Ans Gängelband der Grammatik?

Ans Gängelband der Grammatik?Görlitz, 29. Mai 2021. Von Nicole Quint. Nach all den ideologischen Scharmützeln um eine geschlechtergerechte Sprache fordern CDU-Politiker jetzt ein Gender-Verbot für staatliche Stellen und Behördentexte, doch immer mehr Verlage, Radio- und Fernsehsender schaffen einfach Tatsachen. Kann man durch erzwungene Gendersternchen etwa doch zum Feministen werden?

Abb.: Kaum kommt die Gleichstellung der Geschlechter voran, legt die übertriebene Gendersprache neue Fesseln an
Symbolfoto: Achim Scholty, Pixabay License
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Gendersprache kann gesellschaftliche Spaltung vorantreiben

Eine Brücke, die von Berlin bis nach San Francisco reicht, hatte sich der Mann von der guten Fee gewünscht. Weil ihr die Erfüllung dieser Bitte viel zu schwer erschien, lehnte sie ab, gewährte ihm aber einen zweiten Versuch. „Also gut“, gab der Mann nach, „dann wünsche ich mir, dass ich endlich die feministische Linguistik verstehe.“ Die Fee seufzte nur kurz: „Soll die Brücke ein- oder zweispurig sein?“ Vor der Frage, warum zum Glück weiblicher Selbstbestimmung Binnen-I und Gendersternchen unbedingt dazugehören müssen, kapitulieren allerdings nicht nur Feen.

Die Emanzipation liegt schon lange nicht mehr in den Windeln. Frauen finden ihr Recht auf Gleichberechtigung im Grundgesetz garantiert, sie führen ihre eigenen Firmen, üben die höchsten Regierungsämter aus oder fliegen ins All. Dass sich immer noch zu viele Menschen dem Gendern verweigern, erscheint den Engagiertesten unter den Geschlechtergerechten jedoch hochgradig besorgniserregend. Wo ein Wille ist, ist eben immer auch Empörungspotential. Jahre der Aufgeregtheit und der heftigen Auseinandersetzungen haben Gender-Gegner und Befürworter an den Rand der völligen Erschöpfung gebracht. Von derart Ermatteten ist weniger Widerstand zu erwarten, dachte sich vielleicht auch der Duden-Verlag und nutzte Anfang dieses Jahres die Chance, um sein Online-Wörterbuch umzuschreiben. Für rund 12.000 Personen- und Berufsbezeichnungen wird es künftig zwei Einträge geben, einen für die männliche und einen für die weibliche Form, zum Beispiel einen für Arzt und einen für Ärztin. Keineswegs kritikwürdig, wenn damit nicht gleichzeitig das generische Maskulinum ausgemustert würde. Faktisch verschwinden damit alle Worte, die eine geschlechtsneutrale Bedeutung haben und sich auf Frauen und Männer gleichermaßen beziehen. Laut Online-Duden ist ein Mieter dann nicht mehr länger „jemand, der etwas gemietet hat“, sondern eine ausschließlich „männliche Person, die etwas gemietet hat.“

Müsste es für Feministen nicht der Inbegriff der Frauenverachtung sein, wenn die Soldatin demnächst vom männlichen Soldaten und nicht wie bisher von der geschlechtsneutralen Grundform abgeleitet wird? Das generische Maskulinum hatte außerdem den Vorteil, dass es alle biologischen und sozialen Geschlechter ebenso einbezieht wie sämtliche sexuelle Orientierungen. Durch die Neudefinitionen des Dudens werden alle diversen, also nicht binären Menschen ausgegrenzt, weil auf sie weder die männliche noch die weibliche Definition zutrifft. Das Bemühen um Gerechtigkeit führt so zu neuer Diskriminierung.

Missbraucht der Duden seine Deutungshoheit über die Rechtschreibung, um feministische Weltanschauungen zu propagieren, Sprache einseitig zu beeinflussen und Leser in die Irre zu führen, wie einige Linguisten und konservative Politiker befürchten? Dass vorerst nur das Online-Wörterbuch gegendert wird, nicht aber die gedruckte Ausgabe, kann als Zeichen gewertet werden, dass geschlechtergerechte Sprache in der Hauptsache nicht mehr eine reine Frage der Haltung, sondern der Umstände ist, und die erscheinen gerade günstig. Sollten sie sich wieder ändern, lässt sich das digitale Lexikon leicht korrigieren. Bis dahin werden sich all jene Genderspezialisten, an deren Tonfall man häufig eine Rotstiftaffinität und den Hang zur Besserwisserei heraushören kann, auf das Standardwerk der deutschen Rechtschreibung berufen können, um all jene zu belehren, die sich beim Gender-Thema gelangweilt fragen, ob denn in China gar kein Sack Reis mehr umfällt. Sie werden sich durch Wörterbücher eher nicht abrichten lassen und vermutlich auf feministisches Vokabular verzichten, denn das Gendersternchen bringt Mindestlohnempfänger*innen weder bessere Bezahlung noch gesellschaftliche Anerkennung, und wenn von notleidenden SozialhifeempfängerInnen gesprochen wird, mildert das deren Elend auch kein bisschen.

