Deutscher PEN solidarisch mit Sorben / gegen Braunkohleabbau

Darmstadt | Landkreis Görlitz, 20. Februar 2014. Den Sorben geht es an den Kragen! - Was wie ein Satz aus einer anderen Zeit anmutet, droht bittere Realität zu werden: Mit dem geplanten Tagebau Nochten 2 wird der nach Jahrzehnten des Tagebaubetriebs in der Lausitz noch verbliebene sorbische Siedlungsraum weiter drastisch reduziert, was den Minderheitenschutz für die Sorben ad absurdum führt. Aiußerdem gibt es Kürzungspläne in der Kulturförderung. der Görlitzer Anzeiger veröffentlich nachstehend eine Mitteilung des PEN-Zentrum Deutschland.

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Internationaler Tag der Muttersprache – deutscher PEN solidarisiert sich mit Sorben

Der deutsche PEN nimmt den Internationalen Tag der Muttersprache am 21. Februar zum Anlass, auf die Anliegen der Sorben aufmerksam zu machen, deren Sprache und Kultur dem Abbau von Braunkohle und Kaolin zum Opfer fallen sollen.

Zwar garantieren Internationales Recht sowie die Landesverfassungen von Brandenburg und Sachsen den Sorben – seit dem frühen Mittelalter in der Lausitz ansässig – wie auch schon zu DDR-Zeiten einen Minderheitenschutz; auch in der Verfassung der Weimarer Republik war er definiert. Doch wurde der Tagebau von Braunkohle, bereits seit den zwanziger Jahren intensiv begonnen, in der DDR ausgeweitet und nach der friedlichen Revolution trotz heftiger Proteste weitergeführt: Die Zerstörung sorbischer Dörfer in der Ober- und Niederlausitz dauert an, damit verbunden sind Zwangsumsiedlungen und der unwiderrufliche Verlust traditioneller Kulturräume. Eine "Liste verschwundener Orte" zählt mehr als 136 Dörfer auf, die bisher dem Kohlebergbau weichen mussten.

"Die Energiewirtschaft … zerstört weiterhin Dörfer und gewachsene Siedlungsräume, die einmalig zum materiellen Weltkulturerbe gehören sollten", so Benedikt Dyrlich, PEN-Mitglied und Vorsitzender des Sorbischen Künstlerbundes. "Bis heute können wir Sorben nichts gegen die rabiaten Verwüstungen unserer Lebens-, Traditions- und Kulturräume durch die Wirtschaft tun, da das Bergbaurecht und andere Gesetze der Bundesrepublik Deutschland die gemeinschaftlichen Grundlagen der Existenz der sorbischen Sprache und Kultur in der Lausitz nicht schützen."

Hinzu kommen drastische Kürzungen in der Kulturförderung durch Bund und Länder, so dass der Stiftung für das Sorbische Volk für 2014 Fördermittel in Höhe von einer Million Euro fehlen werden, falls der Bund und infolgedessen auch Sachsen und Brandenburg bei den derzeitigen Kürzungsplänen bleiben. Benedikt Dyrlich: "Jede Kürzung ist ein großer Einschnitt in die sorbische kulturelle Substanz. Was einmal an unseren kulturellen Werten verloren geht, ist unwiederbringlich verloren."

Der deutsche PEN, der neun Schriftsteller sorbischer Sprache zu seinen Mitgliedern zählt, darunter neben Dyrlich Kito Lorenc und Róža Domašcyna, unterstützt die Minderheit der Sorben in ihren kulturellen Interessen. Die Zerstörung einer einzigartigen Sprach- und Kulturlandschaft für den Abbau eines technisch überholten und ökologisch bedenklichen Energieträgers ist nicht hinzunehmen.

Im Anhang finden Sie Gedichte von Dyrlich, Lorenc und Domašcyna auf sorbisch – der Gebrauch des Sorbischen wurde 1937 in Nazi-Deutschland verboten – sowie in deutscher Übersetzung.

Für das PEN-Zentrum Deutschland

Hans Thill
Writers-for-Peace-Beauftragter

Regula Venske
Generalsekretärin

Schon gewusst?
Das PEN-Zentrum Deutschland ist eine der weltweit über 140 Schriftstellervereinigungen, die im PEN International vereint sind. Die drei Buchstaben stehen für die Wörter Poets, Essayists, Novelists. Der PEN wurde 1921 in England als literarischer Freundeskreis gegründet. Schnell hat er sich über die Länder der Erde ausgebreitet und sich als Anwalt des freien Wortes etabliert – er gilt als Stimme verfolgter und unterdrückter Schriftsteller.

Kommentar:

Der Aufschrei der Solidarität mit den Sorben ist unter den deutschen Zipfelmützen - zumindest in der Lausitz - nicht einmal als Flüstern hörbar, deutlicher jedoch das Gemurmel: "Die Künstler und die Schriftsteller nun wieder, die verstehen doch nichts von Wirtschaft. Wenn es nach denen ginge..." Wer nicht denken will, folgt nur zu gern solch vorgefertigten Gedanken, auch wenn sie noch so falsch sind.

So falsch wie der Gedanke, dass man sich Kultur erst dann leisten könne, wenn die Wirtschaft das erlaubt. Im Gegenteil: Wirtschaft ohne Kultur ist undenkbar. Nicht ohne Grund verlassen Fachkräfte und junge Leute mit ambitionierten Zielen die Lausitz auf Nimmerwiedersehen. Ein gewichtiger Grund, nach der Ausbildung nicht mehr zurückzukehren, liegt im Mangel an Kultur. Nein, nicht etwa ein Mangel an Kino, Theater, Vereinen und Volksbelustigung, sondern Mangel an entwickelter Unternehmenskultur, Mangel an Weltoffenheit, Mangel an Vielfalt.

Schriftsteller und Künstler, wenn sie es denn wirklich sind, sind immer auch politische Menschen, die gesellschaftsrelevante Entwicklungen kritisch begleiten und sich artikulieren. Unter ihnen finden sich jene, die komplexe Zusammenhänge sensibel erfassen und in ihrer Widersprüchlichkeit verarbeiten können. Was sie daraus mittels ihrer Kunst mitteilen ist das, was die Gesellschaft zum Nachdenken anregt. Schon ein Blick ins Geschichtsbuch lehrt: Immer, wenn sich simple Botschaften und Parolen durchgesetzt haben, Kunst und Kultur zur Anpassung gezwungen wurden, war der Untergang absehbar.

Ich kann täglich eine Stunde Stromabschaltung besser in Kauf nehmen als Umweltvernichtung durch Kohleabbau, als Umweltschädigung durch Kohleverbrennung, als die Devastierung gewachsener Kulturräume.

Warum muss ich gerade jetzt an Karl Marx denken: "Kapital, sagt der Quarterly Reviewer, flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren..." - T. J. Dunning, zitiert von Karl Marx in Das Kapital, Band I, Seite 801, Dietz-Verlag Berlin, 1961

Es war nicht alles falsch, was früher mal gelehrt wurde,

meint Ihr Thomas Beier

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  • Quelle: red | Kommentar: Thomas E. Beier | Fotos: www.goerlitzer-anzeiger.de
  • Erstellt am 20.02.2014 - 09:42Uhr | Zuletzt geändert am 20.02.2014 - 11:35Uhr
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