Mit Kartenlegen die Zukunft sehen: Wie viel Wahres ist dran?

Mit Kartenlegen die Zukunft sehen: Wie viel Wahres ist dran?Görlitz, 31. August 2020. Es wäre so einfach, die Wahl, ob man das neue Jobangebot annehmen oder lieber beim alten, sicheren Arbeitgeber verweilen sollte, den Tarotkarten zu überlassen. Die Ungewissheit über die zukünftigen Zeiten lassen sich viele nicht nur für das Berufsleben, sondern auch im privaten Bereich gerne durch das Kartenlegen mehr oder weniger ernsthaft ausräumen. Ein Blick in die Zukunft und man weiß Bescheid, wie sich die Liebesbeziehung, die Freundschaft oder die Zufriedenheit im Familienleben entwickeln wird – doch was ist wirklich dran an den Prophezeiungen der Karten und Wahrsager? Wie viel Wahrheit steckt im Kartenlegen?

Foto: Jacqueline Macou, Pixabay License
Anzeige

Die Geschichte der Chartomantik

Die menschlichen Sorgen, Ängste bei wichtigen Entscheidungen und schmerzvolle Momente sind seit Jahrtausenden Anlass, einen Blick in die Zukunft werfen zu wollen. Verständlich, denn in Situationen des Leidens möchte man nur eines: Wissen, wann der elendige Schmerz, die Angst und die negativen Gefühle ein Ende haben oder wie man sie gleich vermeiden kann. Daher gab es schon immer Formen des Wahrsagens und selbst in der Bibel finden sich Prophetien wie etwa die fünf Prophezeiungen über die Wiederkehr Jesu. Das Kartenlegen – auch Chartomantik oder Kartenlegekunst genannt – ist ein Bereich des Wahrsagens. Als neuzeitliche, in Europa erst seit gegen Ende des 18. Jahrhunderts oft verwendete Technik erfreut sich diese Kunst, aus den Karten Vorhersagen zu treffen, dennoch einer langen Geschichte:

Vermutlich im 7. Jahrhundert in China entstanden, war die Suche nach der Bedeutung zufällig gewählter Karten eine Folge der Kartenspiele, also der spielerischen Beschäftigung mit Spielkarten: Diese wurden kurze Zeit später als Wahrsagekarten umfunktioniert und eingesetzt. Doch erst durch französische Okkulisten wurde das Kartenlegen in Europa im ausklingenden 18. Jahrhundert zum populären Phänomen, das sich bis heute einer großen Zuwendung erfreut. In Frankreich veröffentlichte Jean-François Alliettes, genannt Etteilla, 1783 oder 1784 das allererste europäische Werk, das sich mit der Chartomantik beschäftigt: "Manière de se recréer avec un jeu de cartes nommées Tarot", zu Deutsch: "Wie man sich mit den Tarot genannten Spielkarten zerstreut". Dieses Buch gilt als zentrales Grundlaegenwerk vieler moderner Kartenleger und Esoteriker.

Gibt es einen Wahrheitsgehalt, der sich aus den Karten lesen lässt?

Die Tarotkarten wurden, als sie sich in Europa verbreiteten, sofort kritisiert und infrage gestellt. Dennoch haben sie sich völlig unabhängig von ihrer Tauglichkeit für ernsthafte Prognosen, wie sie beispielsweise Wettervorhersagen leisten, als weit verbreitetes und oft genutztes Mittel zur Vorhersage gehalten. Der Reiz der Karten ist verständlich: Die Hoffnung und das Wissen, wie es weitergehen soll, kann, muss, wird von der eigenen Verantwortlichkeit, vielleicht auch Hilflosigkeit, an die Karten und deren Interpretation und damit äußere Kräfte delegiert. Gerade in unsicheren Zeiten, in denen es viele tatsächliche oder vermeintliche Bedrohungen gibt, oder wenn es um die Gesundheit oder eine neue Partnerschaft geht, suchen die Menschen nach Sicherheit für die Zukunft und wollen wissen, was diese bringt und wie es um sie steht.

Doch auch, wenn die wissenschaftliche Beweisbarkeit der Aussagen des Kartenlegens nicht gegeben ist, hat es doch seinen Wert. Dabei geht es nicht um gewiefte Wahrsager, die mit Aussagen verblüffen, die sich aus der Logik oder Wahrscheinlichkeitsbetrachtung ergeben wie etwa "im Januar kommen drei frostige Nächte auf Dich zu" oder bei denen Tautologien eingesetzt werden wie zum Beispiel "es wird nicht regnen, wenn aber doch, so wirst du sehr nass werden, wenn du keinen Schirm dabeihast". Gern wird auch ein- und dieselbe Aussage immer wieder mit anderen Worten und aus anderer Perspektive wiederholt. Dadurch entsteht beim Ratsuchenden das Gefühl, viel und nur Zutreffendes erfahren zu haben.

So wirken die Karten

Was gute Wahrsager nutzen und etwa beim Kartenlegen tatsächlich bewirkt wird, ist die Beeinflussung von Glaubenssätzen. Jeder Mensch besitzt seine eigene Wahrheit, an die er glaubt und die für ihn richtig ist. Wenn etwa jemand fest daran glaubt, eine Herausforderung zu überwinden, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er es tatsächlich schafft. "Hintergrund ist das Phänomen der selbsterfüllenden Prophezeiung", die Eintritt, wenn man sich klare Ziele stellt, erläutert der Unternehmensberater Thomas Beier. Diese wirke auf drei Ebenen:
    • Beschäftigt man sich mit Herausforderungen und formuliert diese präzise am besten schriftlich, dann beginnt das Gehirn mit der Suche nach Lösungswegen – und zwar im Unterbewusstsein 24 Stunden täglich. Das haben die meisten schon erlebt, dass ihnen die Lösung für ein Problem, mit dem man sich intensiv beschäftigt hat, nach ein paar Tagen scheinbar urplötzlich wie aus dem Nichts eingefallen ist – ein Phänomen, das man nutzen sollte.

