Demaskierung

DemaskierungGörlitz, 3. April 2022. Von Thomas Beier. Seit heute liegen die angesichts der Corona-Pandemie zu ergreifenden die Vorsichtsmaßmahmen in der Hand der Bundesländer. Doch die tun – ausgenommen Hamburg und Meck-Pomm – erst einmal nichts und setzen damit ein weiteres verheerendes Signal, nachdem sich der Bundestag wohl nicht zu einer allgemeinen Impfpflicht durchringen kann.

Symbolfoto: Alexandra Koch, Pixabay License
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Wider besseres Wissen

Es liegt tief im Wesen des Menschen, wider besseres Wissen handeln zu können. Das ist nicht nur in höchst persönlichen Entscheidungen – etwa Genussfragen betreffend – so, sondern auch dort, wo gewählte Volksvertreter und Verwaltungsangestellte in Wahlämtern über die Gesundheit anderer entscheiden.

So ist der Rückzug des Bundes aus den Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausuferung und Folgen der Corona-Pandemie keine gesundheitspolitische Entscheidung, sondern in erster Linie eine gesellschaftspolitische und eine wirtschaftspolitische – und wie so oft, wenn Politiker agieren, eine ausgesprochen kurzsichtige. Oder glaubt wirklich jemand, das Coronavistus werde sich, erschreckt von den vielen eskalierenden Problemen dieser Welt, von ganz allein zurückziehen, so dass im Herbst keine neue Coronawelle anrollt? Glaubt jemand, es werde keine neuen Mutationen geben und falls doch, dass diese mal um mal harmloser werden?

Inzidenz in absoluten Zahlen

Schon ist das, was mittelfristig auf Deutschland zukommt, bedrohlich. Per 1. April 2022 lag die Sieben-Tages-Inzidenz deutschlandweit bei über 1.586 – mindestens, weil ohne Dunkelziffer. Was bedeutet dieser Wert? Mal angenommen, dieser Inzidenzwert würden für ein Vierteljahr bei mindestens 1.500 liegen, was unter Einbeziehung der letzten Monate sicherlich nicht falsch ist, dann würden sich also wöchentlich im Durchschnitt rund 1,5 Menschen von 100 infitieren, nach zwölf Wochen demnach mindestens 18, womit wir für dieses Zeitfenster bei knapp jedem Fünften wären. Was das für die Infektionszahlen und die Zahl der Todesfälle bedeutet, kann man hier auf corona-in-zahlen.de, einem privaten Projekt, nachvollziehen.

Fokus auf Long Covid

Aus wirtschaftspolitischer Sicht rückt immer mehr das Long-Covid-Syndrom in den Mittelpunkt, übrigens ausgeblendet von jenen, die mit deutlich milderen Verläufen bei einem Infektion mit der Omikron-Variante argumentieren. Rund zehn Prozent der an Covid-19 Erkrankten leiden an Long-Covid Symptomen wie etwa Atembeschwerden und körperliche Abgeschlagenheit, binnen eines Jahres nach einer Corona-Infektion steigt etwa das Diabetes-Risiko um rund 40 Prozent.

Für die Betroffenen kann ist die Situation, mit Long Covid leben zu müssen, insgesamt ausgesprochen belastend sein, geht damit doch die Angst vor dem dauerhaften Verlust der Erwerbsfähigkeit einher. Die nachstehend verlnkte Studie hat eine Kohorte an Covid-19 Erkrankte, die wegen ihrer Erkrankung nicht ins Krankenhaus mussten, untersucht. Demnach betrifft Long Covid auch junge Leute ohne Vorerkrankungen, zu multiplen Lang-Covid-Organschädigungen kommt es auch nach milden Verläufen.

Hier rollt nach der Rücknahme vieler bundeseinheitlicher Vorsichtsmaßnahmen eine bedrohliche Kostenwelle an: Arbeitsausfall über Wochen und Monate, steigende Reha-Kosten in bereits jetzt überlasteten Klinika, expolodieren Kosten für die Krankenversicherungen. Das lässt sich konkret berechnen: Der Landkreis Görlitz hat etwas mehr als 250.000 Einwohner. Wenn binnen eines Vierteljahres 18 Prozent davon an Covid-19 erkranken, dann sind das 45.000. Davon wiederum zehn Prozent Long Covid Erkrankte, sind 4.500(!). Daraus lässt sich die Belastung der Krankenkassen erkennen – und die des Steuerzahlers, der das System der Gesetzlichen Krankenversicherung schon jetzt subventionieren muss.

Ausfälle für Unternehmen

Und die Wirtschaft als Arbeitgeber? Rund die Hälfte der Einwohner des Landkreises Görlitz ist im erwerbsfähigen Alter; setzt man das dieses Verhältnis auf die Covid-19- und Folgeerkrankungen an, werden die Unternehmen im Kreis binnen eines Vierteljahres mehr als 20.000 Krankmeldungen allein wegen Covid-19 und zusätzlich mehr als 2.000 Long Covid Fälle verkraften müssen.

Doch politisch wird das in Kauf genommen, weil die gesellschaftspolitische Komponente stetig an Bedeutung gewonnen hat: Es gärt im Volk, regelmäßig wird – jetzt wurde? – gegen die Anti-Pandemie-Maßnahmen demonstriert. Hinzu kommen Lobbyisten wie die Vertreter einzelner Branchenverbände, die immer lauter Lockerungen forderten.

Der Preis, den die Bevölkerung für diese Coronapolitik zahlen muss, wird enorm sein, gesundheitlich wie finanziell. Dazu gehört auch die im Grunde schon jetzt gescheiterte Impfpflicht. Anstatt die einrichtungsbezogene Impfpflicht in eine allgemeine Impfpflicht einzubetten, wurden in einer zermürbenden Diskussion "Dagegen!"-Argumente für jene geliefert, die sich beim Wahlvolk beliebt machen möchten. Eine Impfpflicht ab 50 statt einer ab 18 Jahren kann man besser gleich in der Entwurfsmappe liegenlassen: In Deutschland sind mehr als 90 Prozent der Über-60-Jährigen geimpft. Die Argumente für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 sind schon aufgeschrieben, das wichtigste davon: Nur damit hätte man die kurz-, mittel- und langfristigen Folgen einer weiteren Coronawelle im Herbst 2022 nennenswert abmildern können.

Es kommt anders

Doch es wird anders kommen, schon deshalb, weil Menschen nach Orientierung suchen. Schon die Ankündigung der Aufhebung wesentlicher bundeseinheitlicher Regelungen in vielen Bereichen geht einher mit einer neuen Sorglosigkeit: Jetzt können wir ja wieder! Und schon werden Talkrunden, Pressekonferenzen, Kultur- und Marktveranstaltungen angesetzt.

Ja, das darf man, aber jeder muss selbst überlegen, ob er oder sie hingeht und welche Vorsichtsmaßnahmen man ergreift.

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  • Quelle: Thomas Beier | Foto: Deutsch / Alexandra Koch, Pixabay License
  • Erstellt am 03.04.2022 - 12:02Uhr | Zuletzt geändert am 03.04.2022 - 13:49Uhr
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