Erneute Flut von Widersprüchen gegen Stadtratsbeschlüsse

Görlitz-Zgorzelec. Der Görlitzer Oberbürgermeister Joachim Paulick hat fünf Beschlüssen des Stadtrates widersprochen sowie für zwei Beschlüsse seinen Widerspruch bei der Rechtsaufsicht, dem Landratsamt Görlitz, zur Entscheidung vorgelegt.

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Neues vom Kriegsschauplatz Görlitzer Rathaus

"Neiße-Brücken" keine infrastrukturelle Grundversorgung

Der Beschluss Nr. 800-08 vom 27. November 2008 zur Durchführung des Projektes „Neiße-Brücken“ als Korrespondenzprojekt mit der Kulturhauptstadtveranstaltung RUHR2010 und damit verbundenen Beauftragung des Zweckbetriebes Kulturservice der Musiktheater Oberlausitz-Niederschlesien GmbH ist nach Auffassung des Oberbürgermeisters aus mehreren Gründen rechtswidrig. Zur Vorlage erfolgten ausführliche Darlegungen durch den Bürgermeister Dr. Michael Wieler, der derzeit zugleich als Geschäftsführer und Intendant der Musiktheater Oberlausitz-Niederschlesien GmbH (MON) fungiert und damit als befangen gilt. Die MON sollte nach dem Willen des Stadtrates Auftragnehmer für ein Auftragsvolumen von 110.000 Euro werden.
Gemäß der Auseinandersetzungsvereinbarung zur Kreisgebietsreform wird der Landkreis Görlitz bereits ab dem 1. Januar 2009 Anteile an der Musiktheater Oberlausitz-Niederschlesien GmbH übernehmen. Die MON ist dann keine kommunale Eigengesellschaft der Stadt mehr, demnach sind die Voraussetzungen einer Inhouse-Vergabe nicht mehr gegeben.

Begründung: Die Stadt müsse ihre Haushaltswirtschaft so planen und durchführen, dass eine stetige Erfüllung ihrer (Pflicht-)Aufgaben gewährleistet ist. Sie dürfe Aufgaben nur in einem solchen Umfang übernehmen, dass sie die finanziellen Folgen dauerhaft verkraften kann. Das Projekt „Neiße-Brücken“ sei jedoch eine neue Maßnahme im Vermögenshaushalt und deshalb nicht im Investitionsplan zum Haushalt 2008 enthalten. Folglich liegen auch keine zu berücksichtigenden Folgekosten vor. Eine Folgekostenschätzung oder -berechnung war nicht Bestandteil dieser Beschlussvorlage.
Eine umfangreiche Diskussion zur Durchführbarkeit des Projektes war nicht möglich, da der Haushaltsplanentwurf noch nicht vorlag. Es erfolgte keine Abwägung zwischen im Investitionsprogramm enthaltenen Fortführungs- und Neumaßnahmen sowie einer gänzlich neuen Maßnahme.

Hintergrund: Hauptfinanzierungsquelle des Vermögenshaushaltes sind investive Schlüsselzuweisungen, mit denen die Stadt die infrastrukturelle Grundversorgung sicherstellen muss. Die Vorlage zum Projekt „Neiße-Brücken“ liefert keine Anhaltspunkte, dass es sich um eine Maßnahme der infrastrukturellen Grundversorgung handelt. Der Widerspruch entfaltet aufschiebende Wirkung.

Ausschuss kann sich nicht selbst auflösen

Rechtswidrig ist auch Ziffer 5 des Beschlusses-Nr. 822-08 zur „Bildung eines zeitweilig beratenden Ausschusses „Stadthalle““. Dem Ausschuss kann nicht die Kompetenz zur Selbstauflösung übertragen werden, wie es Ziffer 5 des Beschlusses „nach Wegfall des Ausschussgegenstandes“ vorsieht.
Im Falle der Aufgabenerledigung kann der Stadtrat den Bildungs- und Übertragungsakt aufheben, anderenfalls bliebe der Ausschuss als leere Hülle bestehen.

