Täve! Täve! Täve?

Görlitz, 25. Juli 2013. Von Fritz R. Stänker. Was trieb den Görlitzer Oberbürgermeister Siegfried Deinege dazu, die "Täve" genannte DDR-Radsportlegende Gustav-Adolf Schur für heute zum Eintrag in das Goldene Buch der Stadt Görlitz einzuladen - Ostalgie oder politischer Stallgeruch? Immerhin: Die Stiftung Deutsche Sporthilfe hatte Schur im Jahr 2011die Aufnahme in die "Hall of Fame" des deutschen Sports versagt. Näher begründet wurde das nicht, aber bereits bei der Nominierung gab es Proteste vom Doping-Opfer-Hilfe e.V., Mitglied der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft.

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Zeitlebens ein hervorragender Amateur-Radrennfahrer

Berümt geworden ist "Täve" vor allem als Teilnehmer und auch Gewinner von Friedensfahrten in den 1950er Jahren. Die "Internationale Friedensfahrt" war - im Gegensatz zum wesentlich älteren französisch dominierten westeuropäischen Pendant, der Tour de France - immer zugleich eine höchst politische Veranstaltung.

Ab 1948 verband die Friedensfahrt Warschau (Warszawa) und Prag (Praha), seit 1952 kam Ostberlin hinzu. Veranstalter waren die großen "Zentralorgane" genannten Tageszeitungen der moskauhörigen Staatsparteien: Die Prager "Rudé právo" (dt. "Rote Wahrheit"), die "Trybuna Ludu" (dt. "Tribüne des Volkes") aus Warschau und die SED-Zeitung "Neues Deutschland". Der politische Grundgedanke der Fahrt war die Annäherung und Aussöhnung der DDR-Deutschen mit den Ländern des Ostblocks, insbesondere der angrenzenden Volksrepublik Polen (VRP) und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (ČSSR). Teilnehmer der Friedensfahrt waren auch Sportler aus den westeuropäischen Ländern.

Der sportliche Schur


Die Popularität Schurs begründet sich darin, dass er als erster Deutscher die Internationale Friedenfahrt gewann (1955) und diesen Sieg im Jahr 1959 noch einmal wiederholen konnte. Und 1958 wie auch 1959 wurde er Amateur-Weltmeister. Dazu kamen zahllose Siege und Meistertitel in der DDR.

Der politische Schur


Doch Schur, der charakterlich immer ein einfacher, geradliniger und volksverbundener Mann blieb, war auch linientreues SED-Mitglied. Von 1958 bis 1990 war er Volkskammer-Abgeordneter, für die FDJ, für die SED, für die PDS - für die er von 1998 bis 2002 sogar im deutschen Bundestag saß.

Die von der SED geprägte Linie hat Schur nie verlassen, auch nach 1990 bekannte er sich zum Sozialismus, bestritt systematisches Doping im DDR-Sport, legitimierte Mauerbau und Schießbefehl.

Das ist seine Tragik. Seiner Generation (Schur ist 1931 geboren) ist es unbenommen, in der Nachkriegszeit an das "bessere Deutschland" in der entstandenen Osthälfte geglaubt zu haben. Das Friedensversprechen, gute Bildungschancen für Arbeiterkinder, Vollbeschäftigung waren starke Argumente. Doch die politische Unterdrückung Andersdenkender, die Stasi und die Unfähigkeit des Wirtschaftssystems konnten auf Dauer keinem verborgen bleiben, auch wenn die übergroße Mehrheit nicht zu Widerstandkämpfern wurde.

Bedenklich ist nur, wenn Enthusiasten der DDR-Regimes nicht in später Erkenntnis das Eingeständnis hinbekommen, im vielleicht guten Glauben einer Diktatur gefolgt zu sein, die ihre Gegner unmenschlich mit Haft und psychischer Zerstörung verfolgte und selbst - mangels ausreichendem technologischen Fortschritts - nur auf der Ausbeutung der Arbeitskraft beruhte.

Der Gerechtigkeit halber muss angemerkt werden, dass Katharina Witt aus Karl-Marx-Stadt (das heute wieder Chemnitz heißt), Ex-SED-Mitlied und Trägerin des "Vaterländischen Verdienstordens in Gold", in die "Hall of Fame" des deutschen Sports aufgenommen wurde. Aber die hat sich ja auch besser vermarktet.

Kommentare Lesermeinungen (7)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Oberbürgermeister und "Täve"

Von Dr. Sander am 10.08.2013 - 13:36Uhr
Ich bin einfach entsetzt über die Einlassungen dieses "Protagonisten"!

Eigentlich unfassbar, dass diese beiden Herren, der Oberbürgermeister und sein "Ehrenbürger" vor der Geschichte als "Gutmenschen" bezeichnet werden können. Dabei stammen doch die beiden Haupt-und Selbstdarsteller nicht einmal aus dem "Tal der Ahnungslosen".

Dann weiter unter dem Motto: "Vergeben und Vergessen". Der Zweck heiligt ja alle Mittel, armes Deutschland.

Dies haben die damals politisch Verfolgten - so wie die überwiegende Mehrheit - nicht verdient, so einen geschichtsverfälschenden Müll zu verarbeiten.

Dr. Sander

Oberbürgermeister und Täve

Von Frank Gottschlich am 09.08.2013 - 22:01Uhr
Nicht zu verbissen sehen.

Kann es nicht auch von Vorteil sein, jemand als Oberbürgermeister zu haben, der genau wusste, was in der DDR und in der BRD so ablief. (...)

