Quellen der Wut

Quellen der WutGörlitz, 14. Juli 2022. Von Thomas Beier. Seit einigen Jahren kursiert der Begriff vom "Wutbürger". Er wird in aller Regel distanziert-abwertend für Personen verwendet, die der Politik und dem Wandel nicht mehr folgen wollen. Oder steckt mehr dahinter?

Abb.: Wutbürger einfach nur abzukanzeln ist keine Lösung
Foto: Alexander Fox | PlaNet Fox, Pixabay License
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Sind Wutbürger eine Folge systematischer Überforderung und Verunsicherung?

So richtig in der Welt ist der Wutbürger erst seit dem Jahr 2010, als die Zeitschrift Der Spiegel am 11. Oktober Unter dem Titel "Der Wutbürger" einen Essay des Journalisten Dirk Kurbjuweit veröffentlichte – wobei: Erfunden hat er den Begriff nicht, eher die Zuschreibung auf eine bestimmte Personengruppe.

Wer hat Wut?

Wer also sind die Wutbürger? Im Kern werden Wutbürger als Personen beschrieben, bei denen sich die drei Eigenheiten


    • nicht arm, eher wohlhabend,
    • nicht mehr jung, eher ab zirka Mitte Fünfzig, und
    • von konservativen Vorstellungen geprägt

mit einem aufgestauten Ärger über politische Entscheidungen und damit "die Politik" verbinden.

Kennzeichnend für die Wutbürger ist, dass als selbstverständlich beziehungsweise sicher geglaubte Verhältnisse um jeden Preis festgezurrt werden sollen. Abwägungen über Konsequenzen für die Zukunft werden ausgeblendet, etwa was das Fahren oder Heizen fossilen Energieträgern betrifft. Andererseits wird eine düstere Zukunft beschworen, wie sie sich beispielsweise angeblich aus dem verstärkten Zuzug von Ausländern ergebe.

Mangelnde persönliche Reife

Die Proteste der Wutbürger sind immer wieder durch ein primitive Kommunikation gekennzeichnet und Verhalten, das jede gute Kinderstube vermissen lässt – und das bei eigentlich gut gebildeten Leuten. Dieses gesellschaftliche Fehlverhalten ist jedoch ist nur ein weiterer Beleg dafür, dass allein fachliche Bildung noch lange nicht zu persönlicher Reife führt. Reife Menschen hingegen werden nicht ausfällig, sondern neigen zu einer beschreibenden Weltsicht und definieren sich als Teil dieser Welt. Das unterstreicht, dass zu einer etwa technischen Ausbildung stets auch kulturelle Bildung gehören muss.

Eins kommt zum anderen: die Energiefrage

Vermutlich sind es immer wieder neue Tröpfchen, die dazu führen, dass die Frustblase beim Bürger überläuft und ihn zum Wutbürger macht. Hinzu kommt ein wahrnehmungspsychologisches Phänomen: Vorurteile suchen nach Bestätigung – was ins Weltbild passt, wird wahrgenommen, was nicht, ausgeblendet. Dabei geht es um Emotionen, nicht um sachliche Überlegungen. Beispiele gibt es zuhauf. Während in den letzten Jahren Erdgas als umweltschonender Energieträger propagiert wurde, soll es zu Heizzwecken plötzlich schlecht sein. Das empfinden viele als politische Willkür.

Hinzu kommen in jüngster Zeit dümmliche Energiesparempfehlungen, die davon ausgehen, dass die Bürger bislang im großen Stil Energie verschwendet haben. Das ist wie bei der Erhöhung der Abgaben auf Kraftstoffe, dann kommen immer wieder die gleichen Tipps zum Spritsparen. Aktuell gehört zu diesen Empfehlungen das Abtauen des Eisfachs im Kühlschrank – Wer macht das nicht? – und die Wartung von Gasheizungen, was 10 bis 15 Prozent des Gasverbrauchs sparen könne. Da sollten die Tippgeber schon wissen, dass Gasheizungen eh turnusmäßig gewartet und außerdem vom Schornsteinfeger überwacht werden.

Tipp:
Ein- bis zweimal jährlich sollte man den Kühl- oder Gefrierschrank abtauen.

Überhaupt der Krieg

Zu Ärger führen auch naive Einschätzungen zum Krieg in der Ukraine. Anfangs wurde sich – man erinnere sich an die russische Militärkarawane in Richtung Kiew – über die störanfällige russische Militärtechnik und die Kommunikation per Walkie-Talkie aus dem Baumarkt lustig gemacht. Heute schwafeln unbedarfte Politiker inklusive einer deutschen Außenministerin vom ukrainischen Sieg über Russland und die Ukrainer über die Rückeroberung der Krim. Gerade die Älteren, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt haben oder in der Nachkriegszeit aufgewachsen sind, fühlen sich angesichts von Siegesphantasien unwohl – sie möchten niemandem zumuten, persönlich den Preis dafür zu zahlen.