Über diese beiden Anträge soll bei der Stadtratssitzung am 18. Dezember 2008, 16.15 Uhr beraten werden.

Stadtrat ignoriert Oberbürgermeister

Als rechtswidrig beanstandet Oberbürgermeister Paulick auch die Beschlüsse Nr. 832a-08, 833a-08 und 834a-08 (alle SRG). Erneut sind die Widerspruchsschreiben sowie die Darlegungen des Oberbürgermeisters bei der Beschlussfassung unberücksichtigt geblieben.

Sie werden nun unverzüglich an die zuständige Rechtsaufsichtsbehörde, das Landratsamt Görlitz, zur Entscheidung über ihre Rechtmäßigkeit weitergeleitet.

Unklare Anwaltsrechnungen noch nicht bezaht

Im Falle des Stadtratsbeschlusses Nr. 834a-08 (Bezahlung von Rechtsanwaltsgebührenrechnungen) konnte der OB der Zahlungsaufforderung bisher nicht nachkommen. Die vorgelegten Rechnungen sind zeitlich und inhaltlich nicht schlüssig nachvollziehbar, darüber wurde der Vorsitzende des Ad-hoc-Ausschusses „Verkauf Mülldeponie“ bereits am 20. Oktober 2008 schriftlich informiert. Die kostengünstigste Klärung wäre nach Auffassung des Oberbürgermeisters das Herbeiführen einer Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde.

Landratsamt muss entscheiden

Über die Widersprüche gegen die Bescheide der Rechtsaufsicht zu den Stadtratsbeschlüssen Nr. 836-08 und 837-08 muss nun das Landratsamt des Landkreises Görlitz als zuständige Rechtsaufsicht befinden. Gegenstand der Beschlussvorlagen war die Aufhebung von Ziffer 1 des Beschlusses Nr. 757a-08 sowie des Beschlusses Nr. 758a-08 vom 11. August 2008.

Stadtrat widerspricht Rechtsaufsicht

Die Einreichung dieser Vorlagen wurde aufgrund eines entsprechenden Bescheides des Landratsamtes vom 12. November 2008 durch Oberbürgermeister Joachim Paulick veranlasst. Doch der Stadtrat lehnte die Vorlagen am 27. November 2008 ab und beschloss stattdessen, in Widerspruch gegen die Bescheide zu gehen.

„Obwohl ich persönlich für die Beschlussaufhebung und gegen die Einlegung der Widersprüche gestimmt habe, lege ich in Vollzug der Stadtratsbeschlüsse fristgerecht Widerspruch ein“, erklärte Oberbürgermeister Joachim Paulick die ihm aufgebürdete Doppelrolle.


Kommentar:

S´ ist Krieg, Krieg in Görlitz, und jeder begehrt, nicht Schuld zu sein!

Eine alte Weisheit: Jeder Schlag zurück motiviert den Gegner zum nächsten Gegenschlag. Das einzige Gegenmittel heißt Vernuft. Die allerdings ist bei der Spezies Mensch nur dann stark, wenn sie bewusst eingesetzt wird, was wiederum Intelligenz und Bildung - sprich Klugheit - voraussetzt. Vernunft und Klugheit können nur wirken, wenn beide Kriegsparteien (freiwillig) zur Einsicht gelangen oder (mit Gewalt) zur Räson gebracht werden. Das Dumme: Je mehr sich die Fronten verhärten, um so schwerer kommt man wieder raus aus der vertrackten Situation.

Leicht kann der Eindruck entstehen, der Görlittzer Stadtrat sei zu einem Spielfeld persönlicher Interessen und zu einem Jahrmarkt der Eitelkeiten verkommen. Welcher fähige Kopf wird sich zukünftig noch die Qual antun, in einem Stadtrat wie dem Görlitzer mitzuwirken?

