Görlitzer Kultur ist...
Görlitz-Zgorzelec. Mit Umfragen ist das so eine Sache: Wer nimmt teil - und vor allem: Aus welchem Motiv? Professionelle Meinungsforscher wissen, dass Unzufriedenheit oft das stärkste Motiv ist, seine Meinung kundzutun. Diejenigen, die Lob austeilen könnten, sind (leider) nicht so engagiert - Zufriedenheit macht träge. Nur die Begeisterten, die Fans, halten mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. Aber die Allermeisten - der interessante Querschnitt - machen gar nicht mit. Durch diesen Filter muss auch das Ergebnis der Umfrage des Görlitzer Anzeigers gesehen werden, die seit dem 18. November Beschreibungen zur „Görlitzer Kultur" sammelte.
Kultur als Prozess
Auch lässt „Görlitzer Kultur“ offen, was mit dem Kulturbegriff überhaupt gemeint ist. Menge und Qualität des Veranstaltungsangebots? Oder die Annahme von Hochkultur durch die Bevölkerung? Oder die Freundlichkeit der Autofahrer? Oder eine Jugendszene? Wertvorstellungen, Bildung, Zeitungsqualität, Umgang miteinander?
Warum an dieser Stelle differenzieren, das Bild von Görlitz wird von der Gesamtheit aller Wahrnehmungen beeinflusst. Peinlich nur, wenn sich eine Kluft auftut zwischen dem gewünschten Bild von der Görlitzer Kultur, wie es durch die künstlichen Signale des Standortmarketings projiziert wird, und dem tatsächlichen Erleben.
Das ist schon eine unsanfte Backpfeife, wenn sich das kulturstädtisch gebende Görlitz von nahezu jeder zweiten Stimme eine „provinzielle“ Kultur bestätigt bekommt. Ob es einen Zusammenhang damit gibt, dass fast jede fünfte Stimme den Eindruck, die Görlitzer Kultur sei „zu institutionalisiert“, unterstreicht? Und besteht ein Zusammenhang zwischen der Institutionalisierung und der Tatsache, dass fast jede zehnte Stimme die Görlitzer Kultur als „zu einseitig“ einschätzt?
So, wie man von einem Ochsen kein Rindfleisch erwarten kann, wäre es schwierig, in tiefster Provinz auf eine nicht-provinzielle Kulturlandschaft zu setzen. Aber: Ist es nicht beruhigend, dass ein extrem hoher Anteil der Befragungsteilnehmer, denen ja Kulturinteressiertheit unterstellt werden darf, Provinzialität überhaupt noch erkennen kann?
Immerhin scheint das „Maß an Kultur“ ausgewogen (allein diese Feststellung und die Definition könnte Diskussionsabende füllen), nur knappe fünf Prozent der Stimmen beklagen „zu wenig“ und reichlich ein Prozent sagen „mehr als genug“. Zu vermuten ist, dass ein Übermaß an Kultur nur aus Kostensicht beklagt werden kann. Fast neun Prozent halten die Görlitzer Kultur für „ausgewogen“.
Kulturelle Vielfalt erkennen 6,3 Prozent und Hochwertigkeit 1,6 Prozent.
Zusammengefasst zeigt sich folgende Bild:
- Positive Einschätzung (vielfältig, hochwertig, ausgewogen, mehr als genug): rund 18 Prozent,
- Kritische Einschätzung (zu wenig, zu einseitig, zu institutionalisiert): rund 33 Prozent,
- Einschätzung als provinziell: rund 49 Prozent.
Tiefer gehende Schlüsse in Bezug auf die einzelnen kulturellen Institutionen und Anbieter zu ziehen, verbietet sich, schon wegen der fehlenden Beschreibung der Befragungsteilnehmer.
Wenn die kleine Umfrage bei jenen, die sich für Kultur verantwortlich fühlen, zum Nachdenken und Diskutieren führt, hat sie etwas bewirkt und kann helfen, den weihnachtlichen Weihrauch fortzublasen. Schließlich ist Kultur kein statischer Zustand, sondern ein fließendes Spiel aus Angeboten, Akzeptanz und vor allem gelebten Werten.
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- Quelle: Thomas Beier | Erstveröffentlichung am 25.12.2010 - 10:47 Uhr
- Erstellt am 25.12.2010 - 10:25Uhr | Zuletzt geändert am 02.01.2011 - 23:08Uhr
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