Grüße aus dem Tal der Ahnungslosen

Grüße aus dem Tal der AhnungslosenGörlitz, 8. August 2022. Von Thomas Beier. Der Krieg in der Ukraine hat die Diskussion in Familien, unter Freunden und Arbeitskollegen erneut aufleben lassen: Wird die deutsche Öffentlichkeit von "den Medien" manipuliert – etwa durch falsche, auslassende oder einseitige Berichterstattung? Abgesehen von hehren Ansprüchen ist das Thema durchaus schwierig, doch der Görlitzer Anzeiger schreckt vor nichts zurück. Zu beachten sind ideologische, technische und journalistische Aspekte.

Abb.: Antennen für den analogen Rundfunkkempfang – im Bild für UKW sowie die beiden "DDR"-Fernsehprogramme – sind im Grunde unnötig geworden
Archivbild: © Zittauer Anzeiger
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"Staatsfunk", "Lügenpresse" und Informationszugang heute

Um erst gar keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Begriffe wie "Staatsfunk" und "Lügenpresse" sind demagogischer Unsinn, ins Spiel gebracht von jenen, die selbst die Bevölkerung in ihrem Sinne manipulieren möchten und benutzt von jenen Nachplapperern, zu deren Schutz es in der Bundesrepublik eben keinen "Staatsfunk" gibt.

Der "Staatsfunk"

"Staatsfunk" wird auf die öffentlich-rechtlichen Medien bezogen, die in Westdeutschland nach britischem BBC-Vorbild entstanden und deren System 1990 in den neuen Bundesländern übernommen wurde. Der öffentlich-rechtlich Rundfunk hat vor allem und genau den Zweck zu verhindern, dass der Staat die elektronischen Medien in seinem Sinne missbraucht und zum Propagandainstrument macht. Anlass war vor allem die Gleichschaltung aller Rundfunksender unter den Nazis und deren Unterordnung unter ein – heute klingt die Bezeichnung wie Ironie – Reichspropagandaministerium.

Um die Unabhängigkeit vom Staat zu gewährleisten, ist der Rundfunk in der Bundesrepublik eben nicht staatsfinanziert, sowohl der gebührenfinanzierte – zuweilen an Gebührenphantasien leidende – öffentlich-rechtliche Rundfunk wie auch der, wie der Name schon sagt, privat finanzierte private Rundfunk.

Natürlich hat auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine wunden Punkte, Vorwürfe wie Vetternwirtschaft, Selbstbedienungsmentalität, aber auch Ausbeutung von Subunternehmern und die Bildung nahezu undurchschaubarer Firmengeflechte stehen immer wieder im Raum. Gerade was die Personalien von Intendanten betrifft, hat manche Besetzung einen schalen Beigeschmack; leider ist die Rechtsabteilung des Görlitzer Anzeigers zu schwach besetzt, um näher darauf eingehen zu können. Deutlich gemacht werden muss aber auch: Einzelfälle wabern durch die Medien, während alles, was gut funktioniert, still hingenommen wird.

Eine besondere Rolle spielen die Rundfunkräte als Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die zugleich als Wahlgremien der Intendaten der einzelnen Rundfunkanstalten fungieren. Die Rundfunkräte sollen den Querschnitt der Bevölkerung repräsentieren. Realisiert wird das, indem je nach Rundfunkstaatsvertrag Vertreter etwa der politischen Fraktionen, der Gewerkschaften, der Kirchen und von Verbänden in die Rundfunkräte entsandt werden.

Unumstritten ist das nicht: So sieht mancher im säkularisierten Osten die Kirchen überrepräsentiert, während Atheisten in den Rundfunkräten bundesweit kaum vorkommen. Im Jahr 2014 musste das Bundesverfassungsgericht eingreifen: Um die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sichern, wurde der Anteil von staatlichen und staatsnahen Mitgliedern auf höchstens ein Drittel begrenzt. Die Zahler der immer wieder steigenden Rundfunkgebühren haben übrigens keinerlei Einfluss auf die Zusammensetzung der Rundfunkräte. Kritisiert wird außerdem die starre Entsendungsfrist der Rundfunkräte für die Dauer von vier bis – wie beim Mitteldeutschen Rundfunk – sechs Jahren.

