Die kleinen Sünden: Darf man das?

Die kleinen Sünden: Darf man das?Görlitz, 23. Mai 2022. Der Begriff der Sünde wird gern allein religiös interpretiert, ist aber auch den aufgeklärt-atheistischen Menschenkindern nicht fremd, wenn es etwa um die kleine Sünde mit dem Zigarettchen, dem kaloriengeladenen Windbeutel oder dem Likörchen geht, hinter der die Versündigung an der eigenen Gesundheit steht, oder gar um das Schäferstündchen? Sind wir allzumal nur Sünderlein?

Abb.: Nicht erst beim Tennessie Waltz war's um die beiden gescheh'n, sondern schon im Paradies
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Wir sind doch allzumal nur Sünderlein

Das ist schon seltsam, dass es die leiblichen Genüsse sind, die gern als Sünde aufgefasst werden, was sich bei näherer Betrachtung natürlich als ziemlicher Unsinn erweist. Im christlichen Verständnis bezeichnet die Sünde die Entfremdung von Gott: Der Mensch wird als Sünder geboren und bleibt Sünder, wenn er sich Gott verschließt.

Modernere kirchliche Auffassungen gehen davon aus, dass der Mensch von Geburt an zwar unschuldig, aber von der Sünde gefährdet ist, weil diese eben in der Welt ist. Mehr über die Sündenwelt des Christentums kann man bei Burkhard Weitz nachlesen, der sich in einem Beitrag vom 1. April 2004 auf chrismon der Frage gewidmet hat, warum wir Sünder sind.

Wie tödlich sind die Todsünden?

Mit der Erzeugung eines schlechten Gewissens lassen sich Menschen freilich gut beeinflussen. Interessant wird es, wenn die katholische Kirche sieben Todsünden, auch Hauptlaster genannt, ins Spiel bringt: Neid, Trägheit, Habgier, Völlerei, Wollust, Hochmut und Zorn – doch welchem Menschen wären sie nicht fremd? Hier scheinen Missverständnisse programmiert, denn die "Todsünden" haben auch ihr Gutes: Ohne die Wollust wäre die Menschheit wohl längst ausgestorben und sich im Bett zu vergnügen ist zweifelsohne eine für sich selbst und andere bei der nötigen Vorsicht völlig unschädliche Freizeitbeschäftigung.

Neid und Habgier hingegen stacheln das Leistungsverhalten an, um schließlich per Konsum seinem Laster frönen zu können – Wirtschaft und Staat freuen sich und selbst der Völlerei könnte man unter diesem Aspekt – denkt man nur an die Zucker-, Bier-, Sekt und Alkoholsteuer überhaupt – einen positiven Aspekt abgewinnen, wenn es nur nicht so übel für die Gesundheit wäre. Und die Trägheit? Wer dreht sich morgens im Bett nicht gern noch einmal rum? Und vom "Lazy Sunday Afternoon", dem trägen Sonntagnachmittag, sangen einst die Small Faces: "I close my eyes and drift away-a…" Aber das Recht auf Rausch ist heute nicht das Thema.

Auch Hochmut und Zorn sind nicht per sé schlecht, wenn sie nicht unangemessen zur Schau gestellt werden. Hochmut kann durchaus an Selbstbewusstsein gekoppelt sein, nur darf man ihn die anderen tunlichst nicht spüren lassen – es sei denn, man ist auf dem aristokratischen Trip oder hat jemanden vor sich, bei dem man nun wirklich nicht anders kann. Was aber ist mit dem Zorn? Wer ist nicht zornig, wenn er eine drastische Ungerechtigkeit erlebt? Es kommt darauf an, im Zorn nicht unbewusst zu handeln, sondern dem Verstand Gelegenheit zu geben, wieder die Oberhand zu gewinnen.

Tipp:
Gerät man in Rage, so hilft oft ein Trick: Wer im Zorn den Drang verspürt, etwas Unvernünftiges zu tun, à la "Den greife ich mir jetzt und haue ihm eins…", der sollte dieses intensive Begehren für rund 50 Sekunden unterdrücken. Das reicht meist aus, um den Verstand wieder an die Emotionen anzukoppeln.

Ganz im Gegenteil

Den Todsünden gegenüber stehen die sieben Kardinaltugenden, nämlich die Gerechtigkeit, der Glaube, die Hoffnung, die Liebe, die Mäßigung, die Weisheit oder Klugheit und die Tapferkeit. Ja, aber auch das lässt sich missbrauchen: Wer Atomwaffen baut, ist gewiss nicht dumm, und ein Cocktail aus Glaube, Hoffnung und Tapferkeit ergibt den perfekten Soldaten.

