Ruinen schaffen ohne Waffen

Görlitz, 6. Februar 2014. Von Thomas E. Beier. Genügend Geld, um das Dach der hundertjährigen Stadthalle Görlitz dicht zu machen, hat die Stadt Görlitz nicht. Das Gebäude an sich ist schon seit Ende 2004 dicht, sprich: Der Betrieb wurde eingestellt. Vielleicht, weil allem Anfang ein ganz besonderer Zauber innewohnt, beschäftigt sich die Görlitzer Stadtverwaltungsführung lieber mit Gedanken an ein "Jugendzentrum", das weniger auf einer Bedarfsanalyse als vielmehr auf einer Ideensammlung interessierter Kreise basiert.

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Was soll das so genannte Jugendzentrum bieten, was der Jugend in der Stadt fehlt?

Thema: Stadthalle Görlitz

Stadthalle Görlitz

Die Stadthalle Görlitz wurde 1910 als Veranstaltungsort des Schlesischen Musikfestes eröffnet. Hoher Sanierungsbedarf und die ungenügende Selbstfinanzierung führten im Jahr 2005 zur Einstellung des Betriebs und zu Verkaufsbestrebungen seitens der Stadt Görlitz. Die Ende Januar 2010 vom Stadtrat beschlossene Sanierung wurde, ohne dass Arbeiten am Gebäude begonnen hätten, im Oktober 2012 gestoppt, weil Fristen für Fördermittel zu kurz waren. Erst 2018 stellten Bund und Land Geld für eine über die Sicherung hinausgehende Sanierung bereit. Eine große Herausforderung stellen die Betriebskosten für die Stadthalle Görlitz dar.

Von Probenräumen, von Platz für Vorträge und Workshops und Kino im anvisionierten "Jugendzentrum" ist die Rede. Zumindest an Kinos herrscht kein Mangel in Görlitz, sofern man nicht gerade in Konkurrenz zu den kleineren Studio-Kinos in der Stadt gehen möchte. Proben- und andere Räume – da sollte in einer umgestalteten Stadthalle genügend Platz sein.

Würde denn die Jugend die Stadthalle als Location annehmen? Möglicherweise sind die Jugendzentrum-Befürworter in die Falle getappt, "Jugend“ im wehmütigen Rückblick nur an der Zahl der gelebten (resp. noch nicht gelebten) Jahre festzumachen. Aus dieser Sichtweise hat Görlitz keinen Mangel an jugendspezifischen Angeboten: Das Nostromo, das Jugendkulturzentrum Basta!, diverse Festivals sind schon da.

Jugendkultur ist heute mehr denn je keine Frage des Alters, sondern der Lebenseinstellung – the winner ist „Forever Young“. Wenn man gelegentlich durch die Szene urbaner Kulturen mitteldeutscher Städte schleicht, dann erlebt man, was Görlitz nicht hat: Kulturelle Orte generationsübergreifender Begegnung.

Dafür wäre die Stadthalle Görlitz ein wohlfeiler Ort. Nicht in totalsanierter Form, die wohl vor allem für Handwerksbetriebe interessant wäre, sondern in einem substanzerhaltenden und nutzungsfähigen Zustand. Gern mit vielen Improvisationen, dafür aber ohne "Bitte nicht berühren!“

Kommentare Lesermeinungen (4)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Die Agonie der Stadt Görlitz

Von Dr. P.Sander am 09.02.2014 - 13:15Uhr
Ich schließe mich ausdrücklich allen bisherigen Aussagen an. Jetzt aber kommen meine Fragen.

Es wird oder werden immer Einzelpersonen wie der OB oder die Stadträte kritisiert, auch mit meiner vollsten Zustimmung. Aber was macht denn der eigentliche "Souverän", das Wahlvolk?

Bei den Griechen gab es den Ostrakismus, das Scherbengericht, da konnte man die bisher so "Mächtigen" in das Exil schicken. Vielleicht bin ich räumlich zu weit weg von meiner Heimatstadt, um alles korrekt wiederzugeben, aber eine Agonie des Wahlvolkes lässt sich nicht von der Hand weisen.

Ich gehöre zu der Generation, die all die bg. Lokalitäten und Veranstaltungsorte aus eigenem Erleben noch kennt und bin deshalb irritiert und erschüttert über das Verhalten der Verantwortlichen der Stadt.

Noch ein Beispiel für die Fähigkeiten der "Oberen" im Rathaus ist der aktuelle Stand zum Baustart des Busbahnhofes. Jetzt stellt man plötzlich fest, dass noch ungeklärte Grundstücksfragen offen sind, also ein weiteres Jahr Verzögerung.
Meine Hoffnungen verbinden sich mit den anstehenden Wahlen, aber so recht fehlt mir der Glaube.

Wie gesagt, ich wünsche mir und hoffe inständig, dass die Görlitzer endlich aus ihrer Agonie erwachen und einen Stadtrat installieren, der es wert ist, so genannt zu werden. Der Großteil der jetzigen Räte hat bestimmt noch immer nicht verstanden, dass sie für die Stadt da sind und nicht umgekehrt.

Ich bin trotzdem vorsichtig optimistisch.

So etwas wollte mal Kulturhauptstadt Europas werden!

