Görlitz, eine Stadt der Alten?
Görlitz, 1. November 2021. Der glanzvolle Ehrentitel "Pensionopolis", den sich Görlitz schon zu Kaisers Zeiten erarbeitet hat, wirkt auch heute und ist Wirtschaftsfaktor: Wer im Alter den teils oxorbitanten Lebenshaltungskosten in den Ballungsräumen entfleuchen möchte, zieht um ins betuliche Görlitz. Bleibt darüber die Jugend in der Neißestadt auf der Strecke?
Diskussionsrunde widmet sich der Stadt für alle
Thema: Ausstellungen in Görlitz und Umgebung
Görlitz verfügt nicht nur über fast 4.000 Baudenkmale, sondern ist eine Stadt der Museen und Ausstellungen. Hier befinden sich beispielsweise das Kulturhistorische Museum, das Schlesische Museum zu Görlitz, das Museum der Fotografie und das Senckenberg Museum für Naturkunde, im polnischen Teil der Europastadt das Lausitz-Museum. Darüber hinaus gibt es häufig Sonderausstellungen an anderen Orten, auch im Umland der Stadt sowie in der Dreiländerregion von Sachsen, Tschechien und Polen.
- Finissage in der Kunsthalle Görlitz [24.09.2022]
- Naturkundemuseum Görlitz für Blinde [09.08.2022]
- Bye, bye, Weltenwanderer [16.06.2022]
Begleitend zur Sonderausstellung "950 Jahre Zukunft Görlitz Zgorzelec" laden die Görlitzer Sammlungen zu einer Podiumsdiskussion ein, bei der es um Görlitz als "Die Stadt für Alle" gehen soll. Unter der Moderation von Dr. Jasper von Richthofen, Direktor der Städtischen Sammlungen, dikutieren die Koryphäen der Stadtentwicklung in Theorie und Praxis in Gestalt von
- Bürgermeister Dr. Michael Wieler, geboren 1964,
- Prof. Dr. Raj Kollmorgen von der Fakultät Sozialwissenschaften der Hochschule Zittau/Görlitz, geboren 1963,
- Michael Hannich als Mitglied des Seniorenbeirates der Stadt Görlitz, geboren 1951,
- Danilo Kuscher als Vorstandsvorsitzender Kühlhaus e.V., geboren 1984, und
- Arne Myckert, vielseitig engagierter Geschäftsführer der KommWohnen Görlitz GmbH, geboren schätzungsweise 1966.
Dem Alter nach hat die Diskutantenstruktur, durchaus repräsentativ für Görlitz, ihren Schwerpunkt in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts und würde glatt als Kandidatenrunde für das nächste Methusalem-Komplott durchgehen. Vorwitzige, nach der Jahrtausendwende geborene Mitbürgerinnen und Mitbürger bezeichnen das als die Generation, die's vergeigt hat – was in der Allgemeinheit dieser Aussage natürlich falsch ist und zudem diskriminierend, denn niemand kann etwas für sein Alter.
Womit schon das Klischee von den "alten weißen Männern" vor der Museumstür steht – hallo Halloween! Aber für seine Hautfarbe und sein Geschlecht kann ja nun wirklich niemand etwas. Deshalb ist jegliche Aufregung über die reine Männerrunde fehl am Platze. Aber die Sache mit dem Alter, die ist schon noch ein paar Gedankenhüpfer wert: Natürlich kann man etwas für sein Alter, wenn man etwa – anders als so manches Idol – die Ausgangstür mit der Jahreszahl 27 nicht genutzt, oder, noch näherliegend, sein Leben mit Drogenabstinenz und Sport vertan hat. Doch die harten Fakten – vor allem die aufgestapelte Zahl der Lebensjahre – sind nicht des Pudels Kern. Viel wichtiger ist, ob das Denken bereits erstarrt ist und ob es in der Vita bereits zu spät ist, um sich noch Fehler leisten zu können. Dass zur Altersweisheit gehört, den jungen Leuten das Sammeln eigener Erfahrungen zuzugestehen, wird darob gar zu gern vergessen.
Anziehungskraft auf junge Erwachsene entwickeln
Wenn es darum geht, die Altersstruktur einer Stadt zu verjüngen, was ja ein durchaus interessantes Ziel sein kann, dann hilft das Denken in harten Fakten nicht weiter, denn es beantwortet nicht die Frage, warum junge Erwachsene sich in Großstädten wohler fühlen als in einer Mittelstadt wie Görlitz, die gut argumentieren kann mit reichlichem und günstigem Wohnraum, immer wieder sogar mit Arbeitsplätzen und mit kinderfreundlichen Kita- und Schulstrukturen soundso. Gern angeführt werden die vielfältigen Landschaften in der näheren und weiteren Umgebung, der See am Stadtrand und die zentrale Lage zwischen Berlin und Prag (Praha) sowie zwischen Dresden und Breslau (Wrocław). Der Gedanke, in der Mitte sei stets der beste Ort, ist aber grundfalsch.Statt der Nabelschau wäre eine andere Diskussion interessanter: Warum gehen die jungen Leute in die Großstädte und bleiben dort? Hier scheinen die weichen Einflussfaktoren bedeutsamer als die harten Fakten – die werden erst wieder wichtig für die Rückkehrer, die sich ihren Alterssitz gern im Görlitzer Umland suchen, wie der Markersdorfer Immobilienmakler Rolf Domke weiß. Ein große Rolle in den Ballungszentren spielen offenbar die Möglichkeiten zur persönlichen Vernetzung – ein Feierabendbier ist durch nichts zu ersetzen – und die weit höhere Auswahl an Ansprech- und Kooperationspartnern. Übersichtlichkeit wie in Görlitz hat ihre Vor-, aber auch ihre gravierenden Nachteile.
Gelegenheit beim Schopfe packen
Wie dem auch sei: Die Diskussion anzustoßen, das ist ein erster Schritt, abbiegen oder umkehren kann man ja immer. Und vielleicht entstehen ja sogar Ideen, vor allem bei den Besuchern der Diskussionsveranstaltung. Junge Leute könnten sich der Görlitzer Flashmob-Tradition erinnern und die Plätze im Handstreich entern, damit die Alten – so sie es denn sind – nicht unter sich bleiben und sich in ihrem Blickwinkel vielleicht auch noch gegenseitig bestärken.Prädikat: Unbedingt hingehen!
Dienstag, 2. November 2021, 18 Uhr,
Kaisertrutz, Platz des 17. Juni 1, 02826 Görlitz:
Podiumsdiskussion "Die Stadt für Alle"
Zusatz-Tipp!
Donnerstag, 18. November 2021, 18 Uhr,
Kaisertrutz, Platz des 17. Juni 1, 02826 Görlitz:
Podiumsdiskussion "Stadt nachhaltig denken"
Zugesagt haben Oberbürgermeister Octavian Ursu, Prof. Dr. Robert Knippschild vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung und Leiter des Interdisziplinäres Zentrums für transformativen Stadtumbau, Sven Sellig als Geschäftsführer der Görlitzer Verkehrsbetriebe GmbH und Matthias Block, Geschäftsführer der Stadtwerke Görlitz AG. Es moderiert wiederum Dr. Jasper von Richthofen.
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- Quelle: red | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
- Erstellt am 01.11.2021 - 08:42Uhr | Zuletzt geändert am 01.11.2021 - 10:51Uhr
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