Das Kulturwesen, das entwickelt sich

Das Kulturwesen, das entwickelt sichGörlitz, 26. Februar 2019. Von Thomas Beier. Es gibt in der Kultur Unterscheidungen, deren Grenzen längst verwischen, so etwa zwischen der E-Musik (der ernsten) und der U-Musik (der zu Unterhaltungszwecken). Schaut man sich die Finanzierung kulturbeeinflussender Einrichtungen an, wird gern eine Trennlinie zwischen der "Hochkultur" und dem zwecks Umschiffung des Begriffs Niedrigkultur lieber "Soziokultur" genannten Bereich gezogen. Das Gros der Mittel frisst die Hochkultur, die damit sogar einen Bereich mitfinanziert, der zu Lasten der Moderne eher unter Trivialkultur rangiert, aber ein treues, nach Kölnisch Wasser duftendes Publikum aktiviert.
Abbildung oben: Jana Lübeck, Axel Krüger, Enrico Merker und Mike Altmann

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Soziokultur als Kitt der Gesellschaft

Soziokultur als Kitt der Gesellschaft
Danilo Kuscher kurz vor seinem Vortrag – im Projektionsbild der Beweis, dass Hoch- und Soziokultur nicht zu trennen sind: der Auftritt des Pianisten Martin Kohlstedt im Kühlhaus Görlitz

Gestern, am 25. Februar 2019, hat sich der Motor-Montag der Görlitzer Stadtbewegung Motor Görlitz dem Entwurf zum Görlitzer Kulturentwicklungsplan 2018-2030 (KEP 2030, Download ca. 288KB) gewidmet, der die erste Fortschreibung der Kulturkonzeption der Stadt Görlitz aus dem Jahr 2003 darstellt, jedoch stärker auf Handlungsempfehlungen und Zuständigkeiten setzt. Die Bürger sind einbezogen.

Hauptzielgruppe der Motor-Montage sind Bürger, die sich stärker in Görlitz engagieren möchten, vor allem als Stadträte. Damit sollen die Interessen der Jüngeren, die mit ihren Entscheidungen noch etwas länger leben müssen, besser in die Stadtpolitik und in die Stadtverwaltung eingebracht werden, und zugleich das Stadtrats-Abo mancher Stadträte mittels Kommunalwahl aufgekündigt werden. Ein weiterer Aspekt dürfte sein, im kommenden Stadtrat möglichst viele Bürger aus der Mitte der Gesellschaft zu etablieren, die nicht nur heiße Luft produzieren, sondern den Hebel an den erfolgversprechendsten Punkten ansetzen und die Spannungsbilanz der Stadt verbessern, um deren Prosperität zu sichern.

Vorbei am vielleicht längsten Tresen von Görlitz, im hinteren Teil von "Jakobs Söhne", moderierte Axel Krüger einen Abend, der in dieser Form in den allermeisten anderen Städten so wohl nicht denkbar wäre und schon deshalb für Kultur in Görlitz steht. Eingangs führte Jana Lübeck in die Vorgeschichte des KEP 2030 ein, ehe dann Danilo Kuscher als Vorstandsvorsitzender des Kühlhausvereins (Kühlhaus Görlitz) ein Bild über die Kulturförderung entwarf, das so gar nicht wohlgesalbten Worten entspricht. In seiner Kritik stehen die Konzentration der Stadt auf eigene größere Projekte, die zur Vernachlässigung einzelner Quartiere führt. Auch die Kulturförderung könnte mehr Wirkung entfalten, wenn aus millionenschweren Projekten kleinere Beträge im fünfstelligen Eurobereich bereitgestellt würden.

Insgesamt zeigte sich das Dilemma kulturellen Engagements der Privatwirtschaft: Weil außerhalb des Verwaltungsdenkens kreativ, wird argwöhnische beäugt, durchaus mit dem Hintergedanken "Die wollen doch nur Geld verdienen!". Ja, was denn sonst? Im KEP 2030 findet sich als Zielvorstellung 2030 ein bemerkenswerter Satz: "Zwei Kristallisationspunkte (...) sind das Zentrum für Jugend und Soziokultur sowie das Kühlhaus in Weinhübel geworden, wovon sich letzteres inzwischen erfolgreich als Ort der professionellen Kultur- und Kreativwirtschaft etabliert hat." Dazu ist anzumerken, dass soziokulturelle Angebote, die großenteils auf der Kultur- und Kreativwirtschaft beruhen, heute vor allem durch professionelle Antragstellungen ermöglicht werden, ein Feld, auf dem der Second Attempt e.V., künftiger Betreiber des Zentrums für Jugend und Soziokultur, reüssiert. Beim Kühlhaus klingt das hingegen so, als ob dort nur professionell gewirtschaftet werden müsse, um sich zu finanzieren. Wie es tatsächlich aussieht, ist aus den auf dem Motor-Montag gezeigten Folien ersichtlich.

Es gibt in Sachsen eine ganze Reihe von Akteuren, die mit Herzblut an ihren Projekten hängen und hochwertige Kultur, wenn auch mit dem Stempel "Soziokultur" versehen, zugänglich machen und bei jedem Projekt draufzahlen. Wie das geht? Wer sich in Kunst und Kultur selbständig machen will, sollte sich noch etwas suchen, womit er das nötige Geld dafür verdient. Das versucht nun auch das Kühlhaus, das beispielsweise mit Vermietungen wenigstens einen kleinen Grundstock an Einnahmen sichern will.

Wünschenswert wäre aus Sicht des Kühlhauses:

  • Intensive Auseinandersetzung – Interviews/Gespräche mit Betroffenen und Akteuren, bevor die Stadt handelt
  • Besuche vor Ort für mehr Klarheit und Verständnis
  • Anerkennung und Wertschätzung der einzelnen Potenziale für die Ziele der Stadt
  • Umdenken beim Verhältnis zwischen Hochkultur und bürgernaher Soziokultur

Über Soziokultur sind auch Teile der Bevölkerung erreichbar, die um die Hochkultur eher einen Bogen machen. Soziokultur stellt in gewisser Weise das Bändchen zwischen den gesellschaftlichen Gruppierungen dar, das nicht reißen darf, weil sonst Ausgrenzung und damit Außenseiter entstehen.

Von heute an können sich die Görlitzer noch 16 Tage lang in die Kulturentwicklungsplanung ihrer Stadt einbringen, insbesondere in Bereichen, in denen die Bürgerschaft tatsächlich Einfluss nehmen kann.

Praxistipp:
Man kann Honorarverhandlungen gegenüber öffentlichen Stellen sehr schnell auf den Punkt bringen. Auf die Frage, ob ich beim Honorar noch etwas entgegenkommen könne, antworte ich regelmäßig mit der Gegenfrage, ob man auch mit dem Gehalt etwas entgegenkommen könne, um das Projekt zu ermöglichen.

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  • Quelle: Thomas Beier | Fotos: Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 26.02.2019 - 08:31Uhr | Zuletzt geändert am 18.03.2021 - 09:21Uhr
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