Motor-Montag: der Erste

Motor-Montag: der ErsteGörlitz, 12. Februar 2019. Von Thomas Beier. Wenn Wahlen anstehen, befällt jene, die gewählt werden möchten, regelmäßig Panik – geht es doch um Macht, Renommee und nicht zuletzt ums Portemonnaie: Nicht jeder der Kandidierenden ist beruflich flexibel oder gar Rechtsanwalt und kann mit seiner Kanzlei – vielleicht auf Basis der als Politiker aufgebauten Verbindungen – durchstarten. Daher entsteht eine große Neigung zu Wahlgeschenken und sonstigen Versprechungen und paradoxerweise versprechen oftmals ausgerechnet jene, die den Kahn starr- oder leichtsinnig in gefährliches Fahrwasser gebracht haben, ihn da wieder rauszuholen; der Zeithorizont der politischen Akteure verkürzt sich immer mehr, je näher die Wahl rückt. Hauptsache, die Wahl überleben, alles andere wird sich schon irgendwie ergeben. Dass eine solche Sichtweise zu Wahlverdrossenheit und zu Misstrauen gegenüber "dem System" führt, scheint den in eigener Sache besorgten Demokraten egal. Auch dagegen rappelt sich jetzt in Görlitz ein kommunalpolitisches Bürgernetzwerk.
Abbildung: Mike Altmann hat gestern am ersten MOTOR-Montag Klartext geredet über MOTOR Görlitz und die Herausforderungen in der Neißestadt

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Mitmischen!

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Der Berzdorfer See ist für MOTOR Görlitz ein Stück Heimat, eine Namensänderung wäre für viele Verrat an der Heimat

"Kommunalpolitisches Netzwerk MOTOR Görlitz" benennt sich der Verein, der sich mangels noch nicht erfolgter Eintragung ins Vereinsregister des Registergerichts Dresden offiziell "in Gründung" befindet, derweilen jedoch schon mal richtig loslegt, nicht nur bis zur Kommunalwahl, sondern auf Dauer angelegt.

Zum Loslegen gehört die Unterstützung des parteiunabhängigen Görlitzer Netzwerks für die Oberbürgermeisterkandidatin Franziska Schubert. Hinzu kommen Aktionen bürgerschaftlichen Engagements wie die Unterstützung der Industriesportgemeinschaft Hagenwerder beim erfolgreichen Erhalt ihres Sportplatzes, die Aktion "Die Grütze muss weg!" zur Bereinigung der Lausitzer Neiße in Höhe der Görlitzer Altstadt, die Unterstützung für die Aktion "17 Tage 17 Essen" oder der Neujahrsputz am 1. Januar. Dabei kennt das Netzwerk in der Sache keine Berührungsängste und ist beispielsweise dem CDU-Mann Octavian Ursu dankbar, der sich für den Sportplatz in Hagenwerder eingesetzt hat.

Kommunalpolitisches Netzwerk funktioniert anders als eine Partei

MOTOR Görlitz macht mit seiner Netzwerkarbeit vor, wonach anderenorts geradezu verzweifelt, beispielsweise mit Bürgerdialogen, gesucht wird: eine Klammer sein für die Gesellschaft, die Leuten von linksorientiert bis straff konservativ die Zusammenarbeit in einzelnen Sachfragen ermöglicht. Netzwerk heißt ja nicht, dass alle gleicher Meinung sein müssen, sondern es heißt, Interessen und Akteure zu einzelnen Themen an einen Tisch zu bringen, um gemeinsam Lösungen durchzusetzen. Das ist ein großer Unterschied zu jenen Parteien, die gern nach außen hin einheitlich auftreten möchten und so lieber auf Parteisoldaten als auf Denker setzen, immer wieder zwischen eigentlichem Wollen und öffentlicher Kommunikation unterscheiden, Wettbewerber, die andere Wege zum Wohl der Bürger beschreiten möchten, als Feinde identifizieren und von der absoluten Mehrheit träumen (was von einem seltsamen Demokratieverständnis zeugt).

