Faszinierende Welt der Technikgeschichte

Faszinierende Welt der TechnikgeschichteGörlitz, 11. März 2021. Von Thomas Beier. Geht es um die Wahl der Ausbildungs- oder Studienrichtung, dann versucht man heutzutage, Jungen und Mächen für die MINT-Fächer zu begeistern – oft zu einem Zeitpunkt, an dem es eigentlich schon zu spät ist. Einen frühen Zugang bietet die Beschäftigung mit alter Technik und den Geschichten dazu. Zugleich wird dabei deutlich: Strukturwandel ist etwas Selbstverständliches.

Abb. oben: Was Oldtimer neben der Eleganz so beliebt macht? Man kann noch alles selbst schrauben und irgendwelche Elektronik geht garantiert nicht kaputt! Der abgebildete IFA F9 aus Zwickau sollte 1940 von DKW auf den Markt gebracht werden; DKW stand damals in der Werbung für "Das Kleine Wunder", denn man warb mit der Formel 3=6, weil der später auch im Wartburg bis 1988(!) verwendete Dreizylinder-Zweitaktmotor so oft zündet wie ein Sechszylinder-Viertakter. Die Serienproduktion des F9 lief von 1950 bis 1953 am alten Auto-Union Standort in Zwickau, die Cabriolet-Variante kam seit 1952 aus dem VEB Karosseriewerk Dresden, dem ehemaligen Gläser-Karosseriewerk. Ab 1956 wurde der Wagen in Eisenach als EMW 309 gebaut. Die Marke "Eisenacher Motoren-Werke" sollte den ehemaligen BMW-Standort, an dem die Bayerischen Motoren Werke ihre allerersten Autos bauten, durchklingen lassen. Die Fertigung wurde schließlich zugunsten des Wartburgs 311 eingestellt. In der Auto-Union, die ihren Sitz in Chemnitz hatte, hat übrigens die Ingolstädter Audi AG (Audi steht lateinisch für die Horch) ihre Wurzeln: Audi entstand, als August Horch in Zwickau seine Markenrechte am eigenen Namen verlor. Die vier Audi-Ringe stehen noch heute für die vier damals in der Auto-Union vereinigten Marken Audi, DKW, Horch und Wanderer.
Foto: Sabine Kroschel, Pixabay License
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Vom Dampfradio zu modernen Funktechnologien

Vom Dampfradio zu modernen Funktechnologien
Wer würde bei einem F9 nach einer Funk-Zentralverriegelung fragen? Merke: Was nicht eingebaut ist, geht auch nicht kaputt.
Foto: Sabine Kroschel, Pixabay License

MINT – das steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik und zugleich für Wissensgebiete, denen man sich sehr trocken nähern kann, was manchem ja durchaus liegt. Wie angenehmer erscheint es jedoch, wenn sich jemand diesen Wissensbereichen mit Begeisterung nähert und hinter jeder Formel und jedem Zusammenhang eine Anwendung erkennt!

Es geht darum, nicht nur zu lernen, was vorgesetzt wird, sondern das frühzeitige Interesse zu fördern – etwa mit einem Ausflug. Was Technik betrifft, sind für Kinder zwei zugegeben nicht gerade aktuelle Bücher begeisternde Fundgruben: Manfred von Ardennes Erinnerungen "Eine glückliche Jugend im Zeichen der Technik" und "Forscher Funker Ingenieure" von Walter Conrad. Beide Bücher sind antiquarisch gut verfügbar.

Kinder müssen Technik erkunden können

Relativ teuer – bis um die 40 Euro – gehandelt wird das 1959 im Kinderbuchverlag Berlin erschienene Büchlein "Mit Logbuch, Call und Funkstation" von Martin Selber. Hier ist heute Undenkbares enthalten: Die Anleitung für den Bau eines “Prasselsenders”, mit dem man den UKW-Radioempfang im Umkreis von einigen hundert Metern lahmlegen kann. Entsprechend ist der fürsorgliche Hinweis enthalten, man möge den Sender bitte nur kurz ausprobieren…

Wer mit dem Interesse für Technik aufgewachsen ist und Gelegenheit hatte, allerlei Geräte – ob nun zur Freude der Eltern oder nicht – zu zerlegen und zu erkunden, entwickelte womöglich ein besonders Faible für Technik und ihre Geschichte. Heute ist das schwieriger: Geräte, an denen man ausgeklügelte Mechanik nachvollziehen kann, sind seltener geworden und wohl niemand sammelt alte Computer, nicht ohne Grund aber haben alte Radios, Fotoapparate und selbst Kaffeemühlen und anderes mehr ihre Freunde.