Ich denke, der heute alte Herr hat sich zu seiner Zeit mächtig abgestrampelt für seine eigenen Ideale. Und die hatten sicher wenig mit Mauerbau und Schießbefehl zu tun.

Ehre, wem Ehre gebührt. Hier hat der Oberbürgermeister bestimmt keinen Fehler gemacht.

Staatsdoping

Von jens am 09.08.2013 - 18:00Uhr
@görzelec

Schlimm genug, aber dadurch wird das systematische Staatsdoping an Kindern und Jugendlichen in der ehemaligen DDR um keinen Deut besser!

Auch wenn Sie das gern hätten!

Doping 2.0

Von görzelec am 03.08.2013 - 10:48Uhr
@ Jens
Lieber Jens, auch zu einem Kalten Krieg gehören eben immer noch zwei:

"Der Unterschied zwischen dem Doping z.B. im Profiradsport und dem Doping in der DDR ist, dass im Profisport der Einzelne, um sich Vorteile zu verschaffen zu unlauteren Mitteln greift. Im DDR-Sport ist systematisches Staatsdoping betrieben worden."

SPON, heute morgen:
http://www.spiegel.de/sport/sonst/studie-der-humboldt-universitaet-systematisches-doping-in-der-brd-a-914597.html

DDR Nostalgie

Von Jens am 28.07.2013 - 13:48Uhr
@görzelec
Das ist das typische Verhalten der ewig Gestrigen. Alles schönreden, verharmlosen, so schlimm war es doch gar nicht und wenn es nicht mehr zu leugnen geht, dann kommt: Die anderen haben es doch auch gemacht.

So geht das aber nicht! Auch ich habe als junger Bengel mit meinen Freunden am Radiogerät gesessen und die Friedensfahrt verfolgt (anderes ging ja auch nicht). Erst später ist mir bewusst geworden, dass dies alles nur zur Vertuschung anderer, schlimmer Zustände gemacht worden ist. Die SED-Führung wollte ablenken von der schlechten Versorgung, dem "eingemauert" sein, den Minen und dem Schießbefehl an der Mauer und dem Grenzzaun und wollte besser, sauberer sein als der faulende Imperialismus. Wer das noch heute verharmlost und schön redet, der möchte dieses System wohl auch wieder zurück!

Der Unterschied zwischen dem Doping z.B. im Profiradsport und dem Doping in der DDR ist, dass im Profisport der Einzelne, um sich Vorteile zu verschaffen zu unlauteren Mitteln greift. Im DDR-Sport ist systematisches Staatsdoping betrieben worden. Das begann schon bei den kleinen Kindern, welche auserwählt wurden. Dabei wussten weder die Eltern noch die Sportler selbst, dass ihnen verbotene und den Körper schädigende Substanzen regelmäßig verabreicht worden sind. Das SED-Regime wollte mit allen Mitteln (auch im Sport) seine Überlegenheit gegenüber der BRD beweisen, dabei ist mit Vorsatz handelnd und billigend in Kauf genommen worden, dass die Körper und Seelen der Sportler zerstört worden sind.

Leider sind zu viele dieser sog. DDR-Sportfunktionäre sofort in die BRD-Sportverbände übernommen worden. Die haben natürlich kein Interesse, dass noch mehr herauskommt, als schon bekannt ist. Wer wundert sich darüber...

Friedensfahrt

Von görzelec am 27.07.2013 - 18:44Uhr
Zum Ende hin für mich gut die Kurve bekommen, Herr Stänker. So kann man die DDR und ihre Menschen sicherlich beschreiben.

Ich möchte allerdings zu Bedenken geben, dass jedes Großereignis im Sport auch politischer Natur ist. Das gilt natürlich auch für die Tour de France, deren Geburtsidee ja bereits eine rein politische ist - das symbolische Beradeln des Nationalstaates Frankreich. Und gerade zwischen 1945 und 1989 waren natürlich auch die Sport-Großveranstaltungen des westlichen Blocks politische Statements, und zur Aufbesserung des Medaillenspiegels wurde in allen beteiligten Lagern nach Kräften gedoped. Was ja irgendwie bis heute gilt. Für flächendeckendes Dopen braucht es ja nun gerade im Profi-Radsport weder einen Täve Schur in verantwortlicher Position noch die DDR. Wenn man das zum Maßstab erhebt, sollte man ehrlicherweise dann auch die Abschaffung der Sportberichterstattung über den Amateur-Bereich hinaus generell verlangen.

Und am symbolischen Gedanken, mit der Friedensfahrt die DDR-Deutschen mit ihren östlichen Nachbarn in friedlichen Kontakt zu bringen und da auch ein paar Kriegswunden zu heilen, kann ich bis heute nix grundsätzlich Falsches finden.

Wie es in der Realität dann aussah (NVA und Prager Frühling usw.), steht sicherlich auf einem anderen Blatt. Aber zumindest der Versuch war doch aller Ehren wert.

Sag mir, wo Du stehst!

Von Jens am 26.07.2013 - 18:01Uhr
Diese Textzeile eines Lobliedes des "Oktoberklub" auf die Gedankenpolizei der ehemaligen DDR mag das verbindende Element sein, dass den langjährigen SED-Parteisekretär und ausgezeichneten Kampfgruppenkämpfer Deinege mit dem glühenden Kommunisten, SED-Parteifunktionär und DDR-Doping-Leugner Schur zusammen bringt.

"Gleich und Gleich gesellt sich gleich" sagt der Volksmund.

Eine weitere Schande für Görlitz!

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  • Quelle: Fritz Rudolph Stänker
  • Erstellt am 25.07.2013 - 21:14Uhr | Zuletzt geändert am 25.07.2013 - 22:42Uhr
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