Gesellschaft, Umwelt, Wirtschaft: Folgenabschätzung 360 Grad nötig

Gesellschaft, Umwelt, Wirtschaft: Folgenabschätzung 360 Grad nötigGörlitz. 9. Februar 2022. Von Thomas Beier. Leute, die beseelt von irgendeiner Erkenntnis oder von einer bloßen Meinung antreten, nun auch andere damit zu beglücken und dabei jede Einordnung und jeden Zweifel im Keim ersticken möchten, haben mich schon immer zutiefst misstrauisch gemacht. Es geht doch nicht um schlichtes Geradeaus-, Quer- oder Um-die-Ecke-Denken, sondern darum, Komplexität in all ihren erkennbaren Dimensionen zu erfassen und möglichst gut zu berücksichtigen.

Abb.: Einige Algen haben an zweitweise Trockenheit und damit an Lebensräume außerhalb des Wassers angepasst. Sie treten an wärmegedämmten Hausfassaden unter Umständen großflächig auf
Foto: Dx21, Pixabay License (Bild beschnitten)
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Nur wer wenig weiß, glaubt alles zu wissen

Nur wer wenig weiß, glaubt alles zu wissen
Manche Gewässer wie hier in Ypern leiden unter massenhafter Algenvermehrung
Foto: Denys Korobov, Pixabay License (Bild beschnitten)

Meist sind solche von ihren Überzeugungen beseelten Zeitgenossen – vorsichtig ausgedrückt – einfach gestrickte, aber keineswegs dumme oder ungebildete Gemüter, die jedoch nie gelernt haben, Informationen und für sie neues Wissen zu bewerten und in komplexere Zusammenhänge einzuordnen. Beschreiben kann man das mit Auffassungen wie "der Lehrer hat immer recht" oder "was in den Nachrichten kommt, muss die Wahrheit sein". Solche Leute kommen völlig durcheinander, wenn sie eines Tages feststellen, dass dem nicht so ist, weil natürlich jeder, der Informationen weitergibt, bestenfalls zwar den aktuellen Kenntnisstand, in jedem Fall jedoch nur einen Ausschnitt aus den Zusammenhängen und dazu auch noch seine eigene Wahrnehmung und Perspektive repräsentiert.

Um nicht in die graue Theorie abzugleiten ist es sicherlich besser, anhand eines relativ einfachen Beispiels zu erklären, worum es geht. Natürlich könnte man auf die Hintergründe des Zustands der Ostdeutschen Gesellschaft eingehen, nur sprengt die dafür nötige Ausführlichkeit den Rahmen eines Beitrags, der zudem noch für möglichst viele Leserinnen und Leser nützlich sein soll. Es soll gezeigt werden, wie existierende, aber weil unbekannt nicht berücksichtigte Zusammenhänge zu schädlichen Folgen führen können. Wer sich näher für die Theorie interessiert: Es geht um den Bereich D des JOHARI-Fensters.

Komplexe Zusammenhänge am Beispiel Wärmedämmung aufgezeigt

Betrachten wir also einmal ein älteres Haus, für das ein Energieberater ein Konzept für die energetische Sanierung erstellt. Im Grunde ist das ja eine gute Sache, wenn die Bewohner nach der Umsetzung des Konzeptes Energie sparen, die Heizkosten sinken und nicht zuletzt die Umwelt entlastet wird. Alles paletti also? Mitnichten.

Wer etwa nur allein auf Wärmedämmung achtet, wie sie typischerweise an Außenfassaden und unter der Dachhaut sowie durch hochgedämmte und zugluftfreie Fenster und Türen erfolgt, holt sich schnell unerwartete Probleme ins oder besser gesagt ans Haus. Das ist typisch dafür, wenn sich bei Veränderungen nur auf ein einziges Ziel konzentriert wird und systemische Reaktionen dabei ausgeblendet werden.

Algen an der Hauswand

Probleme ans Haus? Ja, wie soll man es nennen, wenn sich an der vor nicht allzu langer Zeit wärmegedämmten Fassade Algen ausbreiten, die dem Haus ein schmutziges Aussehen geben? Der Hintergrund ist schnell erklärt: Eine von außen gedämmte Fassade lässt – wie beabsichtigt – weniger Wärme durch das Mauerwerk entweichen. Dieser Umstand und die Tatsache, dass die Putzschicht auf der Dämmung relativ dünn ist führt dazu, dass die Fassade an ihrer Außenseite kaum noch Wärme speichern kann.