Stattdessen führt die sprachliche Neuregelung vermutlich zu einer Verschärfung der gesellschaftlichen Spaltung. Die Meinungsgrenze verläuft ja nicht entlang des Geschlechts oder der Generation, sie trennt vornehmlich sozialen Schichten. Quasi von Natur aus gendersensibel sind vor allem akademisch gebildete Frauen in hohen Positionen, die vergleichsweise wenig Diskriminierungen ausgesetzt sind. Paradebeispiele sind die mit allzu viel Botox behandelten Fernsehfrauen, die so abschreckend penetrant gendern, als läge ihr höchstes Ziel in der endgültigen Vertreibung der Proletarier und Proletarierinnen ins intellektuell anspruchsarme Privatfernsehen. Gleichzeitig aber demonstrieren sie mit ihren gestrafften Frettchengesichtern, dass Frauen im Fernsehen nicht faltig werden dürfen und entblößen den Widerspruch zwischen sprachlich überbetonter Gleichberechtigung und dem altersbedingt nahenden Karriereende, dem ausschließlich Frauen zum Opfer fallen. Die Einschaltquoten ihrer Sendungen sind vermutlich keine Indikatoren für das Volksempfinden im Land. Von 100 Menschen, die sich dazu äußern, ob es Gast oder Gästin heißen sollte, haben wahrscheinlich 90 noch nicht länger darüber nachgedacht, was Gendern eigentlich genau bedeutet, weil es für ihren Alltag völlig bedeutungslos ist. Mit dieser Feststellung soll nicht grundsätzlich das Recht, den Geschlechteraspekt auch linguistisch zu berücksichtigen, infrage gestellt werden, sondern die Sinnhaftigkeit es zu tun.

Wenn eine Mehrheit heute bei der Bezeichnung Astronaut ausschließlich an Männer denkt, hilft dagegen nur, noch mehr Mädchen für Physik und Weltraumforschung zu begeistern. Man darf den Sinn von Sprache nicht verraten, indem man ihr eine Wirksamkeit zuschreibt, die sie trotz aller gegenteiligen Behauptungen nicht erlangen kann. Gendern wird nichts daran ändern, dass bislang nur wenige Jungs Dressurreiterin, Hebamme oder Arzthelferin werden möchten oder dass Boulevardmedien nicht über schnuckelige Spielerinnenmänner als Pendants zu Spielerfrauen berichten.

Ändert die gesellschaftlichen Umstände, nicht die Art darüber zu schreiben, und gewinnt Verbündete für dieses Vorhaben, statt sie durch Oberlehrerhaftigkeit und rhetorische Abwertung abzuschrecken. Die sprachliche Aufrüstung zur Ausgrenzung vermeintlicher Gegner hat in der Debatte inzwischen eine so große Triebkraft erhalten, dass sie die Sachargumente und Theorien überragt. Frühere Männergenerationen sind vor feministischen Themen in die Kneipe oder den Bastelkeller geflüchtet, heute setzen sich Männer für Frauenquoten ein, erziehen ihre Töchter zur Unabhängigkeit und kämpfen gegen Femizide. Ihnen Patriarchismus vorzuwerfen, wenn sie nicht vom Gendern überzeugt sind und nicht wie unterwürfige Theatertextaufsager klingen wollen, ist ebenso unsinnig, wie die Beschimpfung von Frauen als reaktionär oder unsolidarisch, weil sie sich nicht über ihr Geschlecht definieren und sich deshalb auch weiterhin als Chemiker, Schriftsteller oder Straßenbahnfahrer bezeichnen möchten. Sie halten es einfach wie Whoopi Goldberg, die findet: „Eine Schauspielerin kann nur eine Frau spielen. Ich bin ein Schauspieler, ich kann alles spielen.“ In diesem Sinne dürften Frauen einfach Menschen bleiben und für Menschenrechte kämpfen, mit möglichst intelligenten Mitteln und ohne andere ans Gängelband der Grammatik zu nehmen.

Nicole Quint lebt auf Reisen. Das erscheint logisch, arbeitet sie doch als Reisereporterin für etliche Zeitungen und Zeitschriften, ist Buchautorin und Co-Autorin. Quint hat in der Welt viel gesehen und erlebt. Davon berichtet sie in Worten, die auffallen. So schreibt sie von einem Reiseleben, das manchmal zu wahr ist, um schön zu sein, und von Plätzen, die sie nicht halten, sondern die sie hält. Zusätzlich zu ihren Reisen ist sie viel zwischen Berlin und der Schweiz gependelt, hat als Lebensmittelpunkt vor kurzem aber Görlitz gewählt. Das lässt hoffen.

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  • Quelle: Nicole Quint | Foto: scholty1970 / Achim Scholty, Pixabay License
  • Erstellt am 29.05.2021 - 11:23Uhr | Zuletzt geändert am 04.06.2021 - 08:45Uhr
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