Ab jetzt jederzeit ins Zuchthaus

Cottbus / Chosebuz, 24. Dezember 2013. Am 10. Dezember – zum Internationalen Tag der Menschenrechte – wurde mit einer bemerkenswerten Dauerausstellung die Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus offiziell eröffnet. Zu verdanken ist das vor allem jenen früheren politischen Häftlingen, die den Großteil der Mitglieder des Menschenrechtszentrums Cottbus e.V. stellen und über den Verein – weltweit wohl einmalig – ihren eigenen Knast gekauft haben und der Tatkraft des Vereinsvorsitzenden Dieter Dombrowski, der für die CDU im Brandenburger Landtag sitzt sowie Sylvia Wähling, Geschäftsführende Vorsitzende und Gedenkstättenleiterin, nicht zuletzt auch Spendern und Fördermittelgebern.

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Modern konzipierte Ausstellung vermittelt Einblicke

Thema: Menschenrechte

Menschenrechte

Menschenrechte sind weltweit Thema. Die Erinnerung an die "sozialistische Rechtsprechung" und das SED-Unrecht sowie die vorangegangene Nazi-Diktatur mahnen, auch in Deutschland Menschenrechte und Demokratie nicht als selbstverständlich hinzunehmen, sondern immer wieder dafür einzutreten.

Sowohl mit der Konzeption der Dauerausstellung "Karierte Wolken" als auch mit der Gestaltung der Eröffnungsveranstaltung haben das Menschenrechtszentrum und Wähling ein glückliches Händchen bewiesen.

Die Redner, unter anderem auch Dietmar Woidke, der als Ministerpräsident des Landes Brandenburg die Gedenkstätte eröffnete, und Roland Jahn, der Stasiunterlagenbeauftragte des Bundes, zeichneten sich durch Verzicht auf Pathos aus.

So stellte Dombrowski klar, dass im 1860 eröffneten Gefängnis, das nach pädagogischen Ansätzen in der Weimarer Republik von den beiden Diktaturen zwischen 1933 und 1989 als Zuchthaus dazu missbraucht wurde, vor allem politisch Missfällige wegzusperren, von Beginn an "kein Ort der Andacht und der Kranzniederlegung" entstehen sollte. Dombrowski saß wegen "versuchter Republikflucht" selbst in Cottbus ein. Nach seinen Worten zeigt sich die Moral einer Gesellschaft im Umgang mit ihren Strafgefangenen.

In Erinnerung an die friedliche Revolution in der DDR meinte Dombrowski, sein Eindruck sei, dass es immer die gewaltfreien Umwälzungen waren, die vor der Geschichte Bestand haben. Den Cottbusser Häftlingen ist gemein, dass sie ihre Ziele ausschließlich gewaltfrei erreichen wollten.

Wer ist der Staatsfeind?

Vom Fortwirken des SED-Unrechts bis in die Gegenwart zeugen die 28 exemplarischen Häftlingsbiografien, die Kern der Ausstellung sind. Gemeinsam mit Dokumenten und musealen Stücken vernetzen sie die oft banalen Anlässe der Verhaftung und die Lebensumstände der Gefangenen mit den Repressionsmechanismen des SED-Staates.

Im Zuchthaus Cottbus konzentrierte der DDR-Staat über­wiegend politische Strafgefangene mit Höchststra­fen bis zu fünf Jahren, die wegen “versuchter Republikflucht” oder “staatsfeindlicher Hetze“ verurteilt worden waren.

Neben den exemplarischen Einzelschicksalen werden typische Zelleneinrichtungen aus den einzelnen Epochen gezeigt und das, was den Alltag der Häftlinge ausmachte - von der Skizze, wie Zahnputzbecher und Rasierzeug abzulegen sind bis hin zu den zu einer Sonne angeordneten Schlagstöcken.

Interessant ist, dass einige der Häftlinge als Künstler ihre Hafterfahrung verarbeitet haben und die Ausstellung ganz wesentlich bereichern; die ganz wenigen Ausrutscher in kitschig-plakative Darstellungen müssen vor dem persönlichen Erfahrungshintergrund verziehen werden.

Die tumbe Macht

Und selbst im Knast zeigt sich jene Tumbheit der Staatsmacht, die dem kritischen DDR-Bürger immer die Gewissheit der Endlichkeit des Systems gab: So waren Bände von Wolf Biermann - dessen Lektüre für so manchen Insassen ein gewichtiger Anklagepunkt war - in der Gefängnisbibliothek noch jahrelang verfügbar, längst nachdem Biermann in der DDR verfemt und aus dem öffentlichen Leben getilgt war.

Die Ausstellung im Zuchthaus Cottbus ist unbedingt sehenswert und wichtig für das Verständnis von individueller Freiheit, den Umgang mit Andersdenkenden und das Leben in der DDR - zwischen proaktivem Mittun, Anpassung, Schweigen, Flucht und Gegenwehr.

Erfreulich ist, dass die Ausstellung den Menschenrechtsgedanken in die Gegenwart trägt und projiziert, wo überall in der Welt die Menschenrechte verletzt werden und wie sich der Widerstand regt.

Prädikat: Unbedingt hingehen!
Dienstags bis freitags von 10 bis 16 Uhr
Menschenrechtszentrum Cottbus e.V.
(ehemaliges Zuchthaus)
Bautzener Straße 140, 03050 Cottbus
Tel. 0355 - 2 90 13 30

Mehr:
Menschenrechtszentrum Cottbus
Der Beier ist wieder im Knast

Kommentar:

Wer heute eine Weihnachtsgeschichte erwartet hat: Dem soll die Erwartung erfüllt werden, denn es geht um die Menschenrechte.

Meine Eltern erlebten ihre Jugend im sogenannten Dritten Reich. Die dort erlernten Sprachmuster übernahmen sie - selbstverständlich - in die Nachkriegszeit und die DDR. "Dich werden sie schon noch mal abholen", klingt mir noch immer in den Ohren. Oder die Unterscheidung zwischen "Das kannst Du nur hinter vorgehaltener Hand sagen!" und "Das kannst Du aber laut sagen!"

Ja, "den haben sie auch abgeholt".

Dazu war die Stasi eher zu feige. Die Delinquenten wurden unter einem Vorwand - "zur Klärung eines Sachverhalts" - vorgeladen, etwa auf das Volkspolizei-Kreisamt (VPKA). Und dann waren sie erstmal weg.

Auch wenn sich ein womöglicher Anfangsverdacht als unbegründet erwies - einmal in den Fängen der Stasi, fand sich leicht ein Grund für eine Untersuchungshaft. Und ebenso leicht konnte im Grunde für jeden DDR-Bürger eine Anklage zusammengezimmert werden. Ein Witz reichte ja, und wer keine Witze erzählte, wurde einfach denunziert. Erstaunlich, wie viele augenscheinlich nette Nachbarn dazu bereit waren.

Wenn das Menschenrechtszentrum Cottbus anhand des Zuchthauses die deutschen Diktaturen von 1933 bis 1989 in seiner Ausstellung in eine Reihe stellt, dann wird es der historischen Wahrheit gerecht.

Es gibt keine böse und keine gute Diktatur,

meint Ihr Thomas E. Beier

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  • Erstellt am 24.12.2013 - 02:44Uhr | Zuletzt geändert am 20.03.2017 - 15:25Uhr
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