Wer dient wem?

Mehr noch: Eine Bundesregierung, die Schaden vom deutschen Volk abwenden soll, tritt auf, als hätte sie ihren Eid auf die Ukraine geschworen und trägt dazu bei, den zu verurteilenden russischen Angriffskrieg die Qualität eines – im Übrigen für beide Seiten aussichtslosen – Stellvertreterkrieges zu geben. Vorauseilend wird im öffentlichen Leben alles Russische zumindest vermieden, eine Veranstaltung wie "Feel Russia", das Festival der russischen Kultur in Dresden im Jahr 2015, wäre heute undenkbar. Gerade in Sachsen tun sich vor allem die Älteren schwer mit der Abkehr von den guten sächsisch-russischen Beziehungen.

Bürokratie fördert Frust

Ein weiterer Punkt ist, dass sich insbesondere die Älteren von der Bürokratie überfordert sehen. Jüngstes Beispiel ist die Datenerhebung zur Grundsteuerreform. Das ist grundsätzlich nur online möglich, man muss ein ELSTER-Konto – das ist die Software des Finanzamtes – einrichten und Angaben machen, die oft genug kaum beizubringen sind. Ältere überfordert das schnell und der Ärger "auf die da oben" wächst weiter. Auch der erzwungene Führerschein-Umtausch stößt auf wenig Gegenliebe.

Eins kommt zum anderen. Alles muss beantragt werden, wenn man denn überhaupt davon erfährt, dass es beantragt werden kann. Wer etwa Angehörige pflegt, kann ein Lied davon singen. Zwar gibt es viele Informationsmöglichkeiten, übersichtlicher wird die Lage dadurch jedoch nicht, unter Umständen steigt die Verwirrung weiter. Allein wenn es um Pflegehilfsmittel geht: Erst muss man schauen, eine möglichst vollständige Liste der Pflegehilfsmittel online zu finden, und dann folgt die Tippeltappeltour zum Antrag, über den auch in akuten Fällen oft erst nach Wochen entschieden wird.

Tipp:
Auf der vorstehend verlinkten Webseite sind viele Hinweise zur Beantragung von Pflegehilfsmitteln zusammengefasst.

Politische Willkür?

Vieles wird als Willkür empfunden. Wenn wegen irgendwelcher Schadstoffwerte jemand seinen Kachelofen nicht mehr betreiben darf, kommt dann Freude auf? Wie viele dieser alten Kachelöfen waren überhaupt noch in Betrieb, als das Verbot kam, war das nennenswert? Mancher entlastete lediglich an besonders kalten Tagen seine Gasheizung damit, eine Umrüstung für diesen Zweck lohnt nicht, obgleich das im Sinne der Gaseinsparung heutzutage politisch gewollt wäre.

Und schon droht neues Ungemach: Ab 2024 sollen neue Heizungsanlagen nur noch mit mindestens 65 Prozent erneuerbaren Energien betrieben werden dürfen, Ziel: Weg vom russischen Erdgas. Den Preis zahlen die Verbraucher: Etwa enorme Stromkosten für den Betrieb von Wärmepumpen, von der Investition in die Geräte und eventuelle neue Heizkörper ganz abgesehen. Wer dann etwa Gas- und Wärmepumpenheizung parallel betreibt, darf sich über den doppelten Wartungsaufwand freuen.

Resümee

Anstatt Älteren Veränderungsunfreundlichkeit vorzuwerfen, sollte der Staat besser weniger in den Alltag und die Entscheidungen seiner Bürger hineinregieren. Dass Wutbürger aus der Mittelschicht der Gesellschaft kommen, hat guten Grund: Während die Oberschicht die Veränderungen weitgehend wegsteckt, konzentrieren sich staatliche Hilfen auf die unteren Einkommen. Das aber führt dazu, dass die Mittelschicht immer stärker belastet wird und nach unten absackt. Dieser Ausdünnungseffekt ist längst nachweisbar. Wer würde da nicht verstehen, dass Wut aufkommt?

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  • Quelle: Thomas Beier | Foto: planet_fox / Alexander Fox | PlaNet Fox, Pixabay License
  • Erstellt am 14.07.2022 - 10:39Uhr | Zuletzt geändert am 14.07.2022 - 17:15Uhr
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