Wichtigste Rolle der MOTOR Görlitz Bewegung ist hingegen ihr Wirken als zukunftszugewandter Vermittler zwischen zähen politischen Positionen und zugleich als Kreativpool zum Wohle der Neißestadt, außerdem als gegenseitig antreibender Transmissionsriemen zwischen dem Stadtrat und den Bürgern. Die Protagonisten von MOTOR Görlitz haben nichts zu verlieren außer den bleiernen Filz der etablierten Strukturen über der Stadt und gehen deshalb frisch zu Werke. Sie wollen persönliche Kompetenzen in den Vordergrund rücken anstelle der Abgrenzungs- und Grundsatzstrategien mancher parteipolitischer Herdenmitglieder, die nur auf ihren Leithammel fixiert sind. Wobei MOTOR Görlitz auch Parteimitglieder ausdrücklich auffordert, sich im Netzwerk mit einzubringen. Für Parteien ist das eine Chance, themenspezifisch ihr Handlungsfeld weiter in die Stadtgesellschaft zu tragen.

Derfen die denn das?*)

Motorvereinsvorsitzender Mike Altmann ist sich bewusst, dass er und seine Mannen und Damen durchaus naiv in die Kommunalpolitik einsteigen, sieht das aber als Vorteil, weil dadurch selbstauferlegte Scheuklappen gar nicht erst das Denken behindern. MOTOR Görlitz ist mitten im üblichen Zyklus, der eintritt, wenn man in ein eingespieltes System eingreift: Erst wird man belächelt, dann wird versucht, die Sache auszureden. Hat das keinen Erfolg, kommt als nächste Eskalationsstufe die Behinderung der neuen Entwicklung und sie wird offen angefeindet. Hat sich das Neue aber durchgesetzt, wird sich ihm angedient. Wie das in der Wolfsland-Stadt Görlitz konkret ablaufen wird, darauf darf man gespannt sein.

MOTOR Görlitz zur Kommunalwahl

Die Görlitzer Motoren jedenfalls wollen Lösungen, die nicht an den Grenzen parteipolitischer Verkrustungen und Grabenkämpfe scheitern. Entsprechend können Motoristen, wie sie sich selbst nennen, auf bestehenden Wahllisten kandidieren – andererseits kann, wer sich kommunalpolitisch im Stadtrat engagieren möchte, auf der freien Liste von MOTOR Görlitz, die jedoch keine Liste des Vereins im Sinne eines Wählervereins ist, antreten.

An klugen Analysen, frischen Denkansätzen und Ideen mit Innovationspotenzial für Görlitz mangelt es den MOTOR-Leuten nicht. Dazu braucht es kein eigenes Wahlprogramm, meinen sie, und machen klar: "Unser Programm sind starke Frauen und Männer." Da dürften so manche Mitbewerber, die hinter vorgehaltener Hand als Pappkameraden gehandelt werden, neidisch werden.

MOTOR-Montage

Wie das Leben so spielt: Der erste Schuss war einer in den Ofen. Am 4. Februar sollte auf dem ersten der ab jetzt wöchentlich stattfindenden MOTOR-Montage der Görlitzer "Handel im Wandel" im Mittelpunkt stehen. Irgendwelche gehässigen Krankheitserreger ließen den Termin, der nun am 18. Februar 2019 nachgeholt wird, scheitern. Die Terminankündigungen auf der MOTOR-Website sind eine Einladung an alle, die sich dafür interessieren, wohin die Entwicklungen in Görlitz laufen können. Dabei an den Abenden sind jeweils Ansprechpartner, die zu einzelnen Themenbereichen wie beispielsweise Nahverkehr, Kultur oder Infrastruktur nicht nur kompetent Auskunft geben können, sondern auch an entscheidenden Stellen sitzen. Dass am bedeutungsschwangeren 1. April der MOTOR-Montag ausgerechnet in der Redaktion der täglichen Ortspresse stattfindet, ist keine Erfindung des Postillions.

