Der Görlitzer Weinhändler und der Innenstadthandel

Der Görlitzer Weinhändler und der InnenstadthandelGörlitz, 26. September 2022. Von Thomas Beier. Was schon soll man mit seinem Leben anderes anfangen, als jede Gelegenheit zu nutzen, es als großes Glück zu genießen? Wobei freilich die Frage steht, wie man für sich selbst Glück und Genuss definiert.

Abb.: Das Görlitzer Multitalent Axel Krüger – bekannt vor allem als Weinhändler und Berater – hat nicht nur Ideen, sondern realisiert sie auch. Davon profitiert nicht nur die Jakobstraße als Vorzeige-Geschäftsstraße für Innenstadtentwicklung, sondern etwa auch der Weinkeller der Benigna-Bar am Görlitzer Untermarkt
Foto: Mike Altmann
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Genuss? Das stelle mer uns janz dumm…

Wem tiefgehende Emotionen eher fremd sind, der wird darauf verweisen, dass alles ja nur eine Frage der Biochemie ist: Die Hormone sind an allem Schuld. Wer nach den Ursachen für seine Gefühle, Laune und seinen Tatendrang sucht, sollte sich mit den vier wichtigsten Neurotransmittern Serotonin, Dopamin, Noradrenalin und den Endorphinen befassen.

Ungesunde Kultur

Unter uns gesagt: Das Wissen um die Hormone ist "nice to know" und interessanter als dieser Chemiecocktail im Körper ist doch noch immer ein Cocktail im Glas. Etwas im Glas zu haben, schon der Gedanke allein hebt die Stimmung. Das Glas zu erheben ist in vielen Ländern Kulturbestandteil, obgleich, wenn es mit einem alkoholischen Getränk gefüllt ist, die Zeremonie regelmäßig ungesund endet: Alkohol gilt zwar als Spaßmacher, ist aber kein Spaß.

Wer sich wirklich Gutes tun will, verzichtet ganz auf Alkohol oder hält sich wenigstens an die Regel, täglich nicht mehr als eine Flasche Bier oder einen fränkischen Schoppen Wein zu trinken, das ist ein Viertelliter. Die Damen bedürfen besonderer Erwähnung, für die gilt nämlich jeweils die halbe Menge.

Schnaps, Wein, Bier

Dennoch wird Alkohol häufig mit Genuss verbunden, ob nun in Form von Bier, Wein oder Schnaps. Interessant ist, wie sich die gesellschaftliche Einstellung zum Alkoholgenuss verändert: Während Schnaps in der Öffentlichkeit immer mehr zum No-Go und im Privaten oft missbraucht wird, um eine seelische Zerrissenheit zu ersäufen, versuchen Brauereien seit langem, Bier als irgendwie gehobenes Getränk zu vermarkten, um den Vormarsch von Weinen aller Art einzudämmen.

Wein reimt sich auf fein – aus gutem Grund

Die wichtigste Unterschied zwischen Wein und Bier – wenn man die Flüssigkeitschemie außen vor lässt – ist die Art und Weise, wie man das Getränk zu sich nimmt. Bier wird aus kleinen, gern aber auch aus großen Gläsern genossen und es ist sogar gesellschaftlich akzeptiert, direkt aus der Flasche zu trinken. “Brauchst du ein Glas?”, lautet die Standardfrage. Nun stelle man sich das beim Wein vor! Wein aus dem Humpen oder direkt aus der Flasche in den Hals, schlimmer könnte man nicht die Abwesenheit jeglicher Kultur dokumentieren! Nein, Wein und Kultur, das ist eine Symbiose, bei der eins ohne das andere nicht kann.