Von Gerd aus Görlitz am 08.02.2014 - 13:13Uhr
Man kann Herrn Beier nur recht geben, wenn es um die Kultur der Stadt Görlitz geht. Nicht allein die Stadthalle - früher ein Veranstaltungsmagnet für den ganzen Kreis. Aber was will man von der Führung der Stadt auch verlangen.

Vor der Wende hatten wir nur strafversetzte Bürgermeister ("Herr Butziger, die Stadt wird immer schmutziger", nur ein Beispiel). Auch wenn man mal die Leistung der letzten OB's nach der Wende nimmt, so gab es doch nach Demiani nichts Gescheites mehr.

Um noch einmal auf die Kultur der Stadt zurückzukommen: Es war doch früher noch etwas los in der Stadt. Ich sage nur Stadthalle, Weinberghaus, Haus der Jugend, aber auch Hotels (Stadt Dresden, Monopol, Görlitzer Hof, wo am Wochenende Tanz stattfand) und heute mal gerade noch die Landskronbrauerei.

So etwas wollte mal Kulturhauptstadt Europas werden!

Vielleicht geht der Stadtrat mal geschlossen in die Ruhmeshalle in Zgorzelec (Anm. d. Red.: gemeint ist das Städtische Kulturhaus, ehemals Oberlausitzer Gedenkhalle, im Volksmund Ruhmeshalle). Vielleicht geht ihnen dann mal ein Licht auf, was Kultur ist: Nicht nur Museen, Kirchen und restaurierte Häuser aus der jahrelangen Spendenmillion. Der Stadtrat sollte in seinen Sitzungen nicht alles zerreden, sondern mal was auf die Beine stellen.

Improvisation

Von görzelec am 07.02.2014 - 10:54Uhr
Lieber Herr Beier,

Sie schreiben da viel Wahres. Allerdings benennen Sie gleich auch das Problem: Improvisation. Damit haben es die Görlitzer Hüter des Baurechtes nun leider so gar nicht. Ich erinnere nur an das Diktum, mit dem der Verantwortliche in der Stadtverwaltung noch unter dem letzten Oberbürgermeister die Görlitzer Wächterhausinitiativen abgebügelt hat: "Das deutsche Baurecht sieht den Terminus Zwischennutzung nicht vor." Fall erledigt. Seither ruht der See in dem Bereich in Görlitz still.

Nach solchen und ähnlichen Erfahrungen der letzten Jahre gehe ich leider im Moment davon aus, dass man eher einen Abriss genehmigen würde als auch nur auf die Idee zu kommen, mal in anderen Städten den Austausch mit Fachleuten zu suchen, die Erfahrungen mit solchen baulichen Problemfällen und deren Nutzbarmachungen für eine zumindest temporäre Nutzung haben.

Ob eine solche Stadthalle tatsächlich ein wie auch immer geartetes Jugendzentrum ersetzen kann, bezweifle ich allerdings trotzdem. Denn ein solches Zentrum hätte den großen Vorteil eines Ateliercharakters, also viele voneinander räumlich getrennte Orte für verschiedene Projekte. Die Stadthalle ist aber hauptsächlich ein großer Saal. Und Sie werden ja wohl kaum dafür plädieren, in diesen lauter Einbauten vorzunehmen und Trockenbauwände zu ziehen.

Wenn ich mal träumen darf: Eine Großraumdiskothek für Leute ab Mitte 20. Kein Ballermann. Kein Dorftechno. Dafür gute, internationale DJ´s, gutes, mehrsprachiges Personal. Werbung bis Dresden, Liberec, Cottbus und Wroclaw.
Sich vertraglich zusichern lassen, dass die Stadt ein bestimmtes Kontingent an Veranstaltungen fürs breite Publikum im Jahr mietfrei hier abhalten kann, wo nur die Betriebskosten des Abends anfallen. Käme auf den Versuch an.

Ruinen schaffen...

Von Bertram Oertel am 07.02.2014 - 04:16Uhr
Thomas Beier spricht vielen Görlitzern aus der Seele.

Ein nicht mehr hier lebender Görlitzer sprach einmal von der fehlenden "Seele" der Stadt. Und das nicht zu unrecht. Der unheilige Geist postsozialistischer (Fehl-)Planungswirtschaft bestimmt seit der Wende das kommunalpolitische Denken und Handeln der Stadt.

An Fördergelden hat es in Görlitz nie gemangelt. Kaum eine Stadt hat von der politisch-wirtschaftlichen Wende so profitiert wie Görlitz. Herrlich sanierte Hallenhäuser und Giebel können aber nicht über das heutzutage fehlende Leben in der vormals so lebendigen und an Kultur reichen Stadt hinwegtäuschen.

Eine Stadthalle, die allen Bürgern jederzeit offen steht, wo Kleinkunst und Große Kunst, wo der Damenstrickzirkel sich genauso zu Hause fühlt wie die jugendliche Rockband, wo die Touristen nach dem Stadtrundgang mit den jungen Studenten aus der benachbarten Hochschule in lebhafter Atmosphäre ihren Kaffee trinken, wo Kinder im Garten fröhlich toben und der Männergesangsverein wöchentlich seine Lieder erschallen lässt, ja so könnte die Seele einer Stadt aussehen, wenn, ja wenn...

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  • Quelle: Thomas E. Beier | Foto: www.goerlitzer-anzeiger.de
  • Erstellt am 06.02.2014 - 17:46Uhr | Zuletzt geändert am 21.10.2021 - 16:21Uhr
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