Demokratie lebt nicht nur von der Durchführung von Wahlritualen und der Entsendung irgendwelcher Vertreter in Gremien, sondern von der Wahl der Besten, Fähigsten, Engagiertesten. Gefährlich wird die Sache, wenn das Volk bei der Wahl danebenlangt und die lautesten, populistischsten und vollmundigsten Kandidaten wählt, die dann völlig losgelöst von ihrem Wahlauftrag eigene Interessen verfolgen. Nun soll das ganz gewiss keinem der Görlitzer Stadträte unterstellt werden, jedoch ist das Anfassen der eigenen Nase in Verbindung mit der Frage "Was ist der Stadt bestes?" auch einem Stadtrat erlaubt.

Wie zufrieden sind eigentlich die Görlitzer Bürger mit ihren gewählten Vertretern?
Die neue Umfage des Görlitzer Anzeigers versucht, ein - selbstverständlich nicht repräsentatives - Bild zu geben.

Ansonsten bleibt so manchem zu wünschen:
Nutzet die Weihnachtszeit nicht nur für Besinnlichkeit, sondern auch, um zur Besinnung zu gelangen,

meint Ihr Fritz R. Stänker

Ergebnis: Schulnoten für den Görlitzer Stadtrat

sehr gut (5.9%)
 
gut (10.8%)
 
befriedigend (17.2%)
 
genügend (22%)
 
ungenügend (44.1%)
 
Nichtrepräsentative Umfrage
Umfrage seit dem 04.12.2008
Teilnahme: 186 Stimmen
Kommentare Lesermeinungen (3)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Stadtrat

Von M. Noack am 17.08.2009 - 17:02Uhr
Eine Katastrophe, dieser Stadtrat in Görlitz!

Was da für Nichtskönner sitzen und sitzen ist für mich kaum nachvollziehbar. Wer nur wählt diese Leute in den Rat?

Ich dachte nach der Wende wirds besser, aber Pustekuchen, schlimmer, viel schlimmer ists geworden.

Wenn man es nicht einmal notwendig hat, mit einem, der 45 Jahre Chronik macht für die Stadt, zu sprechen, weiß ich nicht, was man noch tun muss für seine Stadt!

M. Noack

Stadtratsnoten

Von Dr. Sander am 07.01.2009 - 10:53Uhr
S.g. Damen u. Herren,

als ehemaligem Görlitzer wird mir regelmäßig vom b.g. Stadtrat dokumentiert, dass ihm der Begriff "Demokratie" völlig fremd ist. Die Damen u. Herren sollten sich mit Solons (640-560 v. Chr.) Verfassung bis zur radikalen Demokratie von Perikles (500-429 v. Chr.) beschäftigen. Vielleicht besteht dann die Chance, dass die Herrschaften mal lernen, wie der "Demos" regiert werden sollte. Meine Bedenken sind aber sehr groß, wenn ich die Live-Übertragungen im Internet verfolge.

Als Resümee kann ich nur feststellen:
Thema verfehlt, ein Seminarschein kann nicht ausgestellt werden!

MfG
Dr. Sander aus Berlin

Stadtratsnoten

Von f. behrens am 06.01.2009 - 09:26Uhr
trotz einer zumeist wohl polemisierenden und wenig differenzierten medienberichterstattung spricht die mehrheit von einer oderntlichen wirkung des gremiums.
wer hätte dies erwartet!

leider haben die kritiker bisher inhaltlich keine durchdachten und finanzierbaren vorschläge unterbreitet, die den ansätzen des stadtrates überlegen wären.

natürlich ist die aufgabe der kritik die kritik. aber ungenügend erscheint es doch.

mfg

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  • Quelle: /FRS
  • Erstellt am 04.12.2008 - 08:55Uhr | Zuletzt geändert am 04.12.2008 - 10:04Uhr
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