Augen zu und durch?
Landkreis Görlitz, 8. Juli 2020. An sich sind Portalpraxen nichts Schlechtes, die ÄrzteZeitung nennt sie gar das Modell der Zukunft. Wenn da in der riesige Fläche der Ostsächsichen Landkreise nicht nur eine einzige Augenarzt-Bereitschaftspraxis wäre...
Jens Hentschel-Thöricht: Landkreis Görlitz immer mehr auf dem Abstellgleis
Ab Oktober 2020 behandeln Augenärzte im Bereitschaftsdienst in Ostsachsen Patienten nur noch in einer Portalpraxis im Klinikum Bautzen.
Für die gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag Susanne Schaper ein Unding: "Von der in der letzten Legislaturperiode im Koalitionsvertrag versprochenen wohnortnahen und flächendeckenden medizinischen Versorgung ist nicht viel übrig geblieben. So müssen ab Oktober diesen Jahres Patientinnen und Patienten an Wochenenden oder in den Abendstunden bis zu 50 Kilometer zurücklegen, wenn sie einen Augennotfall erleiden. Wer dazu den öffentlichen Personennahverkehr nutzen will oder muss, weil man mit Problemen am Auge besser nicht selbst Auto fahren sollte, muss mindestens eine Stunde Fahrtzeit einplanen. Ein untragbarer Zustand, der die Menschen dann erwartet und deutlich macht, dass Zentralisierung von Gesundheitsleistungen nicht immer sinnvoll ist. Erst recht nicht, wenn die Rahmenbedingungen, wie ein gut funktionierender ÖPNV nicht gegeben sind. Am Ende werden Notärzte und Rettungsdienste die Leidtragenden einer solchen Politik sein, weil sie dann beispielsweise wegen Schmutzpartikeln im Auge Patientinnen und Patienten von Zittau nach Bautzen bringen müssen."
Jens Hentschel-Thöricht, linker Kreisrat und Mitglied im Ausschuss Gesundheit und Soziales des Landkreises Görlitz, stößt ins gleich Horn: "Wieder einmal schlechte Nachrichten für den Landkreis Görlitz. Arbeitnehmer verdienen im Landkreis im bundesweiten Vergleich mit am wenigsten, die Sozialausgaben sprechen ebenfalls eine katastrophale Sprache. Und nun dürfen sich die Menschen bei einem Augennotfall auch noch auf den Weg in den benachbarten Landkreis Bautzen machen. Mir kommt es immer mehr so vor, dass der Landkreis Görlitz bei der Landes- und Bundespolitik sowie nun auch bei der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen als aussterbende Region angesehen und daher als nicht beachtenswert eingestuft wird."
Kommentar:
Die Gesundheitsversorgung ändert sich, der Facharzt mit Hausarztcharakter – der, zu dem die Familie schon immer ging – stirbt aus und wird ersetzt durch die Portalpraxen. Hier findet eine Triage statt: Es wird entschieden, wer wie dringend und durch wen behandelt wird. Das mag Kosten sparen, weil Krankenhausärzte und niedergelassene Ärzte auf diese Weise vernetzt werden, ist aber zugleich Ausdruck des Mangels an niedergelassenen Ärzten.
Und dieser Mangel besteht tatsächlich: Nicht nur, dass man in Görlitz durchaus ein halbes Jahr auf einen Routine-Augenarzttermin warten muss, generell ist es nahezu unmöglich, einen Allgemeinmediziner als Hausarzt zu gewinnen. Nach Görlitz Zugezogene werden abgewimmelt: "Sie können ja in einem Jahr wieder mal anrufen" – das gab es bisher nur im sozialistischen Einzelhandel. Oder man wird aufgeklärt: "Neue Patienten nehmen wir nur auf Empfehlung!" Schon sind eigentlich hochwillkommene Neugörlitzer wieder weggezogen, zu viele Ungereimtheiten tun sich im Alltag für viele auf, der aus einer funktionierenden Welt an die Neiße gezogen sind.
Klar kann man argumentieren, ob man nun im Notfall aus Weißwasser oder Zittau nach Görlitz oder Bautzen fährt, ist ziemlich egal. Aber der Rückzug der Gesundheitsdienstleister aus der Fläche, die magelhafte Bedarfsdeckung, das ist nicht egal.
Stell' dir vor, du holst dir ein blaues Auge und bekommst den Tipp, dich ins Auto zu setzen und von Görlitz nach Bautzen zu fahren – so lange du noch so selbständig bist. So entsteht Wut,
befürchtet Ihr Thomas Beier
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- Erstellt am 08.07.2020 - 17:12Uhr | Zuletzt geändert am 28.09.2020 - 06:30Uhr
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