Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie in der Kritik

Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie in der KritikGörlitz, 25. März 2021. Der Landkreis Görlitz hat die Auflagen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wieder verschärft und viele meinen, nach einem Jahr Pandemie müsse hingegen zu einem Zustand der Normalität zurückgekehrt werden. Insbesondere verlangen Eltern die Öffnung von Kitas und Schulen. Auch die Stadtverwaltung Görlitz erhält entsprechende Anfragen von Eltern. Vor drei Tagen wurden vor Rathäusern, auch auf der Görlitzer Rathaustreppe, als Zeichen des Protests Kinderschuhe abgestellt.

Abb.: Die Görlitzer Rathausuhren erinnern daran, wie die Zeit vergeht: Seit mehr als einem Jahr wird versucht, die Corona-Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Nicht nur in Görlitz, sondern in viele sächsischen Städten geraten jetzt die Rathäuser angesichts von Elternprotesten unter Druck. Ein Betrag zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ist das nicht.
Archivbild: © Görlitzer Anzeiger
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Geringe Nachrichtenkompetenz erlaubt Manipulationen

Der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu hat angesichts der murrenden Eltern betont, dass ihm das Wohl der Kinder sowie aller anderen Mitbürgerinnen und Mitbürger am Herzen liege und er jederzeit für konstruktive Kritik und sachliche Gespräche offen sei: "Ich teile die Sorgen der Görlitzerinnen und Görlitzer und selbstverständlich werde ich diese auch mit unserem Ministerpräsidenten Michael Kretschmer besprechen. Mit dem Landrat Bernd Lange bin ich täglich in Verbindung und wir sind uns einig, dass manche Maßnahmen mittlerweile schwer vermittelbar sind. Ich denke da beispielsweise an die Schließung des Tierparks. Gleichzeitig bereiten uns die Virus-Mutationen Sorgen und wir müssen gewährleisten, dass unser Gesundheitssystem durchgängig in der Lage ist, die Corona-Patienten zu versorgen. Die Stadt Görlitz arbeitet an Lösungen, um in dieser schwierigen Situation ihren Bürgerinnen und Bürgern Unterstützung zu bieten. Durch mehr Testungen, der Einführung einer entsprechenden Nachweis-App und zusätzlichen Impfmöglichkeiten vor Ort soll bald wieder ein normales gesellschaftliches Leben ermöglicht werden."

Kommentar:

Das Coronavirus ist noch nicht bis zur Perfektion mutiert – würde jedem, der sich infiziert, binnen Minuten ein großer Pickel auf der Nase wachsen, die Menschen wären vorsichtiger und würden die im Grunde simplen AHA+L-Regeln sehr wirksam einhalten, viele der detaillierteren Auflagen wären nicht nötig. Nur diesen Gefallen wird uns das Virus nicht tun, es hat ja gar kein Interesse daran, zu seiner eigenen Ausrottung beizutragen. Also müssen die Menschen schlauer sein und vernünftiger handeln.

Allerdings neigen Menschen sehr stark dazu, gegen besseres Wissen und Vernunft zu handeln, sonst gäbe es weder Raucher, Vielfraße, Trinker noch Raser oder, nicht zu vergessen, undisziplinierte Radfahrer. In dieses Schema passt auch, wenn Leute "gegen Corona" protestieren und, wenn sie das im Pulk machen, dem Virus noch Vorschub leisten. Längst haben jene, die gewiss keine Freunde des demokratischen Gemeinwesens sind, entdeckt, dass man Sorgen von Eltern gut instrumentalisieren kann und es besonders wirksam ist, Kinder mit Emotionen erregenden Transparenten zu Demonstrationen mitzunehmen. Sie stellen die Corona-Pandmie als eine Situation dar, in der die Bundesregierung und die Regierungen der Länder keinerlei andere Absicht hätten, als Bürger und Wirtschaftsunternehmen zu drangsalieren. "Es reicht!", schreiben Demonstranten auf ihre Schilder – ja, woran macht man fest, was reicht, am persönlichen Wohlbefinden, an der Zahl der schwer an Covid-19 Erkrankten oder der daran Gestorbenen? Oder soll es eine Botschaft an das Virus sein?

Neben den Pandemie-Wellen gibt es Desinformations-Wellen. Die erste hieß: "Das ist nichts anderes als eine Grippe!", die zweite: "Die Alten wären soundso gestorben!" Spätestens hier wird die Naziideologie vom lebensunwerten Leben sichtbar: Wozu brauchen wir die Alten noch? Wer so anfängt, den Anspruch auf Leben zu bewerten, kommt schnell zur Euthanasie – viele Deutsche, nicht nur die initiierenden Nazis, haben es im Dritten Reich bewiesen. Nun also wird die schwierige Pandemie-Situation von Kindern genutzt, um eine weitere Welle zu starten. Ein sächsischer Oberbürgermeister hat einen Zettel an seine Rathaustür geklebt: "Liebe Eltern und Familien, als Euer Oberbürgermeister und Familienvater unterstütze ich die Aktion zur Öffnung unserer Schulen und Kitas ausdrücklich. Ich werde die Schule und Plakate nach Dresden schicken und hoffe auf ein Umdenken durch diesen friedlichen Protest." Und dann noch fett hervorgehoben: "Unsere Kinder sind systemrelevant!"

Der Mann ist kein Einzelfall, in seiner Region machen Dutzende Kommunen mit. Billiger geht Populismus kaum. Nun ist es immer sehr einfach, gegen etwas zu sein, also gegen die Schließung von Kitas und Schulen, vor allem, wenn man dabei den Anlass und den Zweck dieser Maßnahmen ausblendet, sondern sich nur auf die nachteiligen Wirkungen fokussiert. Was würden die Eltern sagen, wenn ihre Kinder das Virus nach Hause tragen und sie selbst erkranken? Dass die Jüngeren vergleichsweise harmlos davon kommen, für diese Hoffnung gibt es seit dem Auftreten der aggressiveren Mutationen nicht allzu viel Grund mehr.

