Lebensadern unter der Erde
Görlitz, 12. Juli 2020. Die Deutschen lieben es unterirdisch: Wo immer möglich, werden alle erdenklichen Kabel und Leitungen verbuddelt. So sind etwa Freileitungen, die den elektrischen Strom zu den Gebäuden bringen, aus vielen Ortsbildern verschwunden. Wasserleitungen hingegen müssen vergraben werden, damit sie vor Frost geschützt sind. Bei Abwasserleitungen ist der Frostschutz allerdings nicht vordergründig, in Görlitz gibt es sogar eine Abwasserleitung auf einer Mauer.
An der nächsten Baustellenampel mal daran denken
Der große Aufwand für das unterirdische Verlegen aller Medienanschlüsse ist sinnvoll, wenn auch der Anlass dafür höchst unterschiedlich ist.
Trinkwasser
Beim Trinkwasser ist die Sache klar: Erst in einer Tiefe ab 40 Zentimetern ist ausreichender Frostschutz gegeben. Doch hat sich die Technologie gewandelt, denn anstelle von in Görlitz noch gefundenen Holzleitungen und einst verbreiteten Gussrohren kommt heute PE Rohr zum Einsatz. Dabei waren die Gussleitungen nahezu "für die Ewigkeit" ausgelegt. Im geschichtsbewussten Görlitz war es sogar eine Pressemeldung wert, als eine 130 Jahre alte gusseiserne Wasserleitung ersetzt wurde durch eine aus PE Rohr. Solche PE Rohre werden nach dem Einsatzzweck unterschieden, neben dem Trinkwassertransport gibt es auch Ausführungen für Prozess- und Abwässer. PE steht für Polyethylen, einen Werkstoff, der in hoher Dichte für Wasserleitungen verwendet wird und für enorme Flexibilität und Lebensdauer steht.Abwasser
Das Motiv, das Abwasser vom Tageslicht zu verbannen, war der häufige bestialische Gestank. Blickt man genauer auf den Umgang mit Abwasser, muss man zwischen prähistorischen und modernen Zeiten unterscheiden. Schon die geheimnisvolle Hochkultur der Sumerer in Mesopotamien, dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris (heute Irak), verfügte um 5.000 v.u.Z. über tönerne Abwasserleitungen in den Häusern. Im Palast von Knossos auf Kreta findet sich ein 4.000 Jahre altes Wasserklosett und im antiken Rom gab es um 600 v.u.Z. bereits einen Abwasserkanal. Doch mit den Römer ging auch erst einmal die Kultur den Bach runter und über Jahrhunderte lief in Europa die Entsorgung von Fäkalien so: Der Bauer ging auf den Misthaufen, der Ritter saß auf den Freischwinger, unter sich am besten die Feinde, und in den Städten kippten die Bürger ihre Hinterlassenschaften einfach auf die Straße.Die Zustände lassen sich am Beispiel Hamburg beschreiben: In der von Wasseradern durchzogenen Stadt wurde alles ins Wasser entsorgt, das aber zugleich als Trink- und Waschwasser genutzt wurde. Deshalb holte man später mit sogenannten Kummerwagen die Fäkalien ab und brachte sie auf Land. Schließlich war Hamburg im Jahr 1856 jene Stadt auf dem europäischen Festland, die das erste Kanalisationssystem der Neuzeit errichtete. Zuvor hatte man in London ab 1842 begonnen, ein Kanalisationssystem zu bauen. Nach dem "großen Gestank" vom 1858 wurde dieses Projekt verstärkt vorangetrieben.
Dazu reichte es in der "DDR" nicht. Hier wurden – in anderen Ländern in Ost und West allerdings auch – die Bäche und Flüsse zu Kloaken für Haushalts- und Industrieabwässer. In Leipzig etwa wurden ganze Flussläufe abgedeckt oder verrohrt und so zu unterirdischen Kanälen mit hohem Abwasseranteil gemacht. Wo sie noch zu Tage traten, lag immer wieder ein typischer Phenolgestank in der Luft, biologisch waren diese Flüsse oft tot. Dank der wieder freigelegten Abschnitte von Pleiße und Elster und des sauberen Wassers ist Leipzig mit seinen Flüssen heute tatsächlich eher ein Klein-Venedig als ein Klein-Paris, wie es Goethe im Faust I zitierte. Wenn dann noch die fehlenden fünf Kanalkilometer bis zum bereits ausgehobenen Hafenbecken entstehen würden und der Karl-Heine-Kanal mit der Saale verbunden würde, ja dann könnte man von der Leipziger City bis nach New York City durchschippern.
Seit 1990 ist om Osten eine Vielzahl von neuen Klärwerken, wenn auch oft überdimensioniert, entstanden und Kommunen wie etwa auch Zittau treiben einigen Aufwand, um ihre Abwassersysteme zu modernisieren.
Verkabelung
Jegliche Arten von Kabeln – vom Starkstromkabel bis zur Glasfaserleitung für das Internet – ins Erdreich zu versenken hat viel mit Versorgungssicherheit zu tun. Während Stürme mit umstürzenden Bäumen bei Freileitungen schnell zum Kurzschluss führen oder gar zerreißen können, ist die unterirdische Versorgungsstruktur weit sicherer und zuverlässiger. Auch Sabotage und Unfälle, etwa von Kindern, die an Freileitungsmasten spielen, können so weitestgehend ausgeschlossen werden.Diese Versorgungssicherheit und der schöne Blick auf Orte und Landschaften ohne störende Kabel ist sicherlich auch eine kulturelle Frage. Das zeigt sich beim vergleichenden Blick auf die USA, wo es in den Kommunen weit mehr Freileitungen gibt. Man käme wohl gar nicht auf die Idee, ein Elektrokabel zu vergraben, wenn die Freileitung viel billiger ist. Wenn man im ländlichen Raum und in kleineren Städten unterwegs ist, dann gehört es zum amerikanischen Lebensgefühl, dass bei einem Sturm der Strom ausfällt und man improvisieren oder auf autarke Systeme umstellen muss: Der Kampf gegen die Naturgewalten, wie er die Einwanderer bei der Besiedlung geprägt hat, findet so seine Bestätigung.
Baustellen
Auch in Görlitz wird einiger Aufwand getrieben, um Ver- und Entsorgungsleitungen ins Erdreich zu bringen oder dort zu erneuern; die sich beständig verlängernde Liste der Baustellen auf den Straßen zeugt davon. Aber vielleicht denkt man einmal an diese unterirdische Technikwelt, wenn die Ampel an der Baustelle wieder einmal auf Rot steht.-
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- Quelle: red
- Erstellt am 12.07.2020 - 07:46Uhr | Zuletzt geändert am 12.07.2020 - 10:24Uhr
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