Hertie soll bleiben

Görlitz-Zgorzelec. Die Stadt Görlitz unterstützt eine Initiative der Stadt Wesseling zum Erhalt der Hertie-Häuser. Wesselings Bürgermeister Günter Ditgens hat die Bürgermeister von betroffenen Kommunen aufgefordert, sich einer Resolution anzuschließen. Gemeinsam sollen Bundeswirtschaftsminister Michael Glos und die jeweiligen Ministerpräsidenten der Länder dazu bewegt werden, persönlich für den Erhalt der Hertie-Warenhäuser zu intervenieren. Neosozialistische Blauäugigkeit nennt das Fritz R. Stänker in seinem Kommentar.

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Neosozialistische Blauäugigkeit, sagt Fritz R. Stänker

Von der Hertie-Insolvenz sind 72 Standorte mit rund 4.100 Mitarbeitern in Deutschland betroffen. In Sachsen gibt es nur ein Hertie-Kaufhaus - das Jugendstil-Kaufhaus in Görlitz. Hier stehen 51 Arbeitsplätze auf der Kippe.

Auch der Görlitzer Bürgermeister Stefan Holthaus ist angesichts der drohenden Schließung des Kaufhauses und dem damit verbundenen Wegfall weiterer Arbeitsplätze in Sorge: „Die Große Kreisstadt Görlitz ist diesbezüglich ohnehin schwer gezeichnet und leidet unter einer anhaltend hohen Arbeitslosigkeit. Wie in unserer Stadt sind die Hertie-Warenhäuser als Vollsortimenter vielerorts unverzichtbarer Anziehungspunkt für den gesamten Einzelhandel der Innenstadt. Eine Schließung hätte vielfältige negative Folgen - nicht nur für die deutsche, polnische und tschechische Kundschaft, welche mit ihrer Kaufkraft den Standort Görlitz stärkt. Im Umkreis von rund 100 Kilometern findet sich kein vergleichbares Warenhaus-Angebot in dieser Komplexität.“

Der Bürgermeister hat die Resolution unterzeichnet, die Schreiben sind auf dem Weg nach Wesseling.


Kommentar

Will Görlitz Hertie - oder ein funktionierendes Warenhaus? Geht das überhaupt in einer Stadt, in der man zwar Touristen durch das Kaufhaus führt, die Geldbeutel aber schmal sind?

Jedenfalls war Karstadt schlau genug, sich von unprofitablen Häusern zu trennen. Welche Strategie die britischen Investoren, die Hertie übernommen haben,verfolgen, darüber kann nur spekuliert werden. Hertie bewegt sich in einem schwächelnden Markt - "mitnehmen, was mitzunehmen geht" könnte die Devise gewesen sein.

Für die Görlitzer geht es schlichtweg um den Weiterbetrieb des einzigartigen Jugendstil-Kaufhauses - und zwar nicht als Ramsch-Laden. Wenn nun aber politische Autoritäten vorgespannt werden sollen, um die Häuser zu erhalten, dann zeugt das jedoch von neosozialistischer Blauäugigkeit. Staatslenkend eingreifen bedeutet die Wiedergeburt der Staatlichen Plankommission - da sind wir im Osten Erfahrungträger. Sollen der Bundeswirtschaftsminister und die Ministerpräsidenten etwa sagen: "Liebe Briten, Ihr habt zwar finanzielle Sorgen, aber löst die bitte nicht auf Kosten Eurer Warenhäuser! Denkt an die Städte, denkt an die Mitarbeiter!" Schmarrn.

Abgesehen von Hertie muss in Görlitz hinterfragt werden, welche Argumente für einen Investor bestehen, das schöne, aber betriebswirtschaftlich schwierig zu führende Görlitzer Kaufhaus zu übernehmen.

Vielleicht war es wirklich der einschneidende Fehler, das zuletzt als "Technik-Kaufhaus" genutzte historische Wilhelmstheater einfach abzureißen und dafür das unglückliche City-Center hinzustellen. Unglücklich deshalb, weil es dem historischen Kaufhaus Konkurrenz in unmittelbarer Nähe beschert. Unglücklich auch in seiner Innenarchitektur: Die Kunden sollen auf einer Art Hühnerstiege im Tempel des Kaufrauschs aufsteigen.

Auch wenn für die Treppe Abhilfe in Sicht ist, wirklich attraktiv ist das City Center nicht. Die Vermietung von City-Handelsflächen an Dienstleister und Discounter spricht Bände. Kein Vergleich zum von der ECE professionell geführten Kornmarkt-Center in Bautzen, das sich zum Magneten entwickelt hat. Und Zgorzelec macht richtig Dampf, was den Einzelhandel betrifft. Görlitz hat mit dem City-Center nach dem Me-too-Prinzip gehandelt. Was in Bautzen geht, muss aber in Görlitz noch lange nicht gehen.

Wenn Bürgermeister Holthaus nun aktiv geworden ist und die Resolution unterzeichnet hat, so hat das einen Symbolwert. Zu erwarten ist aber garnichts.

Die Fehler sind Jahre vorher passiert,

vermutet Ihr Fritz R. Stänker

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  • Quelle: /FRS
  • Erstellt am 07.08.2008 - 23:29Uhr | Zuletzt geändert am 08.08.2008 - 00:17Uhr
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