Mauergedenken am 13. August

Görlitz. Warum der Görlitzer Anzeiger sich nicht zum Jahrestag des Mauerbaus geäußert hat, wurde die Redaktion gefragt. Immerhin gab es doch auch in Görlitz eine Kranzniederlegung am Gesundheitsamt in der Reichertstraße, zu der Offizielle, Parteienvertreter und SED-Opfer anwesend waren.

Anzeige

Überlegungen zum 13. August von Fritz R. Stänker

Immer, wenn Regierungen im Interesse einer "großen Sache" so sehr in das Leben ihrer Staatsbürger eingreifen, dass für eine Masse von Einzelpersonen erhebliche Nachteile und Leid entstehen, wird es bedenklich. Kommunistisch sein wollende Regierungen neigen - wie alle Diktaturen - zu solchem Handeln.

Der 13. August 1961 ist ein Beispiel dafür: Da haben die Ostberliner eine Mauer um ihre Stadt gebaut - und sind selber draußen geblieben, wie gewitzelt wurde.

Wenn wir heute der verhafteten und der getöteten Maueropfer gedenken, an die Trennung von Familien und Freunden, an die Begrenzung der Freiheit durch die Mauer und die innerdeutsche Grenze, dann muss auch gefragt werden: Wer war verantwortlich, wer hat geholfen, wer hat das geduldet und zugesehen?

Die Reden zum 13. August richten sich gegen - je größer der zeitliche Abstand wird - ein immer mehr imaginär erscheinendes "SED-Unrechtsregime". Das jedoch konnte sich nur halten wegen des Mangels an Zivilcourage der diktatur-gewohnten Deutschen, wegen der vielen Vorteilsnehmer und Nicht-Anecker, ganz abgesehen von den wirklich überzeugten Genossen.

Ein Volk von Widerstandkämpfern waren die DDR-Bürger nicht: 1989 hatte die SED mehr als zwei Millionen Mitglieder. Und ob ein Wahlergebnis zum 90 Prozent Zustimmung auf 98 Prozent gefälscht wurde, gibt nicht den Ausschlag. Merke: Meckern und Widerstand - sei er passiv oder aktiv - sind grundlegend zweierlei. Es ist einfach, die Situation anzuerkennen, wie sie ist, und sich seufzend in einer Nische einzurichten.

Was uns der 13. August heute lehrt ist die Notwendigkeit, Demokratie, Freiheit und Vielfalt immer wieder neu einzufordern. Lieber einmal mehr das Maul aufmachen und Dresche beziehen als schweigend zuzustimmen, wenn sich politische Strukturen zentralisieren und verfestigen.

Demokratie ist anstrengend und auch widersprüchlich, aber der einzige Weg,

meint Ihr Fritz R. Stänker

Kommentare Lesermeinungen (3)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Mauerbau - nie wieder!

Von Fritz R. Stänker am 16.08.2012 - 09:24Uhr
Lieber Herr Dr. Roth,

danke, dass Sie meinen Beitrag zum Anlass nehmen, zu hinterfragen.

Gern will ich einige Facetten dieses komplexen Themas näher beleuchten. Wo anfangen?

Im Grunde sollte man meinen, wer mit dem DDR-System unzufrieden war und sich nicht vollständig angepasst hat, ist im heutigen Staat zufrieden, und wer die DDR gut und richtig fand, hat im bundesrepublikanischen System Schwierigkeiten, seine Lebensverhältnisse zu akzeptieren.

Ich denke jedoch, sehr viele Menschen waren mit dem DDR-System unzufrieden und sind es heute wieder. Andererseits haben sich in der DDR viele mit den bestehenden Verhältnissen bestens arrangiert und diese damit gestärkt und passen sich heute wieder an. Das sind Verhaltensweisen, die zutiefst dem Menschen eigen sind.

Die früher und heute Unzufriedenen - man könnte sie auch die Erfolglosen nennen - sind die von ihrer Revolution gefressenen Kinder. Sie sind die Protagonisten des gesellschaftlichen Wandels, von dem die Angepassten profitieren.

Was hat das mit dem Mauergedenken zu tun? Wenn Personen oder Parteien, die sich dem DDR-System angepasst hatten oder dieses sogar aktiv gestützt haben, heute wieder eine der führenden Rollen besetzen und in dieser der Maueropfer gedenken, dann verschlägt es zumindest mir die Sprache - vor allem, wenn die eigene Vergangenheit im DDR-System nicht kritisch beleuchtet wird.

Richtig ist, lieber Herr Dr. Roth, dass im stalinistischen System offener Widerstand dem Einzelnen zum Verhängnis wurde. Dennoch musste jeder entscheiden, wie weit er im System mitspielt: Keine drei Jahre NVA und damit den Studienplatz riskieren? Oder NVA-Verweigerung mit Folge Militärgefängnis Schwedt? Keine SED-Mitgliedschaft und damit auf die Promotion verzichten, nicht in den Kampfgruppen mitmachen und auf berufliche Entwicklung verzichten? Gleiches bei der Weigerung, an „Landesverteidigungsobjekten“ mitzuarbeiten, in Kauf nehmen? Offen Kritik üben und damit ins Gefängnis wegen staatsfeindlicher Hetze gehen? Oder Totalverweigerer: Ablehnung des Systems insgesamt und damit die Abschiebung auf einen Arbeitsplatz mit unqualifizierten Hilfstätigkeiten akzeptieren?