Ein Tipp allerdings ist das "Experimentieren im Physikalischen Kabinett", das von den Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur – wieder nach Corona – im Barockhaus Neißstraße 30 angeboten wird.

Technologieumbrüche verändern die Welt

Interessant sind immer wieder die technologischen Umbrüche in der Technik und wie diese die Welt verändert haben. Manchmal weiß man, dass ein solche Umbruch vor der Tür steht, so wie heute beim Elektroantrieb, der die Autohersteller zu tiefgreifenden Veränderungen zwingt. Manches aber kommt ziemlich überraschend, denkt man etwa an das Smartphone. Auf den Markt kam das erstmals im Jahr 2006 – wer hätte nur wenige Jahre zuvor geglaubt, sich mit einem Gerät in Größe einer kleinen Zigarilloschachtel multimedial und praktisch fast überall mit der ganzen Welt verbinden zu können?

In der Elektronik waren es einst erst der Transistor und dann die Integrierten Schaltkreise, die bei vielen Anwendungen die Elektronenstrahlröhre ablösten und so Produktions- und Serviceunternehmen veränderten oder gar obsolet machten. Die Zahl der Beispiele ist groß, erwähnenswert ist aus der jüngeren Vergangenheit die Ablösung der Glühfadenlampe erst durch die Brückentechnologie der Energiesparlampe und schließlich durch die LED-Leuchtmittel.

Die rasante Entwicklung der Digitalfotografie hat die zuvor teils recht teure Aufnahme-, Reproduktions- und Vergrößerungstechnik ebenso schnell wertlos gemacht und Fotolabore mussten feststellen, dass ihre Expertise im chemischen Entwicklungsprozess von Filmen und Bilder kaum noch gebraucht wird. Wer sich für die bedeutende Görlitzer Fotogeschichte interessiert, findet einiges dazu in einem Artikel des Görlitzer Anzeigers.

Technikgeschichte zeigt: Strukturwandel ist nichts Neues

Ebenso zeigt sich in der Technikgeschichte: Wer an alten Technologien festhalten wollte, kam nicht mehr lange mit. Nachdem Fernsehgeräte mit LED-Bildschirmen ihren Siegeszug angetreten hatten, versuchte das frühere Bildröhrenwerk in Tschernitz / Cersk, nicht weit von Bad Muskau / Mužakow, aber schon in Brandenburg gelegen, sich mit Slimline-Bildröhren, die etwas flachere Röhrenfernsehgeräte ermöglichten, über Wasser zu halten, denn so eine Glasproduktion kann man nicht einfach so auf LED-Bildschirme umstellen. Das ging nur sehr kurze Zeit gut, doch dank des damaligen beherzten Engagements einiger Manager wird am Standort nun Flachglas produziert.

Immer wieder zeigt sich: Funktionen, die früher nur mit enormem mechanischen oder feinmechanischen Aufwand realisiert werden könnten, sind längst von Software übernommen worden. Mehr noch: In der mechanischen Fertigung können heutzutage teils größere Toleranzen zugelassen werden, weil im Endprodukt ein elektronischer Fehlerausgleich erfolgt.

Technologien verändern auch heute ganze Branchen

Ein weiteres Beispiel, bei dem Mechanik zumindest teilweise von Elektronik abgelöst wurde, ist neben der Fototechnik die Schließtechnik; genauer gesagt geht es um Schloss und Schlüssel. Zwar sind etwa aus Hotels Schlüsselkarten, ganz allgemein auch als Chipkarten bezeichnet, längst bekannt; Sie können auf einem Magnetstreifen einen Code speichern, der dann von einem Türöffnungssystem erkannt wird. Technologisch gesehen ist das allerdings Schnee von gestern.

