Orte der Friedlichen Revolution in Görlitz

Orte der Friedlichen Revolution in GörlitzGörlitz, 26. September 2019. Die Görlitzer Sammlungen laden anlässlich des Kommunalen Gedenktages am 6. Oktober 2019 zur Erinnerung an die Friedliche Revolution vor 30 Jahren an zwei Terminen zum Kulturgeschichtlichen Spaziergang. Besucht werden Orte in Görlitz, die 1989 und 1990 mit der Friedlichen Revolution verbunden waren.
Abbildung: Vor drei Jahren sammelte das Kulturhistorische Museum das, was die Görlitzer mit der "DDR" verbindet, und stellte es im Kaisertrutz aus

Anzeige

Wie die Revolution nach Görlitz kam

Thema: Menschenrechte

Menschenrechte

Menschenrechte sind weltweit Thema. Die Erinnerung an die "sozialistische Rechtsprechung" und das SED-Unrecht sowie die vorangegangene Nazi-Diktatur mahnen, auch in Deutschland Menschenrechte und Demokratie nicht als selbstverständlich hinzunehmen, sondern immer wieder dafür einzutreten.

Die beiden Spaziergänge, die von der Historikerin Ines Haaser geleitet werden, beginnen am Gebäude der SED-Kreisleitung – heute zum Landratsamt gehörend – auf der Berliner Straße 36 (Ecke Bahnhofstraße) und führen zum Ort des ersten Friedensgebets, der Görlitzer Frauenkirche. Von dort geht es weiter zum Marienplatz, wo Demonstrationen stattfanden. Vorbei am Rathaus auf dem Untermarkt soll am Ende des Rundganges das Wichernhaus stehen. Hier entstand am 26. Oktober 1989 das Neue Forum.

In den Achtzigerjahren wuchs der Unmut der Bevölkerung in der DDR über fehlende Freiheiten, schlechte Versorgung und kaputtgehende Städte. Trotz der Abschottung gegen die Demokratisierung in Polen und der Verweigerung gegen die in der Sowjetunion aufkommende Politik von Glasnost (Transparenz) und Perestrojka (Umbau) ließ sich der Drang der Bevölkerung nach freien und geheimen Wahlen nicht weiter unterdrücken. Zum endgültigen Bruch zwischen den Regierenden der linken Diktatur und der Bevölkerung führten die nachweislich gefälschten Kommunalwahl-Ergebnisse vom Mai 1989.

In Görlitz begann sich die Opposition unter dem Dach der evangelischen Kirche zu formieren: Am Vorabend des 40. Jahrestages der DDR, am 6. Oktober 1989, fand in der Görlitzer Frauenkirche das erste Friedensgebet in der Neißestadt statt. Mehr als 800 Menschen versammelten sich dort, in den darauffolgenden Wochen stieg die Anzahl der Teilnehmer stetig weiter an.

Am 2. Dezember 1989 forderten 5.000 Görlitzer Demokratie und freie Wahlen und am 5. Dezember 1989 inspizierte und versiegelte das Neue Forum die Kreisdienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit. Wenig später folgten in Görlitz die ersten Verhandlungen zwischen den Vertretern der Opposition, den Blockparteien und der SED am "Runden Tisch".

Seit 2010 ist der 6. Oktober in Görlitz ein Kommunaler Gedenktag, an dem an die friedliche Revolution vom Herbst 1989 erinnert wird.

Mitlaufen!
Montag, 7. Oktober 2019, und Montag, 21. Oktober 2019 (nicht wie ursprünglich gemeldet am 14. Oktober), je 16 Uhr,
Treff Berliner Straße 36 (Nähe Bahnhofsvorplatz), 02826 Görlitz.

Anmelden, unbedingt!

Tel. 03581 - 67-1420
Dienstag bis Donnerstag von 10 bis 17 Uhr,
Freitag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr.