Gestern, am 11. Februar 2019, stellten sich die Motoristen als Verein erst einmal selber vor. Was die MOTOR-Vordenker Mike Altmann und Axel Krüger, auch sonst als Moderatoren erfahren, im Lokal Jakobs Söhne vorbrachten, taugt, die Görlitzer Stadtgesellschaft bis ins Mark zu erschüttern: fordern sie doch nichts anderes als eine kluge und enkeltaugliche Politik. Enkeltauglich bedeutet – entgegen argwöhnischen Mutmaßungen – nicht, Senioren zu benachteiligen, sondern vor allem ökonomisch die gegenwärtigen Herausforderungen nicht zu Lasten künftiger Generationen zu lösen.

Als einleuchtendes Beispiel wurde die Stadthalle Görlitz angeführt. Tenor: Wenn Bund und Freistaat das Gebäude für so wertvoll halten, dass sie gern zig Millionen Euro darin versenken, dann müssen sie, so eine Idee von Axel Krüger, auch B sagen und sich an den Betriebskosten beteiligen und bitte nicht zu knapp! Am besten, aus der Stadthalle würde eine Staatshalle, vielleicht eine sächsische Walhalla?

Innovationen statt Versprechungen und Scheindebatten

Insgesamt versteht sich MOTOR Görlitz als Plattform zum Ein- und Mitmischen, als Kreativpool, der nicht nur Ideen, sondern Innovationen produziert. Das sind keine Dampfplauderer, die je nach Windrichtung umschwenken, sondern Macher, denen Görlitz am Herzen liegt.

Dazu gehört, Görlitz für Jugendliche zum "hierbleiben" interessant zu machen. "Warum gibt es eigentlich keinen von einem Jugendparlament gewählten Jugendbeirat, der im Stadtrat angehört wird?", fragen die Motoristen. Und warum wird Stadtpolitik über die Köpfe der Bürger hinweg gemacht? Von einzelnen Politikern ins Spiel gebrachte Denkergebnisse wie etwa die Umbenennung des Berzdorfer Sees in "Görlitzer See" oder gar "Görlitzer Meer" beachten nach Ansicht der MOTOR-Leute nicht die Empfindlichkeiten jener Menschen, die eine konkrete Beziehung dazu haben, hier der früheren Bergleute und Kraftwerker. Gegenvorschlag der Motoristen, zudem fast kostenlos zu realisieren: Wenn der See für das Görlitz-Marketing so bedeutsam ist, weshalb – keinesfalls als offizielle Umbenennung – in der Görlitz-Werbung nicht einfach an den Stadtnamen "am See" anhängen? Ortschaften am Süßen See (Röblingen am See oder Wansleben am See) heißen ganz offiziell so. Anzumerken ist allerdings, dass das dem Görlitz-Marketing wohl einen Bärendienst erweisen würde, weil der Markenkern der Stadt, die historische Altstadt, damit im wahrsten Sinn des Wortes verwässert würde. Also den See still ruhen lassen? Nein, jetzt, wo nach der Trägheit der Befüllungsjahre die Entwicklung endlich in Gang gekommen ist, sind auch die Motoristen dafür, diese voranzutreiben, aber nicht über die Köpfe der Bürger und Betroffenen hinweg. Als Negativ-Beispiel wird der Versuch angeführt, den Segelstützpunkt in den Hafen zu verlagern. Der Schönau-Berzdorfer Gemeinderat hat sich bereits zum Segelstützpunkt an der Blauen Lagune bekannt.

Angesprochen wurden auch die in Görlitz lebenden Polen, die immerhin einen Bevökerungsanteil von rund acht Prozent ausmachen, im gesellschaftlichen wie politischen Leben jedoch so gut wie nicht in Erscheinung treten. Die Görlitzer Motoren möchten sie gern in die Stadtentwicklung einbeziehen.

