ZAK bewertet sogenannte Führerschein-MAE kritisch

Zittau. Der Zittauer Arbeitskreis für soziale Gerechtigkeit (ZAK) sieht bei dem von der Kreisverwaltung gelobten Vorhaben, Langzeitarbeitslosen über einen Ein-Euro-Job den Führerschein zu finanzieren, auch negative Seiten. Bereits der Projektname „bundesweit mobil“ signalisiere, dass die arbeitslosen Teilnehmer mit ihrer durch den Führerschein erlangten Mobilität bundesweit vermittelbar sein sollen. Somit würden die negativen demografischen Entwicklungen weiter vorangetrieben, da vorwiegend junge Leute am Projekt teilnähmen.

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ZAK: Führerschein für Hartz-IV-Empfänger sichert keine Mobilität

Der ZAK erkennt durchaus an, dass der Erwerb des Führerscheins eine Qualifizierungsmaßnahme für die Betroffenen darstellt und deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöht. Nachhaltig für die Region sei dieser Weg jedoch nicht. Denn von den 14 Absolventen des ersten Kurses konnte nicht einmal die Hälfte in Arbeit vermittelt werden.

Der Rest verbleibe in der Abhängigkeit von Hartz IV. Diese auch ALG II genannte Grundsicherung, so derZAK, sieht den Besitz eines PKW jedoch überhaupt nicht vor. Der ALG II-Regelsatz enthalte einen fiktiven Betrag von etwas mehr als 14 Euro im Monat für Mobilität. Das reiche weder für die Anschaffung eines PKW noch für die laufenden Kosten wie Sprit, Versicherung, Reparaturen aus.

Sozialticket als Lösung

„Um Mobilität nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch im Alltag abzusichern, brauchen wir als zwingende Ergänzung ein Sozialticket für die Betroffenen, mit dem Bus und Bahn in der Region verbilligt genutzt werden dürfen. Vom Landratsamt und dem Bildungsträger des ersten Führerschein-MAE-Kurses habe ich dafür aber keine Unterstützung erhalten“, beklagt der Zittauer Verkehrsplaner Dipl.-Ing. Matthias Böhm. Er engiert sich im ZAK für die Einführung des Sozialtickets. Vom Sozialticket seien auch positive Effekte für den Arbeitsmarkt zu erwarten: So würden Arbeitsplätze vor Ort in den Verkehrsbetrieben gesichert, da Fahrgäste gehalten bzw. neue hinzugewonnen werden könnten.


Kommentar

Alles eine Frage der Sichtweise.

Der Führerschein ist nicht nur notwendig für eine bundesweite Mobilität, sondern auch für alle, die in abgelegeneren Orten wohnen oder beruflich einen Pkw nutzen müssen. Für viele Unternehmen ist der Führerscheinbesitz eine Einstellungsvoraussetzung. Somit erhöht der Führerschein zweifellos die Vermittlungschancen für Arbeitsuchende.

Dass vorwiegend junge Leute in den Genuss des Programms kommen, ist richtig: Erstens benötigen sie besonders dringend den Einstieg in das Erwerbsleben, um sich sozialisieren sowie eine persönliche und familiäre Perspektive aufbauen zu können. Zweitens sind junge Leute eher mobil und bundesweit vermittelbar. Und, ehrlich gesagt, wer mit Anfang Fünfzig immernoch keinen Führerschein hat, sollte erstmal überlegen, warum.

Der ZAK unterliegt einem weiteren Fehler: Es ist ein völlig falscher und praktisch nicht durchsetzbarer Ansatz, junge Leute mit aller Macht in der Region halten zu wollen - es kommt vielmehr darauf an, den Zuzug für junge Leute attraktiv zu machen, indem sie in der Oberlausitz eine berufliche Perspektive und ein lebenswertes Umfeld finden. Das klappt allerdings nicht, solange Mittelständler Hochschulabsolventen für 1.200 Euro brutto einstellen wollen oder Hochqualifizierte als "zu klug" abgewiesen werden.
Nebenbei bemerkt: Ist es attraktiv, in die Oberlausitz zu ziehen, bleiben auch mehr Leute hier.

Ein weiterer - vor allem moralischer - Aspekt ist, wieso die Teilnehmer den Führerschein kostenlos erwerben können und die Ausbildung evtl. noch vergütet bekommen. Es ist eine alte Weisheit: Was nichts kostet, ist nichts Wert.
Weshalb kann man den Betroffenen den Führerschein nicht per Darlehen vorfinanzieren? Dieser Kredit könnte nach Arbeitsaufnahme zurückgezahlt werden, und wer keine Arbeit findet, von dem wird ein symbolischer Rückzahlungsbetrag von wenigen(!) Euro aus den Hartz IV-Bezügen einbehalten. So würden Mitnahmeeffekte vermieden und der Teilnehmerkreis würde sich auf jene reduzieren, die den Führerschein ebenso ernsthaft benötigen wie sie auf Stellensuche sind.

Sozial sein heißt doch nicht in erster Linie, Vermögen umzuverteilen und dem zu geben, der es nicht hat, sondern Hilfe zur Selbsthilfe,

denkt Ihr Fritz R. Stänker


Ein notwendiger Nachsatz

Sicher war es schon immer so, dass die Menschen der Arbeit nachgezogen sind, und nicht umgekehrt. Der Führerschein löst das Arbeitsmarktproblem nicht an sich.

Hier ist viel tiefer anzusetzen. Wenn selbst die Industrie-und Handelskammer (IHK Gründer-Studie 1996 - 2008) beklagt, dass die Zahl der echten Firmenneugründungen zurückgeht und die Gründer kaum noch Arbeitsplätze schaffen, so muss hier angesetzt werden: Klare Auskunft über Förderbeträge vor Abschluss des Arbeitsvertrages, Nachbeschäftigungsfristen an die wirtschaftliche Entwicklung koppeln - das erleichtert Einstellungen. Diese wiederum ermöglichen es den jungen Unternehmen, schneller das "kritische Potenzial" zu erreichen, das notwendig ist, um als Marktteilnehmer zu bestehen. Damit würden auch Neugründungen attraktiver.

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  • Quelle: /FRS
  • Erstellt am 23.11.2008 - 15:24Uhr | Zuletzt geändert am 23.11.2008 - 21:26Uhr
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