All das ist - gottlob - vorbei. Heute allerdings zeigt sich der Anpassungszwang weit subtiler: Für Pöstchen ist das richtige Parteibuch (als alte Zitat vom „ordentlichen Standpunkt“ gilt noch immer) viel wert, ohne „Netzwerke“ ist man gesellschaftlich wie in der Arbeitswelt schnell außen vor. Und, um auf Ihre Frage zu kommen, wer’s Maul aufmacht, vor allem, wenn er sich nicht eindeutig den politischen Lagern zuordnen lässt, dem geht es genau so: Bist Du nicht für uns, dann bist Du gegen uns.

Fazit: Bei allem Gedenken an die Maueropfer, die - aus welchem Motiv auch immer - mit ihrer Flucht das Todesrisiko eingegangen sind, sollen Umstände und Menschen, die den Mauerbau ermöglichten oder hingenommen haben, nicht vergessen werden. Es geht nicht um eine späte Verurteilung, sondern vielmehr darum, solche Entwicklungen nie wieder zuzulassen.

Allein, wenn ich an Forderungen denke, die Grenze nach Polen wieder zu schließen...

Ihr Fritz R. Stänker

Gedanken zum Mauerbau am 13. August 1961

Von Lisa am 15.08.2012 - 15:49Uhr
Antwort auf Fritz R. Stänker im Görlitzer Anzeiger vom 15. August 2012

Ja, Demokratie ist ungemein anstrengend und braucht Mut!

Demokratie braucht Menschen, die sich aus der Defensive wagen; sie braucht Menschen, die wagen, aus ihrer Verunsicherung und Not heraus ohne vorgehaltene Hand ihre Stimme erheben und sich gegen menschenverachtende Maßnahmen offen wehren.
Damit erreichen wir alle anderen Menschen, denen es genau so ergeht und die sich - genau wie wir - gegen Willkür wehren wollen.

Die Görlitzerinnen und Görlitzer haben das beeindruckend sowohl am 17. Juni 1953 und in den Jahren 1988/89/90 gezeigt. Sie haben am Ende Erfolg gehabt mit ihrem Aufruhr und ihrem Widerstand.

Auch wenn einige Menschen diesem Sieg rückblickend kritisch gegenüber stehen - das ist eben manchmal so.

Wichtig ist: Zur Überwindung, zum Überleben von Gewaltherrschaft und Knechtung gehört unbedingt das Gedenken und die Erinnerung: Wie waren wir damals, am 13. Aigust 1961? Wie ging es uns? Hat der Mauerbau über Nacht uns berührt? War das in Ordnung so? Wollten wir, dass das so bleibt? Nein? Wollten wir das nicht? So nicht?

Wenn wir das nicht wollen, nicht das Unglück und das Leid dieser Menschen, des gesamten Volkes, dann kommt irgendwann die Stunde der Wahrheit mit der Konsequenz zum Handeln.
Das galt für die Vergangenheit und gilt für die Zukunft: (Zitat) „Lieber einmal mehr das Maul aufmachen und Dresche beziehen als schweigend zuzustimmen, wenn sich politische Strukturen zentralisieren und verfestigen.“

Viele Grüße

Lisa

13. August Mauerbau

Von Dr. Roth am 15.08.2012 - 15:19Uhr
Lieber Herr Fritz Stänker,

ich äußere mich nicht mehr allzu oft öffentlich , nur wenn es um wichtige Themen der deutschen Geschichte geht .

Ihre "Überlegungen" zum Mauerbau sind zwar lobenswert, aber enthalten sehr viel, was mich zu einem Widerspruch bewegt. Ich überlege z.B., warum Sie die anfangs gestellte Frage an die Redaktion dabei dann auch nicht beantworten und was Sie da eigentlich miteinander vergleichen wollen?

Das "Volk von Nichtwiderstandskämpfern " , wie Sie es nennen, hat es damals zwar genau so gemacht wie die Redaktion, erst einmal abgewartet und auch den 13. August verstreichen lassen....

Ich selbst war damals 18 Jahre alt und wie gelähmt, denn auf die Strasse zu gehen, hätte damals Zuchthaus bedeutet, nicht wie heute, wo gegen jedes und alles, auch den größten Unsinn demonstriert werden darf , weil "diese Art von Protesten" inzwischen meist harmlos ist...

Die Diktatur in der DDR hat sich nicht so langsam gebildet (siehe 1953), sie war von Anfang an da und begann 1945 mit stalinistischer Justiz und Gewalt, da hätten sie ja mal so eben ein wenig Widerstand ausprobieren können...

Wann bitte beziehen Sie denn heute wirklich "Dresche für ein zu großes Maul"? Da vergleichen Sie doch historische Situationen miteinander, die gerade so nicht zu vergleichen sind.

Vielleicht haben Sie aber den 13. August 1961 nicht selbst erlebt - Gnade der späten Geburt - dann würde ich mich immerhin noch bemühen, "Ihre Sichtweise" auf ganz gegensätzliche historische Situationen zu verstehen.

Trotz allem aber freundliche Grüße

Ihr Dr. Roth

Schreiben Sie Ihre Meinung!

Name:
Email:
Betreff:
Kommentar:
 
Informieren Sie mich über andere Lesermeinungen per E-Mail
 
 
 
Weitere Artikel aus dem Ressort Weitere Artikel
  • Quelle: Fritz Rudolph Stänker | Foto: BeierMedia.de
  • Erstellt am 15.08.2012 - 10:46Uhr | Zuletzt geändert am 16.08.2012 - 03:19Uhr
  • drucken Seite drucken
Anzeige