Zusatztag für Lesebühne in Görlitz

Zusatztag für Lesebühne in GörlitzGörlitz, 17. Februar 2019. "Gib mir noch einen Tag mehr!", fleht so mancher Dahinscheidende. Doch weder für die Görlitzer Lesebühne Hospitalstraße noch für ihre beiden Moderatoren, die trotz steigender Zahl die Blüte ihrer Jahre nicht verlassen wollen, ist der Abschiedstag gekommen – ganz im Gegenteil: Der Zusatztag des Schaltjahres inspiriert zu neuen geistigen Höhenflügen.

Verwenden noch immer ihre PR-Fotos aus der Jugendzeit: Mike Altmann (li.) und Axel Krüger
Foto: Paul Glaser, glaserfotografie.de
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Der Schmidtler und byebye zu Gast bei Krüger & Altmann

Thema: Lesebühnen

Lesebühnen

Lesebühnen sind in Görlitz fester Kulturbestandteil - teils musikalisch unterlegt, teils mit Autoren von vor Ort, teils mit weitgereisten Schreib- und Lesenden.

Bevor der Görlitzer Anzeiger weiter in popliterarischen Gefilden schwelgt zunächst für die digitale Generation eine kurze Einführung in die ach so analoge Schaltjahresproblematik. Ein Erdenjahr dauert 365 Tage, fünf Stunden, 48 Minuten und 45 Sekunden. Mit dem Smartphone in der Hosentasche wäre das gut beherrschbar, nur haben sich Leute über diese ziemlich krumme Jahresdauer Gedanken gemacht, als der Baum der Erkenntnis zwar schon mal den Apfel (wenn Sie wissen, was ich meine), aber noch nicht das erste Smartphone hervorgebracht hatte. Es musste also etwas her, was heutzutage rar geworden ist: ein Kompromiss.

Den schaffte Papst Gregor XIII., der den Julianischen Kalender, der das Schaltjahr bereits kannte, weiter flexibilisierte. Seinen Namen hat der Vorgänger-Kalender, der Julianische, von Julias Caesar, der ihn von den alten Ägyptern abkupferte und schon im Jahr 45 vor unserer Zeitrechnung im römischen Reich einführte, womit sich viele orthodoxe und altorientalische Kirchen allerdings bis heute schwertun. So ist in der orthodoxen Welt, die noch am Julianischen Kalender festhält, Weihnachten nach dem Gregorianischen Kalender erst am 7. Januar, was aber die betreffenden Kreise nicht dazu verleiten sollte, der Weihnachtsgans gleich zweimal zu frönen.

Der von Gregor eingeführte Kompromiss bestand im Ausgleich: Alle vier Jahre wird das Kalenderjahr um einen Tag verlängert, den 29. Februar, was den an diesem Tag Geborenen die Geburtstagsfeiern in der Quantität auf 25 Prozent zusammenschmelzen lässt. Allerdings ist mit diesem Zusatztag der Ausgleich noch nicht perfekt, weshalb das Schaltjahr alle hundert Jahre entfällt, allerdings alle 400 Jahre doch stattfindet. Compris? Wenn nicht, ist's auch nicht schlimm, das Smartphone weiß das und überhaupt: hundert Jahre...

Sternstunde des Moderatorendaseins

Jedenfalls ist das Jahr 2020 so ein Schaltjahr und die beiden Lesebühnen-Moderatoren Axel Krüger und Mike Altmann frohlocken seit der Silvesternacht – in der sie erkannten, dass das neue Jahr nun unausweichlich angekommen war und voranschreiten würde – in doppelter Hinsicht: Ihre Altersphase verlängert sich nicht nur um einen Tag, sondern dieser Tag fällt auch noch auf einen Sonnabend! Den Seinen gibt's der Herr im Schlafe und Krüger & Altmann wären nicht Krüger & Altmann, hätten sie die vom Himmel geschenkte Gelegenheit nicht beim Schopfe ergriffen, um im APOLLO-Theater Görlitz an diesem Tag nach Herzenslust und Geisteslaune zu schalten und zu walten.

Wort und Klang auf der Lesebühne

Die Stammautoren begrüßen am letzten Februartag illustre Gäste auf den Brettern der Lesebühne Hospitalstraße. Den Wortbereich repräsentiert Carsten Schmidt, Autor aus Görlitz. Er ist seit gut einem Jahr weitestgehend erfolgreich integrierter Görlitzer Bürger – ein echter Görlitzer also, als Hinweis für alle, die sich in zwanghafter Unterscheidung zwischen Alt- und Neu-Görlitzern ständig den und damit dem Alten zurechnen und sich so selbst als veraltend diskreditieren. Dieser Carsten Schmidt also hat sich erfrecht, seine Erlebnisse in der Stadt der Türmer directement in einem Gedichtband zu verarbeiten, der unter dem liebenswerten Titel "Ach du Neiße. Görlitz im Selbstversuch" beispielsweise im gut sortierten Art Goreliz-Buchladen auf der Brüderstraße (1A-Citylage), der für viele der Lieblingsstöberbuchlanden in Görlitz ist, erworben werden kann.

