nicht jeder gern, denn in vielen Regionen will man verstärkt auf lokale Wertschöpfung und lokale Wirtschaftskreisläufe setzen.

Wie es nicht geht

Unlängst wollte jemand aus der Region Görlitz sogar Discounter abschaffen, damit die Bauern ihre Produkte vor Ort selbst vermarkten können. Bei solchen Gedanken werden jedoch nicht nur die Arbeitsteilung und die Veredlungsindustrie vergessen, sondern auch die Tatsache, dass die allermeisten Unternehmen vom überregionalen Absatz leben. Direktvermarktung kann also immer nur ein verhältnismäßig kleiner Teilaspekt sein – nicht ohne Grund haben sich Handelsstrukturen so entwickelt, wie sie sind.

Was man tun kann

Hilfreich ist es, ein oder zwei Mal im Jahr zwei oder drei Tage freie Zeit in neue Ideen zu investieren, ergebnisoffen, wir man das nennt. Das erlaubt es, sich gedanklich geschäftlichen Optionen zu nähern, für die im Alltag keine Zeit wäre. Statt dabei schnell zu resignieren, weil zu wenig Faktenwissen existiert, ist es eine gute Methode, erst einmal wie die Katz’ um den heißen Brei um eine Thema herumzureden, es also ganz im Sinne des "Think big!" von allen Seiten zu beleuchten und alle Aspekte, die einem einfallen, zusammenzutragen – für alles andere gibt es Experten.

Paradoxe Realitäten nutzen: das Beispiel Malta

Ein passendes Beispiel ist die Unternehmensansiedlung auf Malta. Wer schon einmal in der Republik Malta war, hat sich vielleicht über die hohe Dichte an Unternehmen dort gewundert – das muss doch Gründe haben! Wer sich über eine Firmengründung in Malta informieren möchte und das Web befragt, wird schnell feststellen, dass die Steuern dort teils deutlich höher sind als in Deutschland. So beträgt die Körperschaftsteuer auf Malta 35, in Deutschland hingegen nur 15 Prozent.

Doch statt sich ernüchtert abzuwenden, sollte man mit Insidern sprechen, denn paradoxerweise zahlen viele Unternehmen auf Malta nur sehr geringe oder gar keine Steuern. Neben Möglichkeiten, die Steuerzahlungen unter Umständen bis auf Null zu reduzieren können spezielle Vorgehensweisen bei der Gewinnausschüttung den effektiven Steuersatz drastisch senken.

Doch es geht nicht nur ums Steuernsparen: Traditionell ist Malta die Drehscheibe zwischen der Europäischen Union, Großbritannien und Afrika. Investoren schätzen hier wirksame Investitionsprogramme und geringe Lohnkosten, die ausgebaute Infrastruktur für Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die politische Stabilität. Vor allem zur Beherrschung der ineffizienten Bürokratie jedoch scheinen erfahrene Dienstleister vor Ort unverzichtbar.

Unterm Strich

Manche Idee muss man ruhen lassen, bis ihre Zeit Reif ist. Bei anderen Ideen gilt hingegen: Jetzt sofort umsetzen oder nie. Die unternehmerische Herausforderung ist es vorzudenken, damit man Chancen erkennen kann und auf Entscheidungssituationen vorbereitet ist. Externe Berater helfen, die Denkprozesse effektiver zu machen. Wer sich nicht systematisch mit Optionen beschäftigt läuft Gefahr, im Falle eines Falles keine zu haben.

Der Autor hat 1994 die Beier Consulting gegründet und beschäftigt sich mit der Entwicklung von Unternehmensstrategien und Fragen der Führungskräfte- und Organisationsentwicklung.

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  • Quelle: Thomas Beier | Foto: Efraimstochter / M W, Pixabay License
  • Erstellt am 15.06.2022 - 14:19Uhr | Zuletzt geändert am 15.06.2022 - 15:39Uhr
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