Die "Lügenpresse"

"Lügenpresse" ist ein von den Nationalsozialisten in der Zeit der Weimarer Republik verwendeter Begriff, mit dem auch die unabhängige Berichterstattung, die damals zum allergrößten Teil über die Presse erfolgte, zu diskreditieren. Angesichts der Pressefreiheit in Deutschland ist der Vorwurf, es gebe eine "Lügenpresse", absurd – der Görlitzer Anzeiger ist das beste Beispiel dafür, dass jeder Nachrichten und Informationen verbreiten darf, ohne dass eine Zensur stattfindet. Wo übrigens das Presserecht nicht zutrifft, dort greift das grundsätzliche Recht auf freie Meinungsäußerung.

Wer meint, seine Meinung nicht frei äußern zu dürfen, hat meist vergessen, dass Meinungsäußerungen nicht nur Zustimmung, sondern auch heftigen Gegenwind finden können – wer seine Meinung äußert, muss mit den Reaktionen darauf leben können. Außerdem endet Meinungsfreiheit dort, wo es etwa um Beleidigung, Verleumdung und Diskreditierung geht, als geheim eingestufte Informationen verbreitet werden, Sittlichkeit und öffentliche Sicherheit bedroht oder Urheberrechte verletzt werden. Man sieht: Manche Grenzen der Meinungsfreiheit sind eher fließend und vom Zeitgeist abhängig, etwa in den Grenzbereichen dessen, was als sittlich empfunden wird, andere sind wie im Urheberrecht weitestgehend glasklar geregelt.

Nun ist, wie jeder weiß, Freiheit niemals unbeschränkt. Einesteils spiegelt die Presse Meinungsvielfalt wieder, andererseits gibt es das Tendenzrecht des Verlegers, das etwa dazu führt, dass die absolut gleiche Information etwa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), in der Süddeutschen Zeitung (SZ) und in der Frankfurter Rundschau (FR), obgleich sie längst zu FAZ gehört, jeweils in durchaus einem anderen Licht dargestellt wird. Unberührt davon ist das Gebot der Trennung von Information und Kommentar.

Ein Besonderheit in Deutschland, die den Zugang zu Informationen unterstützt, ist das deutsche Presse-Grosso. Es fußt darauf, das der Pressemarkt in Deutschland unter Pressegroßhändlern aufgeteilt ist, die im gegenzug garantieren müssen, dass die wichtigsten regionalen und überregionalen Zeitungen bis in den hintersten Winkel des Landes verfügbar sind.

informationszugang heute

Während die Verfügbarkeit der Presse also gesichert ist, ist der zu den elektronischen Medien in den vergangenen Jahren eingeschränkt worden und kann zusätzlich jederzeit weiter eingeschränkt werden. Das klingt paradox, ist doch die empfangbare Sendervielfalt so groß wie nie zuvor. Ein Rückblick auf das “Tal der Ahnungslosen”, wie in der "DDR" die Region um Dresden und östlich davon genannt wurde, zeigt, worum es geht.

Trotz aller technischer Experimente – in der Region um Görlitz etwa die "Tschechenfallen", mit denen das spärliche Westfernsehsignal von im Freqenzspektrum benachbarten tschechoslowakischen Fernsehsendern besser getrennt werden sollte – blieb "das Westfernsehen" im heutigen Ostsachsen außen vor. Im Erzgebirge hingegen konnte man schon den 1958 im bayrischen Fichtelgebirge errichteten Sender Ochsenkopf empfangen. Wer im Tal wohnte, schnappte sich einen Kofferfernseher und konnte damit selbst im Trabi auf den Bergen gucken, was der propagierte Klassenfeind aus seiner von der SED-Propaganda suggerierten Elendswelt sendete.

Solchen Improvisationen im Informationszugang bereitet die Digitalisierung zunehmend ein Ende. So glänzt das terrestrische Digitalfernsehen nicht durch Überreichweiten und bietet nur einen enge Senderauswahl. Wobei: Die Frage der Übertragungsweges steht vor vielen Mietern, die an das Kabelfernsehen angeschlossen sind, nicht. Immerhin verweisen Kabelfernseh-Anbieter darauf, dass per Kabelfernsehen sehr viele Programme empfangbar sind, immerhin mehr als 200 frei empfangbare TV- und Radioprogramme.

Diese Zahl dürfte größer sein als die mit üblichem Aufwand erreichbaren Programme des Satellitenfernsehens, jedoch überboten werden von der via Internet verfügbaren programmvielfalt – nur: Internet-Übertragungswege lassen sich von Staaten leicht kappen, außerdem hinterlässt der Nutzer immer eine Spur zu seiner IP-Adresse. In einem undemokratischen System kann daraus leicht der Vorwurf des Konsums von "Feindsendern" mit der Folge schwerer Strafen entstehen.