Ein Schwarz-Weiß-Denken, was gut und richtig und was schlecht und falsch ist, macht manipulierbar. Wichtiger ist ein ganz persönliches Wertegerüst als Maßstab, was moralisch und ethisch vertretbar ist und was keinesfalls. Hilft das auch bei den sogenannten kleinen Sünden?

Mit Alltagssünden umgehen

Wer sich die kleinen und, sagen wir, ein wenig größeren angenehmen Sünden des Alltags streng verkneift, wird womöglich anfällig für schwere Sünden, wie Beispiele nicht nur aus der Glaubenswelt zeigen. Wichtiger als das in Bezug auf die ganze Sünderei regelkonforme Leben ist es, sich mit seinen Sünden beziehungsweise dem Verlangen danach zu beschäftigen und infolge gefestigt zu sein, wo die Grenzen liegen und das Tabu beginnt.

Das ist in den verschiedenen Kulturen unterschiedlich ausgeprägt.


    • Alkohol:
      Das beliebte Beispiel des Alkohols verdeutlich das: Sich einmal richtig zu besaufen wird in Skandinavien eher toleriert als etwa in Italien, wo es hingegen akzeptiert wird, schon am Vormittag das erste Glas Wein zu nehmen und dann im Laufe des Tages weitere hinzuzufügen, was nun in Skandinavien wiederum auf eindeutige Ablehnung stoßen würde. Deutschland liegt in der Mitte und leider Gottes wird hier meist beides zumindest in der Freizeit akzeptiert, sowohl sich durch den Tag zu nippen wie auch der lähmende Vollrausch. Wer das Gefühl hat, es wird zuviel mit dem Alkohol, der sollte sich an eine Beratungsstelle oder einen Arzt wenden, weil sonst niemand helfen kann.

    • Rauchen:
      Und das Rauchen? Rauchen gefährdet immer die Gesundheit und nur wenigen gelingt es, sich auf das Genussrauchen in nur wenigen Ausnahmesituationen zu beschränken: Die gute Zigarre etwa bei großen Erfolgen oder bei großartigen Niederlagen – das hat schon was, muss aber nicht sein. Eine Alternative, dem sündigen Qualmen eine Abfuhr zu erteilen, ist das Dampfen. Bestimmte gefährliche Rauchbestandteile entfallen, wenn ein E-Liquid verdampft wird. Die Auswahl umfasst etliche Geschmacksrichtungen mit unterschiedlicher Nikotinkonzentration, die auch bei Null liegen kann. Gesund ist das auch nicht, aber für viele eine einfache Möglichkeit, auf Zigaretten zu verzichten.

    • Fremdgehen:
      Über kulturelle Eigenheiten sollte nicht vorschnell geurteilt werden. So wäre heute etwa die Knabenliebe zu älteren Kindern und Jugendlichen wie im vorchristlichen antiken Griechenland undenkbar, damals war sie aber gesellschaftlich akzeptiert. Heute wird etwa das Fremdgehen, also ein Sexualpartner außerhalb einer bestehenden Beziehung, von manchen toleriert, während bei anderen der Haussegen bereits schiefhängt, wenn sich bei einem freundschaftliche Kontakte außerhalb der Paarbeziehung andeuten. Es ist kompliziert, wie man so schön sagt. Allerdings aus falsch verstandener Konsequenz sollten bestehende Beziehungen nicht aufgegeben werden und sind Kinder im Spiel, gilt noch immer das konservative Weltbild: Sie brauchen Eltern und die können von Alleinerziehenden nicht ersetzt werden. Kindern das Elternhaus nicht zu ermöglichen oder zu zerstören, das ist nun wirklich eine Sünde.

Resümee

Um eine Sünde zu definieren, bedarf es weniger der Schuldgefühle als vielmehr der Klarheit darüber, wo der Spaß daran endgültig aufhört und welche Konsequenzen jegliche Sünderei mit sich bringen kann. Allerdings liegen – dialektisch betrachtet – Sünde und Seligkeit oft beisammen.

Kulturzuschlag:
Diesmal fällt die Auswahl schwer, weil aber "Kann denn liebe Sünde sein?" mit Zarah Leander wohl in aller Ohren ist und Willi Millowitsch mit "Wir sind alles kleine Sünderlein" den Schunkelschlager gibt, kommt Willy Hofmann zum Zuge, der gemeinsam mit drei Herren hinter der Bar recht beschwingt "Alle sind wir Sünder" aus der Csardasfürstin von Emmerich Kalman vorträgt.

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  • Quelle: TEB | Bildquelle: Briam Cute, Pixabay License
  • Erstellt am 23.05.2022 - 12:38Uhr | Zuletzt geändert am 27.05.2022 - 19:00Uhr
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