    • Zweitens beginnt sich die Wahrnehmung zu verändern, weil das Gehirn ganz automatisch Informationen filtert: Man erkennt plötzlich hilfreiche Informationen oder Menschen, die einen weiterbringen und kann sich darauf konzentrieren.

    • Nicht zuletzt erfährt man Unterstützung erst dann, wenn man ein Ziel hat und darüber spricht. Viele Menschen sind froh, wenn jemand mit seinen Zielen sagt, wo es hingehen soll, und helfen ihm instinktiv.

Wenn die Karten also jemanden darin bestärken, eine unsichere oder herausfordernde Situation zu bestehen, dann tragen sie zugleich dazu bei, dass es wirklich so kommt. Auch die entgegengesetzte Verhaltensweise liegt auf der Hand: Wer glaubt, keine Chance zu haben, bekommt auch keine. "Glaube ist der vielleicht stärkste Einflussfaktor auf menschliches Verhalten", erläutert Beier noch, "Wissen hingegen ist schwach, die allermeisten Menschen handeln ständig wider besseres Wissen. Erfahrungen wirken stärker, verblassen jedoch, am Ende bleibt der Glaube." Deshalb sei es beispielsweise für Unternehmer und Sportler so wichtig, an den eigenen Erfolg zu glauben. Zu solchen Glaubensfragen hat Beier ein Beispiel: "Legt man ein vielleicht drei Meter langes Brett auf den Fußboden, so wird wohl jeder, den man darum bittet, ohne Angst darauf entlanglaufen. Legt man aber das Brett in fünf Meter Höhe, werden das die Wenigsten tun, weil sie glauben, sie könnten abstürzen. Dabei hat sich doch die Anforderung, auf dem Brett entlangzulaufen, überhaupt nicht verändert – nur der Glaubenssatz, wonach das jetzt gefährlich ist, wurde aktiviert."

Kartenlegen in der Praxis

In seiner Unternehmensberatung setzt Beier spezielle Karten ein, die es ermöglichen, sich sehr komplexen Fragestellungen zu nähern: "Es ist eine Zugangsmethode, die meinen Mandanten hilft, Probleme und Lösungsansätze im Betrieb, etwa bei der Mitarbeiterführung oder in der Strategieentwicklung, zu erkennen und auf diese Weise Schritt für Schritt zu Verbesserungen zu gelangen." Für ihn ist es naheliegend, dass man etwa mit Tarotkarten Ähnliches bewirken kann – ganz unabhängig davon, ob jemand an die Chartomantik glaubt oder nicht. Das Kartenlegen löst unweigerlich die mentale Beschäftigung mit anstehenden Veränderungen oder Lebensentscheidungen aus. Auch wer abstreitet, dass der Blick in die Zukunft möglich ist, befasse sich mit Hilfe der Karten dennoch unbewusst mit seiner Zukunft und bekomme zumindest Klarheit über Optionen und Einflussfaktoren.

Für Beier ist es fast schon Alltag, sich mit Zukunftsfragen zu beschäftigen und entsprechend herauszufinden, was insbesondere auf Unternehmen zukommt. Als Beispiel nennt Beier einen Aufsatz über "Digitale Führung", den er bereits im Juli 2017 veröffentlicht hat und der die Herausforderungen des Home Office während der Coronakrise praktisch vorweggenommen hat. Bei Unternehmen seien es oft nur wenige und eher weiche Indikatoren, die eine Aussage über deren Zukunftrobustheit und damit mögliches künftiges Schicksal zulassen. "Im Grunde geht es in der Unternehmensberatung immer darum, ein Unternehmen reaktionsfähig auf unterschiedlichste aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu halten und damit zu einem sicheren Marktpartner und Arbeitgeber zu machen", verdeutlicht Beier den wirtschaftlichen Aspekt der "Zukunftsvorhersage".

Zurück zu den Karten und ihre Rolle für ratsuchende Menschen, die sich einen Blick in die Zukunft wünschen: Es geht weniger darum, ob die Mondkarte Weitsicht symbolisiert, sondern um die ganz persönlichen Probleme aus Sicht der Metaebene. Erst die Draufsicht auf sich selbst und die Einflüsse, denen man ausgesetzt ist, ermöglichen es, den gesuchten Weitblick zu entwickeln. Wieso also das Kartenlegen nicht als eine kostengünstige und zudem angenehme Methode – nicht als Therapie – sehen, die ohne unangenehme Fragen über die eigenen Lebensschwierigkeiten zu stellen für einen Einblick in das zukünftige Erleben und Handeln sensibilisiert? Auf diese Weise sind die Karten ein Hilfsmittel, sein Problembewusstsein zu schärfen und seine Reflexionsfähigkeit – das Nachdenken über sich selbst – zu üben.

Kommentare Lesermeinungen (0)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Schreiben Sie Ihre Meinung!

Name:
Email:
Betreff:
Kommentar:
 
Informieren Sie mich über andere Lesermeinungen per E-Mail
 
 
 
Weitere Artikel aus dem Ressort Weitere Artikel
  • Quelle: red | Foto: jackmac34 / jacqueline macou, Pixabay License
  • Erstellt am 31.08.2020 - 12:47Uhr | Zuletzt geändert am 31.08.2020 - 15:57Uhr
  • drucken Seite drucken
Anzeige