Zu Oberbürgermeisterwahl in Görlitz
Görlitz. Bei vielen Görlitzern ist der Eindruck entstanden, dass es wohl kein ernstzunehmendes Medium des geschriebenen Wortes in der Stadt gibt, dass nicht eine gewissen Tendenz für diesen oder jenen Kandidaten entwickelt. Die Frage ist, inwieweit das gewollt ist oder sich aus dem Umständen ergibt. Für den Görlitzer Anzeiger ist festzuhalten, dass etliche Leser die Möglichkeit genutzt haben, ihre Meinung online zu veröffentlichen - ein Weg, der jedem freisteht, solange die Grundsätze von Demokratie und Anstand gewahrt bleiben und nicht bloße Behauptungen aufgestellt werden. Wenn nun ein Kandidat in den Lesermeinungen kaum Unterstützung findet, ist das dem Görlitzer Anzeiger nicht anzulasten (ebenso wenig wie anderen Portalen, siehe Link ganz unten). Auch ist es Sache der Wahlkämpfer, wenn der Görlitzer Anzeiger nur von einem der Kandidaten Informationen erhält und Fragen beantwortet bekommt. Allerdings hindert das den Görlitzer Anzeiger nicht, Fragen, die die Menschen in Görlitz bewegen, zu thematisieren und selbst Fragen zu stellen. Eine Frage wäre beispielsweise, wie die Wahlmüdigkeit der Görlitzer zu erklären ist. Eine Wahlbeteiligung von mehr als fünfzig Prozent der Stimmberechtigten wäre für Görlitzer Verhältnisse ein Erfolg - woher kommt das? Ist es die Arbeit des Stadtrates in den letzten Jahren, von der sich die Görlitzer kopfschüttelnd abwenden? Ist es der ständige Versuch, ein negatives Bild des Oberbürgermeisters, der auf die erfolgreichste Entwicklungsperiode der Stadt seit vielen Jahrzehnten verweisen kann, zu erzeugen - nur weil der sich dem Wohl der Stadt und nicht den Parteien oder irgendwelchen Hinterzimmern verpflichtet fühlt? Der Redaktion ist gerade in den letzten Tagen immer wieder „belastendes“ Material über einen der Kandidaten zugegangen ist, von dessen Veröffentlichung bislang abgesehen wurde. Was Jahrzehnte zurückliegt, sollte im Bodensatz der Geschickte versunken bleiben und nicht aufgewühlt werden, um heute eine Person zu beschädigen - es sei denn, die Fakten müssen auf den Tisch, weil der Umgang damit durch den Betreffenden selbst neue Fragen aufwirft.
„Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“
Thema: Oberbürgermeisterwahl Görlitz
Am 26. Mai 2019 wird in Görlitz im ersten Wahlgang über einen neuen Oberbürgermeister resp. eine neue Oberbürgermeisterin abgestimmt. Amtsinhaber Siegfried Deinege tritt nicht noch einmal an.
- Glückwunsch und Wunsch nach Veränderung [17.06.2019]
- Ursu dankt seinen Wählern [17.06.2019]
- Weißer Rauch über dem Görlitzer Rathaus [17.06.2019]
Das Zitat von Francis Picabia trifft auf den Oberbürgermeisterbewerber Siegfried Deinege bestimmt zu, wie man auf den erdrückend vielen Plakaten im Görlitzer Stadtbild sehen kann. Abgesehen davon, dass auf diese Weise Wahlkampf zur Materialschlacht verkommt und versucht werden soll, einen Kandidaten durch den Einsatz finanzieller Ressourcen zu platzieren, ist es Deinege durchaus zuzugestehen, unter seine DDR-Vergangenheit einen Schlussstrich zu ziehen - wenn er es nur täte.