Im Hörfunkbereich sind die amplitudenmodulierten Wellenbereich der Kurz-, Mittel- und Langwelle bedeutungslos geworden und sind an vielen modernen Rundfunkgeräten nicht mehr zu finden. Doch gerade die Lang- und die Kurzwelle erlauben es, Hörfunkprogramme über sehr große Entfernungen zu übertragen und damit an Informationen ausländischer Quellen – die freilich wie im Falle russischer Staatsmedien kritisch zu sehen sind – zu gelangen. In Nazideutschland war hier die BBC eine wichtige Informationsquelle, während etwa "Radio Tirana" bis 1985 – in diesem Jahr starb er – Propaganda für den albanischen Diktator und kommunistischen Verbrecher Enver Hoxha – gesprochen Hodscha, was im Arabischen (معلم) für Lehrer steht – machte.

Das moderne DAB+ Radio hingegen kann wegen seiner Multiplex-Technologie, bei der sich alle Sender eine einzige Frequenz teilen, nur den sogenannten Bundesmux als feste Senderauswahl präsentieren, ausländische Programme sind damit zu Hause nicht empfangbar. Außerdem ist die Klangqualität des zwar störungsfreien DAB+ Rundfunks wegen der relativ geringen Bitraten eingeschränkt, während der UKW-Rundfunk Tonfrequenzen bis zu luxuriösen 15 Kilohertz überträgt – wenn es denn die heute fast immer digitale Signalquelle hergibt. Vergleichbar ist das der analogen Schallplatte, die regelmäßig irgendwie voller klingt das die digitale Compact Disk. Digitale Übertragungsverfahren haben halt immer mit Datenreduzierung zu tun.

Informationsqualität

Neben den technischen Fragen der Informationsübertragung und des Informationszugangs stehen die inhaltlichen. Es ist logisch, dass für eine zeitlich beschränkte Nachrichtensendung immer eine Nachrichtenauswahl getroffen werden muss, die zudem nicht nur den Informationsaspekt, sondern auch das Unterhaltungsbedürfnis des Rezipienten bedient. Seltsam hingegen mutet es an, wenn der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) mitten in den abendlichen Hauptnachrichten werbeblockartig auf sein Meinungsbarometer "MDR fragt" verweist.

Außerdem kann man sich des Gefühls nicht erwehren, dass viele Journalisten sich einer Art vorauseilendem Gehorsams gegenüber der Demokratie verpflichtet fühlen. Doch gerade im Umgang mit Rechtsextremen lernen sie dazu. Andererseits irritiert, dass bestimmte Stereotype ständig wiederholt werden. Dazu gehört "der russische Angriffskrieg auf die Ukraine" – der Charakter des ukrainischen Verteidigungskrieges fällt dabei ebenso unter den Tisch wie überhaupt die Vorgeschichte des russischen Angriffs, die zwar nichts rechtfertigen kann, aber besser erklären könnte, worauf die russische Propaganda aufbaut.

Resümee

Orientierung in der Nachrichtenvielfalt ist schwierig. Entscheidend ist der vielseitig informierte Bürger, zu dessen Medienkompetenz es gehört, die Seriösität von Quellen und Meldungen einzuschätzen. Auch sich seinen Teil zusammenzureimen, ohne in scheinbar schlüssige Verschwörungstheorien zu verfallen, gehört zur Medienkompetenz. Besser verorten kann sich zudem, wer seine Anschauungen mit anderen diskutiert, ohne dabei zum Agitator zu werden.

Kommentare Lesermeinungen (1)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Staatsfunk

Von Norbert Hanßen am 09.08.2022 - 13:00Uhr
Staatsfunk, Lügenpresse sind natürlich Totschlagdiskussionen, aber wo Rauch ist, ist auch Feuer!

Demokratie heißt alle Macht vom Volke aus,da klemmt es schon, der gute Einstein sagte mal, in der Demokratie haben die Dummen immer die Mehrheit, wie wahr!

Gruß N. Hanßen

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  • Quelle: Thomas Beier | Foto: © Zittauer Anzeiger
  • Erstellt am 08.08.2022 - 10:48Uhr | Zuletzt geändert am 08.08.2022 - 17:56Uhr
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