Wenn Digitalisierung analoge Abläufe ablöst
Görlitz, 16. Dezember 2022. Von Thomas Beier. Diskutiert man in den unterschiedlichsten Organisationen über Digitalisierung, dann wird überall beteuert, auf einem guten Weg zu sein. Allerdings versteht jeder etwas anderes unter digitalem Fortschritt.
Digitalisierung wird oft genug nur als Gängelei empfunden
Digitalisierung ist für manche, wenn man sich ein Formular herunterladen kann, um es zu Hause auszudrucken, auszufüllen, zu unterschreiben und per Post zurückzuschicken. “Ja, Originalunterschrift muss sein”, heißt es immer wieder bedauernd, beispielsweise wenn es um SEPA-Lastschriftgenehmigungen geht. Das stimmt zwar nicht ganz, aber was soll’s, der elektronische Personalausweis ist für viele ja auch noch nicht erfunden. Unter solchen Prämissen wird es dann als ein Riesenfortschritt gefeiert, wenn ein Formular erst online ausgefüllt werden kann und erst dann zwecks Druck heruntergeladen wird. Bei allem Gemecker: Seit einem Jahr kann man im Landkreis Görlitz sein Kfz online anmelden, Basis ist ein Projekt des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr.
Doch halt: Digitalisierung ist etwas anderes, nämlich das, was dieses Formular, dieses Blatt Papier als Teil der analogen Welt, völlig unnötig macht. In einer wirklich digitalisierten Welt sitzt niemand fluchend vor einem Computer, weil es einem Programmierer wieder einmal nicht gelungen ist, die Vielfalt der Realität in den Optionen seiner Software abzubilden. Nein, Digitalisierung muss dazu führen, dass mehr oder weniger automatisch auf benötigte Daten zugegriffen wird. Jeder, der regelmäßig die gleichen Formulare mit den ewig gleichen Angaben für eine Behörde ausfüllen muss, weiß, was gemeint ist.
Die Datenerhebung für die Grundsteuerreform ist ebenfalls ein schönes Beispiel: Der Bundestag hat sich für ein für Immobilieneigentümer kompliziertes und aufwändiges Modell zur Datenerhebung entschieden, das auf für Laien nur schwierig nachvollziehbare Software setzt – und das, obgleich Experten die Vorgehensweise von vornherein als zu kompliziert und viel zu teuer kritisiert und auf einfachere Möglichkeiten verwiesen hatten.
Manches aus der guten alten Welt löst sich in der Digitalisierung auf
Das Problem ist, wie die Digitalisierung auf die Menschen wirkt, auf das Zusammenleben und auf den Einzelnen. Dazu ein Beispiel: Vor vielen Jahren habe ich mit einem Handelsvertreter eines Maschinenbauers in einigen Ländern dessen Kunden besucht. Der Mann war praktisch ständig bei seinen Kunden unterwegs, im Sommer sogar mit dem Wohnwagen. bei einem Unternehmen angekommen, zog er den Blaumann an, inspizierte die Maschinen, kümmerte sich um notwendig werdende Ersatzteile und schaffte mit seiner fürsorglichen Präsenz eine hervorragende Grundlage für das Neugeschäft.Tipp:
Heute würde man das After-Sales-Service nennen, den Service nach dem Verkauf, der ungemein wichtig für den Aufbau einer Stammkundschaft ist. Merke: Zufriedene Kunden sind noch lange keine treuen Kunden, nur begeisterte Kunden widerstehen dem Werben der Konkurrenz!
Durch die Gegend und ganze Länder zu ziehen, Unternehmen zu besuchen, mit Kunden zu schwatzen, Kaffee zu trinken und sich ab und an mal eine Maschine näher anzusehen, das klingt wie eine Geschichte aus der guten alten Zeit vor der Allgegenwart des Internets – und so ist es auch. Die Digitalisierung hat auch dieses Stück der analogen Welt überflüssig gemacht und nein, der Mann sitzt nicht am PC und kommuniziert per E-Mail: Den Prozess, den seine Tätigkeit darstellte, gibt es so nicht mehr, die digitale Transformation hat ihn, wie soll man sagen, aufgelöst.
