Vorwärts, Kameraden! Wir marschieren zurück!

Ein Hauch von 0,2 Prozent Plus oder eine Delle von zwei Prozent Minus - das Jahr 2009 hat sicher mehr zu bieten als eine Wirtschaftskrise. Das Ende ist nahe! Mit dieser Parole - so scheint´s - haben Politiker und Wirtschaftsinstitute mit Unterstützung der Medien die Menschen in einen neuen vorweihnachtlichen Kaufrausch getrieben. Doch die Freude des Handels konnte die dunklen Krisenwolken am Rezessionshimmel nicht vertreiben.

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Die Krise ist eine Kiste voller Chancen

Was ist dran an der Krise, wie stark wird sie uns treffen? Danach fragt zurzeit auch Romy Ebert, Journalistik-Studentin aus Zittau, bei den Mittelständlern der Ostsachsen-Region. Die Antworten sind erstaunlich offen und reichen vom „Es geht uns doch gut!“ bis zu „An uns ist der Aufschwung vorbeigegangen. Also brauchen wir die Krise nicht zu fürchten!“.

Die meisten Menschen im äußersten Osten Deutschlands haben eine Wirtschaftskrise, die drastische Einschränkungen auch im privaten Leben mit sich bringt, noch nie erlebt. Hunger, Kälte, Wohnungslosigkeit sind seit dem Nachkriegsaufschwung Fremdworte geblieben.

Was sich nun als Krise abzeichnet, wurde durch die Finanzmarktkrise - man könnte im übertragenen Sinne sagen, dem zügellosen und vor Gier geprägten Handel mit ungedeckten Schecks - ausgelöst.

Obgleich: Gekommen wäre die Wirtschaftskrise in jedem Falle: Man kann nicht in jedem Jahr mehr Autos verkaufen. Man kann nicht ständig hochergiebige Wachstumssegmente finden. Neu ist das wahrlich nicht, siehe: „Die Grenzen des Wachstums“, Club of Rome, 1973.

Das Gejammer von Konzernlenkern, die in den vergangenen Jahren satte Gewinne eingestrichen haben, über Absatzrückgänge von zehn oder zwanzig Prozent tut jedem Mittelständler weh: Der verschleudert seine Gewinne nämlich nicht, sondern legt was beiseite für schlechte Zeiten - weil sein persönliches Schicksal mit dem seines Unternehmens verknüpft ist. Und schon sind die Stimmen zu hören, dass es Deutschland nicht so hart treffen werde wegen des robusten Mittelstands. Wenn es aber den Mittelstand trifft, dann trifft es Deutschland richtig.

Was macht die Regierung? Sie erlässt die Kfz-Steuern auf Neuwagen. Ein symbolischer Akt, der nichts bewegen dürfte, denn wer mit dem Gedanken an einen Neuwagen spielt, für den sind die Steuern nicht das Zünglein an der Waage.

Insgesamt muss man der Bundesregierung zugute halten, dass sie sich mit Konjunkturpaketen zurückhält. Was sollen auch Konsumgutscheine, mit denen international ausgerichtete Handelsketten am Verkauf von Waren aus Rotchina profitieren? Was sollen Steuersenkungen, die lediglich Mitnahmeeffekte für Gutverdiener erzeugen?

Erwartet wird von der Bundesregierung ein klares „Da geht´s lang!“, das sie in der globalisierten Welt jedoch nicht mehr vorgeben kann. Oder doch? Warum gibt es eigentlich keine - technologisch längst möglichen - Elektroautos als Zweitwagen für Nahpendler? Warum die Lücken in der Breitbandversorgung? Warum wird es für Kleinstunternehmer immer schwieriger, sich ein Auskommen zu erwirtschaften, die Bürokratie zu beherrschen?

Was tut sich vor Ort? Optimistisch stimmt, wenn der Landkreis Görlitz jetzt etwas weiter als direkt hinter die Grenze schaut und mittels Besuch durch die Großkopfeten des Landkreises die Kontakte in die Ukraine forcieren will (siehe Beitrag „Ost-Orientierung“). Dem Mittelstand ist zu wünschen, dass sich schnell Ergebnisse abzeichnen, den Künstlern natürlich auch. Aber auf der Ostlandfahrt ein Abteil für Vertreter der Realwirtschaft zu reservieren, wäre doch eine gute Idee?

Für die Stadt Görlitz muss man wohl etwas weiter unten ansetzen bei der Erkenntnis, dass eine gedeihliche Entwicklung nur dann Schritt für Schritt vorankommt, wenn Verwaltung und Stadtrat an einem Strang ziehen. In diesem Prozess hat der Oberbürgermeister die Sisyphusarbeit, den Stadtrat auf Notwendigkeiten und das Mögliche einzuschwören.

Mittelfrtistige Perspektiven sind für die Stadt wichtiger als kurzfristige Aktionen. Der Abriss intakter Wohngebäude ist Ausdruck höchster Phantasielosigkeit. Die Stadt braucht den Zuzug junger gut ausgebildeter Menschen. Andere Regionen wären heilfroh, wenn sie dieser Zielgruppe preiswerten Wohnraum, ein interessantes Umfeld und Rahmenbedingungen für Start-Ups zur Verfügung stellen könnten. Aber was soll man erwarten von einer Stadt, in der - wie geschehen - Arbeitsberater jungen Leuten von einem anspruchsvollen Studium abraten: "Lernen Sie lieber einen richtigen Beruf!"

Das Stadtmarketing läuft mittlerweile Gefahr, für die Touristenzielgruppe potemkinsche Dörfer aufzubauen - je mehr Erwartungen geschürt werden, um so größer die Wahrscheinlichkeit der Enttäuschung. Vielleicht könnte man einen Teil diese Kapazitäten abzweigen, um den Zuzug junger Leute - die sich eine Existenz aufbauen wollen, Kinder in die Welt setzen, für Fluktuation sorgen - anzuregen?

Ein jeder hat sein Päckel zu tragen. Möge Ihnen das, liebe Leserin, lieber Leser, im Jahr 2009 möglichst leicht fallen, damit Zeit bleibt für Herausforderungen und visionäre Gedanken an 2015 und 2020. Zeit für Wehklagen gibt es hingegen nicht.

Deutschland ist ein ziemlich gesundes Land. Mögen im Superwahljahr diejenigen die Oberhand gewinnen, die pragmatisch vorgehen und mit möglichst wenig persönlichen Eitelkeiten Verantwortung übernehmen wollen.

Ihr Fritz R. Stänker

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  • Quelle: /FRS
  • Erstellt am 31.12.2008 - 08:28Uhr | Zuletzt geändert am 31.12.2008 - 10:05Uhr
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