Zum Beispiel: Im Landkreis Görlitz werden wegen der anhaltend hohen Inzidenzzahlen die Kitas voraussichtlich ab dem 29. März 2021 geschlossen. Bereits heute, am 24. März 2021, gibt es im Landkreis Görlitz in 37 Schulen und 27 Kindertageseinrichtungen bzw. Horten Coronavirus-Infektionen zu verzeichnen. Das betrifft Einrichtungen in 18 Kommunen, verteilt über den gesamten Landkreis. In den betroffenen Schulen sind 55 Coronainfektionen festgestellt worden, davon knapp 15 Prozent mit überdurchschnittlich gefährlichen Mutationen, Tendenz weiter steigend. Im Zusammenhang mit dem Infektionsgeschehen in den Gemeinschaftseinrichtungen befinden sich derzeit 635 Kontaktpersonen der Kategorie 1 in Quarantäne.

In wenigen Tagen wird jeder 250. Einwohner des Landkreises Görlitz an Covid-19 verstorben sein – wie viele es darüber hinaus noch sein werden, kann niemand voraussagen. Voraussagen kann man nur: Je mehr die Corona-Pandemie ignoriert wird, umso mehr Menschen werden ernsthaft erkranken oder sogar daran sterben. Verhaltensregeln und Auflagen sind nichts anderes als Vorsichtsmaßnahmen, die keine absolute Wirkung entfalten können, es gilt der Grundsatz: Je vorsichtiger, umso besser. Man muss nicht ausnutzen, was erlaubt ist: In der Abwägung ist es noch immer vernünftiger, nicht nach Mallorca zu fliegen.

Kritisieren kann man, dass die Anti-Corona-Maßnahmen unzureichend kommuniziert werden, die andere Seite: Einen relativ großen Teil der Bevölkerung erreichen die seriösen Informationsquellen überhaupt nicht mehr. Wer etwa vor allem in seiner Facebook-Blase unterwegs ist, findet auch für die dümmlichsten Ansichten leicht viele Unterstützer. Die Aussage, es sei doch ein Wahnsin, dass in Testzentren Gesunde auf eine Krankheit getestet würden, fand gestern beispielsweise in einer Facebook-Gruppe vehemente Zustimmung – und nur einige begannen auf die Gegenfrage hin, ob man vielleicht besser Kranke testen solle, ob sie nicht vielleicht doch gesund seien, nachzudenken.

Die Corona-Pandemie legt vieles offen. Bislang ist es weder der sozialistichen Diktatur – q.e.d. – noch, wie man jetzt sieht, dem demokratischen Gemeinwesen gelungen ist, das Leitbild von der allseits gebildeten Persönlichkeit breit umzusetzen. Die Medienlandschaft trägt schon immer ihren Teil dazu bei, heute mehr denn je. Das Internet mit seinen Plattformen ermöglicht es, dass ein jeder Informationsmedium spielen kann, was übigens mehr mit Meinungs- als mit Pressefreiheit zu tun hat. Damit steigen aber die Anforderungen an den Rezipienten von Informationen, wie immer diese als Nachrichten auch verpackt sein mögen. Jedoch können viele nicht zwischen seriösen Informationen und Falschmeldungen, zwischen Kommentar und bloßer Meinungsäußerung unterscheiden – je simpler strukturiert die Weltsicht, umso weniger, belegt eine aktuelle Studie der Stiftung Neue Verantwortung, die mit "Quelle: Internet? Digitale Nachrichten- und Informationskompetenzen der deutschen Bevölkerung im Test" titelt.

Ein Stück weit erhellt diese Studie die gesellschaftichen Tendenzen in den von der Abwanderung gut ausgebildeter junger Leute geplagten sächsischen Randlagen: Medienkompetent sind, so eine der Grundaussagen der Studie, in Anhängigkeit vom Bildungsstand eher die Jüngeren als die Älteren, und, auf Seite 6: "Abgeschlagen auf dem letzten Platz liegen die Anhänger:innen der AfD", was die digitale Nachrichtenkompetenz betrifft. Die CDU-Anhänger finden sich immerhin im Mittelfeld, die Spitzenposition haben FDP-Anhänger, dicht gefolgt von denen der Bündnisgrünen und dann jenen der Linkspartei und der SPD. Die vielfach geforderten MINT-Kompetenzen reichen eben nicht aus, um einen fruchtbaren gesellschaftlichen Diskurs zu führen; ohne kulturelle und politische Bildung und ganz besonders Nachrichtenkompetenz sowohl auf Seiten der Anbieter wie auch auf Seiten der Nutzer wird es schwieriger für die Demokratie.

Als Optimist kann man nur sagen: Es gibt noch viel zu tun, meint

Ihr Thomas Beier

Kommentare Lesermeinungen (1)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Corona Kritik

Von Norbert Hanßen am 15.04.2021 - 19:05Uhr
Jetzt finde erstmal eine Triage in Wirtschaft statt, wer keine Rücklagen hat, ist weg vom Markt ! Am Ende vom Jahr kommt das große Aufräumen, da spielt Corona keine Rolle mehr!

Gruß

N. Hanßen

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  • Quelle: red / Kommentar: Thomas Beier | Foto: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 24.03.2021 - 15:53Uhr | Zuletzt geändert am 25.03.2021 - 10:57Uhr
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