Nun ja, nicht nur der Buchladen ist spannend, auch das Buch ist es, weil es den so nötigen klugen Blick von außen auf die Stadt auf poetische Weise widerspiegelt. Es ist immer wieder eine Bereicherung, ehrlich-intime Reflexionen über die Stadt zu erfahren, weshalb "der Schmidtler" mit aller Konsequenz wie ein Zimmermannsnagel in die Lesebühnenbretter einschlagen wird.

Doch auch oder gerade in Görlitz kommt jeder Vorleser an den Punkt, an dem es im Publikum raunt "Was braucht's der Worte mehr..." und der aufkeimende Wunsch nach musikalischer Unterhaltung immer heftiger vom Vortrag ablenkt. Mit dem Duo byebye aus Leipzig, das die endfebruarliche Lesebühne bereichert, kann man den Worten allerdings nicht so richtig entrinnen: Neben zahlreichen Publikums- und Jurypreisen hat dieses bemerkenswerte Duo als Gewinner beinahe aller deutschen Musik-Slam-Contests seinen Namen in die einschlägige Fachwelt getragen. Das aktuelle byebye-Album "Eine dir unbekannte Band" wurde für den Preis der deutschen Schallplattenkritik nominiert und in Presse und Radio für die deutschen Texte gelobt. Das stimmt froh und hoffnungsvoll, denn die Kultur der gegenseitigen Anerkennung und gar des Lobes für den anderen ist in in Deutschland mehr denn je ausbaufähig.

Zwei und zwei, das macht vier

Es gibt also zwei Gründe, den Abend dieses bemerkenswerten 29. Februars der Lesebühne Hospitalstraße zu widmen: Es ist die schöne Kombination aus dem Schmidtler und byebye – ja, tatsächlich, irgendwann geht auch in Görlitz der Ankunftsschmerz vorbyebye. Die anderen beiden Gründe hingegen wiegen nicht so schwer, als dass die vom Besuch des Abends abhalten könnten: Krüger & Altmann. Auch ihnen verleiht das Rampenlicht der Bühne eine positive Aura und es ist nicht sonderlich übertrieben, ihren Worten eine messianische Wirkung zuzuschreiben, werden sie doch nicht müde, die Vorzüge des Lebens an der Lausitzer Neiße zu lobpreisen – ach du Neiße!

Prädikat: Unbedingt hingehen!
Sonnabend, 29. Februar 2020, Abendkasse 19 Uhr, betretene Bühne ab 19.30 Uhr,
APOLLO Theater, Hospitalstraße 2, 02826 Görlitz

Tickets:
The same procedere: Von kultursinnigem Feingeist und Zuneigung zum kulturellen Engagement in Görlitz zeugt, wer sich seine Eintrittskarten im Vorverkauf zulegt, vielleicht noch eine mehr zum Verschenken oder als Überraschung für den Überraschungsgast. Der Kaufakt gestaltet sich erfolgversprechend im Dialog mit den Damen der Theaterkasse des Gerhart-Hauptmann-Theaters auf dem Demianiplatz. Schnöde online klappt's auch: g-h-t.de macht es irgendwie möglich. Dass so ein Eintrittsbillett zwölf Euro kostet, ist im Grunde genommen reine Nebensache und wiegt den Wert der Veranstaltungsteilnahme bei weitem nicht auf.

Wer gerne noch ein weiteres Buch hätte, dessen Augenmerk sei hierauf gelenkt:
Carsten Schmidt: Ausgekafkat
Ein Lebensversuch im Land der Dichter und Denker
Roman, 240 Seiten
Erschienen im Drava Verlag unter ISBN-10: 3854358954 / ISBN-13: 9783854358954
Zu erheischen im Buchladen oder als eBook oder als Hörbuch.

Tipp!
Haus Kafka

Ergebnis: Welcher würde mir als Schwiedersohn besser gefallen?

Axel Krüger (50%)
 
Mike Altmann (50%)
 
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Umfrage seit dem 17.02.2020
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  • Quelle: red | Foto: Paul Glaser, glaserfotografie.de
  • Erstellt am 17.02.2020 - 08:00Uhr | Zuletzt geändert am 17.02.2020 - 10:18Uhr
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