Die Sache mit den Unterstützerunterschriften

Mindestens 160 Unterstützerunterschriften brauchen die Motoristen bis zum 21. März 2019, um mit ihrer Liste zur Kommunalwahl am 26. Mai 2019 antreten zu können. Vermutlich werden es deutlich mehr werden, denn in den Köpfen des motorischen Kreativpools gärt eine Idee, die die Wählerschaft auf die Beine bringen wird, wie es Görlitz noch nie erlebt hat. Bis zur Motoristen-Wahlversammlung am 4. März soll sie jedoch möglichst noch geheim bleiben.

*) "Derfen die denn das?", soll der der sächsische König Friedrich August III. angesichts der Revolution des Jahres 1918 seine Berater gefragt haben.

Kommentare Lesermeinungen (2)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Görlitz am See

Von Prof. Dr. Joachim Schulze am 14.02.2019 - 08:48Uhr
"Görlitz am See" als mögliche Lösung?

Für das Stadtmarketing und die Profilbildung des Sees spielt das übrigens schon seit langem mit dieser Begrifflichkeit eine Rolle. Kleine Auswahl: steht so im Strukturellen Rahmenplan von 2004, in einer Präsentation unserer Wirtschaftsförderer 2014 (noch unter Herrn Klatte) und übrigens auch auf dem Deckblatt der "Engels-Studie".

Von daher also schon eine eingeführte Begrifflichkeit, von der man jetzt nur noch eine elegante Verbindung zum Traditionsnamen finden muss... Die Verbindung Stadt-See-Landschaft ist jedenfalls eine einleuchtende, die den besonderen Charme der ganzen Geschichte im Vergleich zu den anderen Bergbauseen ausmacht.

Immer wieder montags

Von Seensüchtiger am 13.02.2019 - 14:13Uhr
125 berechtigt kritischen Worten folgen viele Zeilen, die die Motoristen zur Klammer der Gesellschaft (v)erklären. Sie verlieren den bleiernen Filz der etablierten Strukturen? War es denn ihr Filz?

Die Stadtgesellschaft ins Mark erschüttert. 30 Gäste bei der Veranstaltung mögen nicht mit potenziellen Wählern verwechselt werden, sind aber noch kein Erdbeben der Wandelung politischer Interessiertheit der Görlitzer. In etwa die Beteiligung bei den Bürgerversammlungen in den Stadtteilen.

Nun sind die Motoristen keine Dampfplauderer, die je nach Windrichtung umschwenken, sondern Macher, denen Görlitz am Herzen liegt. Sind das treffsichere Wahrnehmungen oder wäre solches noch zu beweisen? Und Nichtmotoristen sind dann die Pappkameraden?

Unabhängig. Kompetent. Stark. Waren da nicht die Bürger für Görlitz?
Ja, Bürgerbeteiligung. Hat da nicht Görlitz eine Satzung?
Jugendparlament. War da nicht was mit dem A-Team?

Erfrischend gut findet der Seensüchtige "Görlitz am See". Görlitz mit der Altstadt weiter bekannt zu machen, hat kaum noch Reserven. Die aber von dieser Altstadt bisher irgendwie gehört haben, kämen an dieser Namensänderung nicht vorbei. Neugierde bundesweit, falls der neue Name fiele, ließe sich kaum verhindern.

Gut auch der Vorschlag eines VEB Stadthalle. Bleibt zu hoffen, dass das auch an der richtigen Stelle ankommt bei der politischen Entscheidungsfindung. Görlitz muss raus aus dieser Nummer und die Halle an den Bund oder das Land verkaufen.

Was schade ist an dem Bericht: Wird er auch von eigenen Sympathien angetrieben? Ich spüre dabei so eine eigene Agenda. Hier die guten...
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Anmerkung der Redaktion:
Der Begriff "Pappkameraden" ist nicht in Bezug auf "die anderen", sondern wörtlich auf "so manche Mitbewerber" bezogen verwendet worden.

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  • Quelle: Thomas Beier | Foto: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 11.02.2019 - 23:11Uhr | Zuletzt geändert am 12.02.2019 - 11:41Uhr
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