Stand der Technik sind Prozessorchipkarten, die auf den Karten gespeicherte Daten vor fremdem Zugriff schützen. Verbreitet aber sind vor allem Hybridkarten, die mit einem Magnetstreifen und/oder einem Chip versehen sind, wie man es von Karten, mit denen bezahlt werden kann, kennt, oder auch – ohne Magnetstreifen – von der SIM-Karte im Handy.

RFID-Technologie macht’s bequem, aber wie funktioniert das?

Besonders bequem wird es, wenn, wie ebenfalls von Bezahlkarten bekannt, die RFID-Technologie – RFID steht für Radio-Frequency Identification – zum Einsatz kommt. Dann reicht es aus, sich einem Lesegerät zu nähern, um eine programmierte Funktion auszulösen. Das funktioniert so: Das Lesegerät erzeugt ein hochfreqentes Magnetfeld, das im Chip – sofern er keine eigene Stromversorgung hat – eine Spannung induziert, die einen Stromfluss treibt, der den RFID-Chip mit Energie versorgt.

Der Chip kann dank der Energieversorgung mit dem Lesegerät kommunizieren, indem er vom Lesegeräte gesendete Befehle empfängt. Interessant ist, dass der RFID-Chip selbst nicht sendet, sondern seine Informationen durch Beeinflussung des vom Lesegerät aufgebauten elektromagnetischen Feldes überträgt. Technisch geschieht das durch Feldreflexion oder kontaktfreien Kurzschluss, der das Feld schwächt, was wiederum vom Lesegerät erkannt wird. Eine verbreitete Anwendung, die zugleich für die Sicherheit des Systems spricht, ist etwa das kontaktlose Bezahlen mit einer entsprechenden Karte.

Schlüsseldienst adé?

Es liegt auf der Hand: Mit RFID-Chips lassen sich herkömmliche Schlüssel ersetzen. Das ist bequem, denn der Chip muss ja nicht zwangsläufig auf einer Chipkarte untergebracht sein, er kann als sogenannter Transponder in Armbändern oder in der Kleidung versteckt werden, sogar unter der Haut. Das "Chippen" ist bei Tieren üblich, um sie zweifelsfrei identifizieren zu können, wenn sie ausgebüxt sein sollten.

Wer jedenfalls mit dem passend codierten RFID-Chip einer mit der entsprechenden Technik ausgestatteten Tür nahekommt, für den öffnet das Schloss. Die wirtschaftliche Bedeutung des Vorgangs wird deutlich, wenn man an Schließsysteme denkt, also etwa unterschiedliche Zugangsberechtigungen in Unternehmen. Im einfachsten Fall muss im Hotel das Zimmermädchen Zugang zu allen Gästezimmern haben, der jeweilige Gast darf aber nur sein eigenes Zimmer öffnen können. Würde bei einer rein mechanischen Anlage das Zimmermädchen seinen Schlüssel verbummeln, müssten alle Schlösser gewechselt werden – eine teure Angelegenheit. Bei einem elektronischen System, modern auf RFID-Technologie basierend, wäre die Umprogrammierung jedoch kein Problem.

Wie das Stichwort Umprogrammierung andeutet, sind bei solchen Anwendungen Computer im Spiel. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten, etwa in der Warenlogistik, bei der Zeiterfassung zum Beispiel im Schwimmbad oder bei der Zutrittskontrolle im Fitnessstudio, wo das persönliche Armband ermöglicht, nur die gebuchten Räume oder Geräte zu nutzen und keine anderen.

Inzwischen dringen RFID-basierte Schließsysteme auch in den Privatbereich vor. Das sollte Schlüsseldienste unruhig machen: Noch ist die Anfertigung von Ersatzschlüsseln ein gutes Geschäft, aber wie lange noch? Mit Sicherheit werden technikinteressierten Leuten noch viele den Alltag erleichternde Anwendungen der RFID-Technologie einfallen, von denen heute noch niemand etwas ahnt.

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  • Quelle: Thomas Beier | Foto: Pixaline / Sabine Kroschel, Pixabay License
  • Erstellt am 11.03.2021 - 09:04Uhr | Zuletzt geändert am 04.11.2022 - 01:36Uhr
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