Ein Ausnahme-Zitat

Wein steht für Lebensart. Lebensart ist ein schönes Wort, bedeutet Art im Englischen doch die Kunst, hier also die Kunst des Lebens, eines angenehmen Lebens. Nun mal die Katze aus dem Sack: Angeregt zu diesem Beitrag hat ein Facebook-Post des Görlitzer Weinhändlers Axel Krüger, den er heute am Morgen – vielleicht noch die Bettwärme genießend – verfasst hat. Und obgleich es grundsätzlich nicht zum Instrumentarium des Görlitzer Anzeigers gehört, die Seiten mit Facebook-Zitaten zu füllen, ist hier eine Ausnahme geboten:

Die Innenstädte sterben. Und reißen den Einzelhandel gleich mit in den Strudel des Todes, wird ja allenthalben geätzt.

Vermutlich besonders laut von denen, die die Katzenklappe in ihrer Wohnungstür mit der Kettensäge verbreitert haben, damit die Amazon-Pakete durch passen.

Und dann gibt es die anderen.

Euch.

Treue und lieb gewonnene Kunden. Kunden, die Fehler verzeihen. Kunden, die neugierig bleiben, was wir für sie so im Regal haben. Kunden, die das Gemächliche eines traditionellen Einkaufs mögen und nicht im Stechschritt mit Rabattbrille und PreisvergleichsApp durch unsere Sortimente stürmen.

Ihr seid der Grund, warum wir jeden Tag gerne unsere Ladentüren aufsperren. Ab und an auch mal am Sonntag.

Danke, dass Ihr gestern da wart. Und Ihr wart viele. Der Einzelhandel stirbt noch lange nicht.


Das ist aus dem Herzen gesprochen. An anderer Stelle, auf welt.de, findet sich noch ein Krüger-Zitat: "Ich habe mich immer mehr auf das Leben selbst eingelassen, als mein Leben der Karriere zu opfern" – Wie arm muss doch ein Leben sein, dass sich nur an billigen Preisen und damit billigem Genuss orientiert!

Eine Frage der Prioritäten

Das Argument, dass das Geld ja für mehr nicht reiche, verfängt nicht, denn wofür man sein Geld ausgibt, das ist immer eine Frage der Prioritäten. Es ist die Erfahrung eines Schuldnerberaters, dessen weibliche Klientel – nicht nur in einem Fall – vor dem Termin mit ihm 50 Euro im nahegelegenen Nagelstudio gelassen hat, um dann frisch lackiert tränenden Auges zu beteuern, überhaupt kein Geld zu haben. Dass man nicht alle über einen Kamm scheren kann und manche sich die Heizung nicht mehr leisten können – unbenommen.

Ein bisschen Spaß muss sein!

Bei vielen hat sich jedoch eine Lebenseinstellung verfestigt, die den Spaß erfolgreich aus dem Alltag verdrängt hat und mit Argwohn auf jene schaut, die bei der Arbeit oder beim Lernen lachen. Zur Lebensfreude und zum Spaß gehört übrigens auch selbstdefinierter Luxus. Damit ist nicht der Demonstrationskonsum gemeint, der anderen den eigenen monetären Erfolg und Wohlstand signalisieren soll. Nein, es geht um das, was man sich unvernünftig teuer ganz bewusst nur für sich selbst gönnt und was kaum ein anderer zu sehen bekommt – vom edlen Gentleman’s Knife oder, um gendergerecht zu bleiben, der teuren Lingerie, bis hin zum gar nicht so teuren Wein aus der Jakobstraße, der jetzt im Weinkühlschrank für Profis liegt, der aus Sicht des Weinfreundes selbstverständlich überhaupt nicht unvernünftig ist. Wobei: Ein echter Profi würde Weinklimaschrank sagen.

Und die Moral von der Geschicht'

Wer eine lebendige und zudem nicht uniformierte Innenstadt möchte, sollte sich hier ab und an ein Einkaufserlebnis gönnen und die Gaststätten besuchen. Das gehört zum guten und durchaus genüsslichen Leben.

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  • Quelle: Thomas Beier | Foto: Mike Altmann
  • Erstellt am 26.09.2022 - 14:45Uhr | Zuletzt geändert am 26.09.2022 - 16:04Uhr
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