Kommentar:

Man könnte in manchen Darstellungen glatt den Eindruck gewinnen, das sei keine friedliche Revolution gewesen, sondern eine kirchliche. Mitnichten. Zwar hatten die Christen in Görlitz die Idee der Friedensgebete aufgeschnappt, doch vom Vorspiel der Revolution war im Tal der Ahnungslosen, das nicht nur von den Telemedien des Westens, sondern auch von den außeroffiziellen Entwicklungen in der "DDR" weitgehend abgeschnitten war, wohl nur in kulturell-künstlerisch interessierten Kreisen etwas angekommen.

Nein, nicht die Kirche, die sich großenteils mit ihrer Rolle als "Kirche im Sozialismus" abgefunden hatte, hatte das Brodeln, das zum Einsturz der SED-Diktatur führte, ausgelöst, sondern es waren die Künstler und Intellektuellen. Nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann im Jahr 1976 waren sie es mit der Erklärung der Berliner Künstler vom 17. November 1976, die dafür sorgten, dass die SED nie wieder den Deckel auf den Topf bekam. Die Erstunterzeichner waren Schriftsteller: Erich Arendt, Jurek Becker, Volker Braun, Franz Fühmann, Stefan Hermlin, Stefan Heym, Sarah Kirsch, Günter Kunert, Heiner Müller, Rolf Schneider, Christa Wolf, Gerhard Wolf. Später solidarisierten sich Musiker wie Klaus Bartsch, Nina Hagen, Christian Kunert und Thomas Schoppe von Renft, die Liedermacherin Bettina Wegener, der Schriftsteller Fritz Rudolf Fries und Jürgen Fuchs, der Wissenschaftler Robert Havemann, Schaupieler wie Manfred Krug, Hilmar Thate, Angelika Domröse, Katharina Thalbach, Rolf Ludwig, Käte Reichelt, Jutta Hoffmann, Eva-Maria Hagen und andere mehr. Viele von verließen das eingezäunte Staatsgebilde und machten den Zurückgebliebenen damit klar, dass die Zukunft hier sehr begrenzt ist.

Eine Rolle im festgefahrenen SED-Staat spielten zu dessen Auklang die Umweltbiliotheken, die sich Friedens-, Umwelt und Menschenrechtsfragen widmeten. Nach der Berliner war als zweite von zuletzt etwa 30 Umweltbibliotheken in der "DDR" 1987 die in Großhennersdorf entstanden. Sie existiert noch heute. Überhaupt, schaut man sich die Wurzeln der Friedlichen Revolution an, so muss man manchem Unternehmer im Landkreis Görlitz, der meint, die Kultur sei ein abhängiges Anhängel der Wirtschaftsleistung, sagen: "Ohne die Protagonisten der Kulturszene in den Siebzigern und den Achtzigern gäbe es Dein Unternehmen nicht."

Die eigentliche Friedliche Revolution hatte ihr Zentrum in Leipzig, wo die Montagsdemonstrationen unter dem Ruf "Keine Gewalt!" dafür sorgten, dass den Funktionären das Zepter entglitt. Die von Berliner Theaterkünstlern organisierte Demonstration vom 4. November 1989 war zwar mit knapp einer Million Teilnehmern die bislang größte in Deutschland, aber ordentlich angemeldet und von der Stasi beeinflusst.

Mit Blick auf Görlitz erscheint es immer wieder faszinierend, wer alles noch in den Zeiten der Agonie der "DDR" in die SED, die Sozialistische Einheitspartei, eingetreten ist, aus Überzeugung oder zu Karrierezwecken. So mancher ist ja dann nach der Wiedervereinigung auf verantwortlichem Posten wieder aufgetaucht wie Phönix aus der Asche.

Ein Rundgang zu deren Wirkungsstätten wäre auch interessant,

meint Ihr Thomas Beier

Kommentare Lesermeinungen (0)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Schreiben Sie Ihre Meinung!

Name:
Email:
Betreff:
Kommentar:
 
Informieren Sie mich über andere Lesermeinungen per E-Mail
 
 
 
Weitere Artikel aus dem Ressort Weitere Artikel
  • Quelle: red | Kommentar. Thomas Beier | Foto: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 26.09.2019 - 11:12Uhr | Zuletzt geändert am 27.09.2019 - 10:13Uhr
  • drucken Seite drucken
Anzeige