Dann geschieht das, was man besonders im Herbst, wenn die Tage noch warm, die Nächte aber schon kühler sind, auf Wiesen oder abgestellten Autos beobachten kann: Tau schlägt sich nieder, Wiesen und Autos sind morgens klatschnass. Genau dasselbe tritt nun an der gedämmten Fassade ein: Mangels Wärmespeicherung infolge der Dämmung ist die Außenhaut so kalt, dass sich die Luftfeuchtigkeit hier niederschlägt. Folge: Gedämmte Fassaden sind häufiger feucht als ungedämmte – und Feuchtigkeit gepaart mit Sonnenlicht ist ein wunderbarer Nährboden für Algen und Pilze.

Der Effekt kann durch weitere Faktoren verstärkt werden:


    • zu geringe Dachüberstände können zu viel Regen an die Fassade gelangen lassen
    • die Gegebenheiten vor Ort – etwa die Himmelsrichtung oder relativ wenig Wind – die rasche Trocknung der Fassade zusätzlich verhindern
    • im Klimawandel tendenziell wärmer werdende Luft kann mehr Wasser aufnehmen, das sich dann an kühlen Fassaden umso stärker niederschlägt

Wer also dank Wärmedämmung Energie einsparen möchte, dem entstehen unter Umständen neue Kosten für die Fassadenrenovierung.

Tipp:
Anstelle eines Neuanstrichs kann sich eine Fassadenreinigung mit nachfolgendem Fassadenschutz gegen Algenbefall als deutlich günstiger erweisen; dazu ist grundsätzlich eine Fachberatung zu empfehlen.


Soweit dieses Beispiel, das zeigt, dass eine energetische Sanierung ein tiefgreifender Eingriff in das komplexe System Haus ist. Wird hier einseitig nur auf Dämmeffekte optimiert, so kann das unerwartete Folgen provozieren.

Auch Pflaster kann betroffen sein

Gestoßen ist die Redaktion des Görlitzer Anzeigers auf dieses Thema bei der Suche nach einer professionellen Reinigungsfirma für Pflaster. Dafür gibt es einen Hintergrund und ein Problem: Der Zugang zu den Geschäftsräumen ist gepflastert und zwar in einer Hanglage, die durchaus Stufen vertragen hätte, auf die aber im Sinne der Barrierefreiheit verzichtet wurde. Allerdings bildet sich hier wegen der Lage und der Verhältnisse mit der Zeit ein Biofilm, ähnlich wie beschrieben an einer Fassade. Nur sieht das hier nicht nur unschön aus, sondern es besteht – gerade bei feuchtem Wetter – akute Rutschgefahr.

Klar kann man selbst zum Hochdruckreiniger greifen, allerdings hält der Reinigungseffekt nicht allzu lange an, weil die Reinigung je nach Material Poren im Pflaster vergrößern kann, in denen sich etwa Moose und Flechten schnell wieder ausbreiten. Außerdem pustet der Wasserstrahl regelmäßig die Spalten zwischen den Pflastersteinen frei, so dass jedes Mal neu verfugt werden muss.

Eine professionelle Pflasterreinigungs Firma macht das anders: Hier wird nicht nur mit Heißwasser gereinigt, sondern es werden mit einem biologisch abbaubaren Mittel die Reste von Algen, Moosen und Flechten zersetzt. Nach der Wiederherstellung der Fugen wird ein atmungsaktiver Langzeitschutz auf das Pflaster aufgebracht, der Wasser mitsamt der Algen und Sporen abperlen lässt.

Resümee

Wer ein scheinbar einfaches Problem mit scheinbar naheliegenden, simplen Mitteln aus der Welt schaffen möchte, erzeugt gegebenenfalls vorher ungeahnte neue Probleme. In unserer rasant komplexer werdenden Welt wird es immer schwieriger, eindeutige Stellschrauben für gewünschte Veränderungen oder Entwicklungen zu finden, sei es nun in der Wirtschaft, in der Politik oder der Gesellschaft insgesamt.

Oftmals kommt man in komplexen Zusammenhängen – so wird etwa, um noch einmal auf das Beispiel zurückzukommen, eine mögliche Korrelation zwischen zunehmender Luftreinheit und vermehrter Algenbildung diskutiert – nicht umhin, über trial & error, sprich vorsichtigen Versuch und einkalkulierten Irrtum, Lösungen zu finden. Wer jetzt nicht an die Corona-Pandemie denken muss, sollte den Artikel noch einmal lesen.

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  • Quelle: Thomeas Beier | Foto Algen: España / Dx21, Pixabay License; Foto Schiff: E1St0rm / Denys Korobov, Pixabay License
  • Erstellt am 09.02.2022 - 13:21Uhr | Zuletzt geändert am 09.02.2022 - 13:56Uhr
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