Polen, das unterschätzte Land

Polen, das unterschätzte LandGörlitz, 19. November 2021. Von Deutschlands unmittelbaren Nachbarländern ist die Polnische Republik mit Sicherheit das am allerstärksten unterschätzte, obgleich das Land große Entwicklungsfortschritte und Potentiale aufweist. Während Polen für die Westdeutschen eh weit entfernt liegt, viel weiter als Westdeutschland für die Polen, tun sich die Ostdeutschen, besonders die Älteren, mit "den Polen" noch immer schwer.

Abb. oben: Mal wieder nach Krakau (Kraków). Für einen Absacker auf Polnisch empfiehlt sich der Jazz Club "The Piano Rouge"
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Moderne Städte und viele Pendler

Moderne Städte und viele Pendler
Pulsierendes Leben in Krakau. Die alte polnische Königsstadt zieht Hightech-Unternehmen wie etwa aus den Biowissenschaften an, die Bevölkerung ist jung und gut ausgebildet.
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Thema: Woanders

Woanders

"Woanders" – das ist das Stichwort, wenn der Görlitzer Anzeiger auf Reisen geht und von Erlebnissen und Begegnungen "im Lande anderswo" berichtet. Vorbildliches, Beispielhaftes und Beeindruckendes erhält so auch im Regional Magazin seine Bühne.

Über die Gründe kann man nur spekulieren. Vielleicht braucht das im Zuge der deutschen Wiedervereinigung angeknackste ostdeutsche Selbstbewusstsein ein Ventil? Dafür taugt das moderne Polen nicht: Hier wurde die postkommunistische Aufbauleistung ohne innerdeutsche Transfers erbracht und wer heute polnische Städte besucht, dem bleibt angesichts der Modernität und des urban-westlichen Lebensgefühls zuweilen einfach nur die Spucke weg. Und dennoch: "Polen ist eigen und wer sich vorsichtig annähern möchte, sollte zu Steffen Möllers Buch 'Expedition zu den Polen' greifen", empfiehlt die Görlitzerin Jana Krauß, Inhaberin von Art Goreliz Café und Buchhandlung, wo's Bücher zum Kaffee und umgekehrt gibt.

In manchem, auch wenn darüber kaum gesprochen wird, grummelt noch Leid und Ärger der Vertreibung, so wie in jenen Polen, die selbst vertrieben wurden und ihre Ressentiments gegen ihre östlichen Nachbarn pflegen. Gut, dass Zeit alle Wunden heilt – und selbst wenn nicht: Die junge und gebildete Generation kann mit alten Vorurteilen nichts anfangen.

Engagierter Wiederaufbau

Jedenfalls gibt es aus deutscher Sicht viele Punkte, in denen Polen Anerkennung zu zollen ist. Allein der Wiederaufbau des großenteils von den Deutschen selbst zerstörten Breslaus – die von Hitler geforderte Landebahn quer durch die Altstadt war einen anderthalben Kilometer lang und 300 Meter breit, errichtet mit Kinderarbeit und erlebte nur ein einziges Flugzeug: das von ihm geklaute, mit dem Gauleiter Hanke floh.

Ein Unheil zieht schnell das nächste nach sich: Für den großartigen Wiederaufbau von Warschau wurden in den unter polnische Verwaltung gestellten ehemaligen Reichsgebieten teils die besten Häuser abgebrochen, wie diese eben das hochwertigste Baumaterial versprachen. Dass sie hier bleiben konnten, dessen waren sich die Polen damals bei weitem nicht sicher.

Arbeiten als Extrempendler

Ein anderer Punkt ist der polnische Fleiß. Es ist beeindruckend, welchen Aufwand viele Polen auf sich nehmen, um sich ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien verdienen zu können. Die Zahl der Pendler, die bis nach ganz Westeuropa unterwegs sind, ist enorm und leicht kann man sich auf der sächsischen Ost-West-Trasse, der Autobahn A4, ein Bild davon machen. Auffällig viele Fahrzeuge mit britischen, belgischen und niederländischen Kennzeichen sind hier unterwegs. Wetten, dass die Reisenden polnisch sprechen und die alte Heimat besuchen? Die Stadt Görlitz hat das als Chance erkannt und möchte die Pendler um liebsten abwerben.

Polnische Pflegekräfte in deutschen Haushalten

Eine Branche profitiert vom polnischen Fleiß und Erwerbsdrang in Deutschland ganz besonders, ohne dass dies besonders auffallen würde: Es sind die in privaten Haushalten angestellten Pflegekräfte aus Polen, die das deutsche Pflegesystem und vor allem die Alten- und Pflegeheime entlasten. Mancher fragt nun etwas naiv: "Ja, dürfen die denn das?" Sie dürfen, so lange sich niemand auf Schwarzarbeit einlässt.

Legal sind im Grunde drei Varianten:


    • Bei der ersten rechtssicheren Gestaltungsmöglichkeit werden die Pflegekräfte ganz normal als Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt. Das arbeitsrechtliche Umfeld macht dies aber zur mit Abstand teuersten Variante, weil neben den deutschen Lohnnebenkosten unter Umständen zur zeitlich umfassenden Betreuung einer Person mehrere Pfleger eingestellt werden müssen.

    • Variante Zwei ist die Beauftragung. Das geht, wenn die Pflegekraft beruflich selbständig ist, also auf Rechnung arbeiten darf. Werden mehrere Pflegekräfte benötigt, hat man es in diesem Fall mit mehreren Einzelunternehmen zu tun, die sich unter Umständen Verantwortung gegenseitig zuweisen.

    • Die dritte Möglichkeit bietet die Arbeitnehmerentsendung. Für den Pflegebedürftigen wird ein Vertrag mit einer Agentur gemacht, die dann das Personal wie vereinbart bereitstellt. Hier liegt die Krux darin, dass man zwar Auftraggeber, aber streng genommen gegenüber den Beschäftigten nicht weisungsbefugt ist.

Umfassend hat die Webseite Pflegewelt.org Fragen rund um Pflegekräfte aus Polen beantwortet und geht dabei auch auf die Pflegegrade und die Kostenübernahme durch die Pflegekasse für Pflegekräfte aus Polen ein.

Tipp:
Vieles davon lässt sich für Privatpersonen als Arbeit- oder Auftraggeber auch auf andere Branchen übertragen, denn es geht ja nicht immer nur um die Pflege, sondern oft genug auch um Hilfe im Haushalt, im Garten oder auf einer Baustelle.


In vielen deutschen Haushalten und Unternehmen werden die Beschäftigten aus Polen als fleißig und zuverlässig geschätzt – und manche Betriebe, besonders entlang der Lausitzer Neiße und der Oder wie etwa auch im Ruhrpott, könnten ohne sie nicht mehr auskommen.

Kulturzuschlag:
Polen am Bau

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  • Quelle: TEB | Fotos: © BeierMedia.de
  • Erstellt am 19.11.2021 - 17:28Uhr | Zuletzt geändert am 19.11.2021 - 19:35Uhr
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