Gestern und heute
Nur ein Beispiel: Zeigt eine Maschine Auffälligkeiten, dann hätte der Betreiber früher den Kundenservice des Herstellers informiert. Der Hersteller hätte dann – vielleicht über hunderte von Kilometern – ein oder zwei Fachleute hingeschickt, die sich das näher ansehen. Sie wären vielleicht zu dem Schluss gekommen, dass ein aufwändig herzustellendes und zu transportierendes Ersatzteil nötig ist – welche Kosten in diesem Fall insgesamt entstehen, das kann man sich leicht zusammenreimen. Reisen, Transport, Arbeitszeit, Spesen und so weiter summieren sich gegebenenfalls zu beträchtlichen Geldbeträgen.Heute sorgt die Digitalisierung im Maschinenbau für einen ganz anderen Ablauf: Mit dem Internet verbundene Sensoren – Stichwort ist das Industrial Internet of Things (IIoT) – melden auffällige Maschinenparameter direkt an den Hersteller oder seinen Servicepartner. Der kommt vielleicht zu dem Schluss, dass es am effektivsten ist, das Teil vor Ort beim Kunden mittels 3D-Drucker herzustellen – so wird der Transport glatt eingespart.
Wer das für Zukunftsmusik hält, sollte sich vergegenwärtigen, dass die Digitalisierung im Maschinenbau weit über die elektronische Steuerung und Vernetzung von Maschinen hinausgeht – im Gegenteil, das gab es schon vor Jahrzehnten. Heute geht es um die digitale Transformation, die Prozesse in der analogen Welt auf dem Weg der Volldigitalisierung überflüssig macht.
Digitales Abbild als Service
Maschinenbauer wären übrigens schlecht beraten, würden sie ihre Expertise aufgeben und sich ausschließlich den Digitalisierungsprozessen zuwenden. Anders wird ein Schuh daraus: Externe Dienstleister errichten das, was man den digitalen Zwilling nennt, und bilden Maschinen digital ab. Man spricht in diesem Zusammenhang von Managed Services, weil sich die Dienstleister um die Softwarebereitstellung als Servicedienstleistung, die IT-Infrastruktur und den Systemausbau kümmern.Je nach Ausbaustufe beginnt das etwa bei den Daten der computergestützten Konstruktion (CAD), setzt sich fort mit den digital verarbeitbaren Stücklisten für die Fertigung sowie Daten von Werkzeugen und Verschleißteilen, um schließlich alle Daten, so aus Sensoren, aus der Wartungshistorie und aus Tests oder etwa die Wartungsanweisungen im digitalen Zugriff zwecks automatischer Nutzung zu haben.
Mehr:
Wer mehr über die künftige Digitalisierung im Maschinenbau erfahren möchte, für den hat das Transaction Network zusammengestellt, was schon heute geht. Das Netzwerk hat seinen Sitz übrigens in Gottmadingen, wo 1870 die Maschinenbaufirma Fahr – einst berühmt für ihre Traktoren – gegründet wurde.
Das Fahr-Fabrikgelände ist heute ein Industriepark. Bei rund 11.000 Einwohnern bietet Gottmadingen heute mehr als 2.400 Arbeitsplätze, da kann man was lernen im Ländle. Die geografische Lage ähnelt übrigens der von Zittau, nur dass Gottmadingen von drei Seiten von der Schweiz umgeben ist und sich im Fall von Zittau, der Hauptstadt der Dreiländerregion, sich Polen und Tschechien die drei Seiten teilen.
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- Quelle: Thomas Beier | Foto: English / RAEng_Publications, Pixabay License
- Erstellt am 16.12.2022 - 16:39Uhr | Zuletzt geändert am 16.12.2022 - 18:30Uhr
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