Am 17. April 2012 antwortete er im Görlitzer Humboldt-Haus während eines Forums auf die Frage eine Teilnehmers: „Ich war in einer Führungsperson im Waggonbau Görlitz als Abteilungsleiter; war eine separate Abteilung, in der habe ich gearbeitet, das war die Gesenkschmiede und diese Gesenkschmiede wollte ich führen, wie ich es für richtig halte. Also als eine separate Einheit, als separate Gruppe. Die wurde/ hat eigentlich mit dem Waggonbau nicht viel zu tun. Ich dachte zu dieser Zeit, übrigens nach dem ersten Studium, dass ich das so machen kann, wie ich denke, wenn ich in die Partei eintrete und ich bin auch wieder ausgetreten aus der Partei. In dieser Zeit habe ich nicht als Parteifunktionär gearbeitet, sondern als Abteilungsleiter. Das war eine Beteiligung von 10 Mitgliedern. Ich war weder Mitglied der Parteileitung noch Mitglied der … oder Parteisekretär … in keiner Weise … Ich war in dieser Partei, das gehört zu meinem Leben…“
Kein Wort der Distanzierung von der Tatsache, durch die Mitgliedschaft in der SED oder als Abteilungsparteisekretär und Kampfgruppenmitglied das DDR-System freiwillig und aktiv unterstützt zu haben. Das ist eine schallende Ohrfeige für alle SED-Opfer und selbst für jene, die aus religiösen oder politischen Gründen (nur) auf eine höhere Ausbildung oder berufliches Fortkommenden für sich oder sogar ihre Kinder verzichten mussten.
Fast jeder Satz Deineges scheint ein Widerspruch in sich. „führen, wie ich es für richtig halte“ - gerade das dürfte einem SED-Mitglied, das stets die Vorgaben der Partei beachten musste, unmöglich gewesen sein, es sei denn, man hält diese für richtig. Ein Leser des Görlitzer Anzeigers bezeichnet in einer Zuschrift die damalige Gesenkschmiede als „roten Haufen“ innerhalb des Waggonbaus. Längst kursieren im Internet Zeitungsausrisse, die Deinege zeigen unter der Überschrift „Unsere neugewählten APO-Sekretäre vorgestellt“ mit der Bildunterschrift „Er wurde wiedergewählt: Siegfried Deinege, APO 4 Schmiede“ oder es heißt „Verdienstvolle Kämpfer geehrt, Medaille für ausgezeichnete Leistungen, Siegfried Deinege Schmiede“.
In den „Informationen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ (Quelle: http://www.stasiopfer.de/component/option,com_simpleboard/Itemid,/func,view/id,1057761671/catid,4/ ) ist zu lesen: „Und der letzte SED-Parteisekretär hat es bis zum Bombardier-Manager gebracht.“ Mehr noch: Oberbürgermeister will Deinege werden in einer Stadt, die einem Platz in ehrendem Gedenken den Namen „Platz des 17. Juni“ gab. Wie dem genannten Betrag zu entnehmen ist, müsste dieser Tag des Arbeiteraufstandes in der DDR zu „den größten Stunden der Unternehmensgeschichte“ gehören. Doch zu lesen ist weiter: „'In Görlitz hat fast jeder Dritte keine Arbeit, die Leute haben andere Probleme als Gedenktage', sagt Werksleiter Siegfried Deinege. Doch das ist wohl nicht die ganze Wahrheit.“
Fazit
Aussagen und Fakten kann jeder selbst vergleichen. Der sich darin auftuende Widerspruch ist es, der die Vergangenheit nicht zur Ruhe kommen lässt und eine an sich hervorragende Führungspersönlichkeit in ihrer Eignung für ein öffentliches Amt in Frage stellt.
Mehr:
Auch auf anderen Internet-Portalen wird über die Oberbürgermeister-Kandidaten disktuiert, beispielsweise:
Lesermeinungen auf Alles-Lausitz.de
Wer die DDR-Zeit nicht selbst bewusst erlebt hat, kann in den hier verlinkten wissenschaftlichen Beiträgen der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mehr erfahren, u.a. zu den Themen Menschenrechte, DDR-Grenzöffnung nach Polen und Kampfgruppen:
Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur / Stipreader06, ca. 2,46MB
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- Quelle: Fritz Rudolph Stänker
- Erstellt am 21.04.2012 - 08:48Uhr | Zuletzt geändert am 21.04.2012 - 09:05Uhr
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