Nochten 2 auf der Kippe

Landkreis Görlitz, 2. Juli 2015. Von Thomas Beier. Neue Regierung in Schweden, neue Erkenntnisse beim Staatskonzern Vattenfall - und dann auch noch die deutsche Diskussion um den Braunkohle-Ausstieg: Jetzt hat der Schwedenkonzern die Reißleine gezogen und per Ende Juni 2015 die Vorbereitungen zur Devastierung für die Nochten 2 genannte Erweiterung des Tagesbaus Nochten im Norden von Boxberg/O.L. / Hamor gestoppt. Begründet wird das mit der Unsicherheit für den Braunkohlenbergbau und die Braunkohleverstromung in Deutschland. Sicher hat auch der Widerstand - so der Europäischen Freien Allianz gegen Kohlezerstörungen, der Domowina und des Sorbischen Künstlerbundes - eine Rolle gespielt.

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Kommentar zur Braunkohleindustrie: Wer festhält, verschläft den Wandel

Konkret auf Eis gelegt ist jetzt die Bewertung von Grundstücken, deren Eigentümer oder Bewohner ihre Heimat verlassen müssten.

Der Landkreis Görlitz hat die Ankündigung von Vattenfall, alle Umsiedlungsaktivitäten um den Tagebau Nochten 2 zu stoppen, "mit großer Sorge" zur Kenntnis genommen. Landkreismitarbeiter wollen sich mit der Gemeinde Schleife / Slepo in der nächsten Woche zusammensetzen mit dem Ziel, die Konsequenzen zu analysieren und weitere Schritte festzulegen. In einer Mitteilung der Görlitzer Landkreisverwaltung heißt es, dass die aktuellen Umsiedlungsprozesse, die Kommunalberatung für die Gemeinden Schleife und Trebendorf / Trjebin, die Seelsorge für betroffene Einwohner und der Ausgleich für bergbaubedingten Mehraufwand der Gemeindeverwaltung, nach deren Erkenntnisstand nicht betroffen seien.

Der Vattenfall-Konzern steckt in der Zwickmühle: Er möchte seine sächsischen und brandenburgischen Tagebaue und Kohlekraftwerke loswerden - anscheinend bislang ohne Erfolg. Wahrend das Land Brandenburg und der Freistaat Sachsen den Braunkohleabau und die Verstromung in der Ober- und Niederlausitz mit Sicht auf die Arbeitsplätze befürworten, sieht die Bundespolitik die Braunkohlewirtschaft, vor allem unter dem Aspekt der Klimaziele, deutlich kritischer.

Kommentar

Raubbau an Landschaft, Gesundheit und Heimat, um Geldeinnahmen und Wohlstand zu sichern, erscheint aus Sicht der postindustriellen Gesellschaft archaisch. Kurzfristig schiebt die Braunkohlewirtschaft im Landkreis Görlitz noch einen Teil der Strukturprobleme im fernen Osten Deutschlands vor sich her, langfristig löst sie sie nicht einmal im Ansatz.

"Lieber ein Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende", sagt das Sprichwort. Und der endlose Schrecken ist längst real: So wurden die Lakomaer Teiche, ein Flora-Fauna-Habitat-Gebiet, von Vattenvall ausgetrocknet - selbstverständlich nicht ohne "Ausgleichsmaßnahmen". Lässt sich gewachsene Landschaft "ausgleichen" - noch dazu, wenn die Landschaftsvernichtung wie beispielsweise an den Lakomaer Teichen der Gewinnung elektrischen Stroms aus Braunkohle - abgasintensiver geht es kaum - dient?

Die Zeit der großtechnischen Braunkohlenutzung ist vorbei. Sie ist nicht mehr zwingend nötig, für die Allgemeinheit ist vor allem der Verzicht auf die Abgase und die enormen Schadstoffausstoße beispielsweise an Quecksilber zum entscheidenden Argument geworden. Für die Beschäftigten in den Tagebauen und den Braunkohlekraftwerken ist es besser, sich frühzeitig dem Wandel zu stellen. Wer allerdings auf ein neues Haus und Entschädigungen gepokert hat (um den Preis von Gesundheit, Heimat und Natur), der wird leer ausgehen.

Für den Wandel weg von der braunkohlebasierten Wirtschaft ist nicht nur ein kluge Wirtschaftspolitik nötig, sondern viel mehr: Gefragt sind technische Lösungen wie Geräte und Maschinen, die in Abhängigkeit vom Stromangebot gesteuert werden, bis hin zur Abkehr vom Prinzip, soziale Sicherheit an einen klassischen Arbeitsplatz (offiziell längst zum "Job" - siehe "Jobcenter" - degradiert) zu binden.

Ob dieser Wandel im Landkreis Görlitz tatsächlich gestemmt werden kann, bleibt offen. Immerhin ist für viele hier der Traumjob ein Arbeitsplatz in der Verwaltung, aufgeräumt sein bis zu Rente. Die Bilanz der Wirtschaftsentwicklung der letzten 25 Jahre ist, bei allen Einzelerfolgen, desaströs.

Woran liegt das wohl?

fragt Ihr Thomas Beier

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  • Quelle: Thomas Beier | Foto: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 01.07.2015 - 21:14Uhr | Zuletzt geändert am 01.07.2015 - 22:55Uhr
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