Verlässt SIEMENS Görlitz? So reagiert die Politik

Görlitz, 20. Oktober 2017. Auf die gestern bekanntgewordene mögliche Schließung des SIEMENS-Turbinenwerks in Görlitz (rund 800 Arbeitsplätze) reagiert die Politik vor allem mit gegenseitigen Schuldzuweisungen und Handlungsaufforderungen an andere. Wirtschaftskompetenz klingt anders. Das BOMBARDIER Waggonbau-Werk, dem zumindest große Veränderungen ins Haus stehen, und SIEMENS sind die beiden wichtigsten Industriebetriebe in Görlitz.
Abbildung: Ein RWE-Kohlekraftwerk.

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Stimmen aus CDU, AfD und Linkspartei

So fordert der Görlitzer Landrat Bernd Lange (CDU) "die Sächsische Staatsregierung, insbesondere den Wirtschaftsminister Martin Dulig auf, sich bei der Konzernleitung von Siemens für die langfristige Erhaltung des Standortes Görlitz einzusetzen." Es sei für den Landkreis Görlitz und die Region lebenswichtig, nicht noch weitere Unternehmensschließungen zuzulassen. Zugleich erinnerte der Landrat auf die Verantwortung der Siemens AG für die Region: Sie sein dem Konzern immer ein Garant für Qualität und Zuverlässigkeit gewesen und sollte es auch in Zukunft bleiben.

Auch Sebastian Wippel, der für die AfD im Sächsischen Landtag sitzt, verweist auf die regionale Verantwortung gerade derjenigen "deutschen Unternehmen, die wie Siemens in der ersten Liga spielen". Die Schließung des Görlitzer Standortes müsse unbedingt verhindert werden. Wippel: "Aus meiner Sicht sollten dem traditionsreichen Siemenskonzern die eigenen Standorte in Deutschland besonders am Herzen liegen. Allerdings ist mir natürlich klar, dass mittlerweile zwei Drittel der Aktionäre des Unternehmens im Ausland sitzen und nationale Interessen dadurch leider eine immer geringere Rolle spielen." Wippel verweist ferner ebenso wie auch Noch-Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) auf das von der Bundesregierung verhängte Exportverbot von Dampfturbinen für Kohlekraftwerke. Die würden nun einfach von anderen Anbietern gekauft. Tillich: "Ich fordere den Bund auf, hier sehr deutlich Position für die Standorte insbesondere in strukturschwachen Regionen wie der Lausitz zu beziehen."

Einen Hinweis kann sich Wippel nicht verkneifen:"Noch ein Wort zu dem Geraune von Siemens, das Görlitzer Werk eventuell doch nicht zu schließen, weil die AfD hier so stark ist. Wenn unsere erlangte politische Bedeutung dazu führt, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben, so freue ich mich freilich darüber. Trotzdem kann ich diese Aussage von Siemens nicht ganz ernst nehmen. Bei der Frage, ob das Turbinenwerk erhalten bleibt, werden andere Faktoren ausschlaggebend sein."

Die Linkspartei spricht von im Zusammenhang mit der Lage bei SIEMENS in Görlitz von einer "Wegducken-Strategie" von Tillich und der Sachsen-CDU. Nico Brünler, arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag meint: "Mit trauriger Routine sind es wiederholt die ostdeutschen Standorte von Großkonzernen, die die Last der Umstrukturierung tragen müssen." Als Ministerpräsident gehört es zu Tillichs Aufgaben, sich gemeinsam mit dem Wirtschaftsminister persönlich um solche Fälle zu kümmern und selbst das Gespräch mit der Konzernleitung zu suchen.
Mirko Schultze aus Görlitz, linker Landtagsabgeordneter, spricht von einem weiteren Tiefschlag bei der Umstrukturierung der Region: "Die bedrohten Industriearbeitsplätze und die aus Tariflöhnen resultierende Kaufkraft sind wichtige Grundlage für die sich neu entwickelnde Kreativ- und Tourismuswirtschaft." Ein Strukturwandel in Ostsachen müsse gesteuert sozial und ökologisch ausgerichtet werden.

Auf facebook hat sich auch der CDU-Landtagsabgeordnete Octavian Ursu aus Görlitz zu Wort gemeldet: "Ich werde mit aller Kraft für den Erhalt des traditionsreichen Turbinenwerkes – das eines der modernsten überhaupt ist – kämpfen. Den Bund und unseren sächsischen Wirtschaftsminister fordere ich zum sofortigen Handeln auf. Denn von der drohenden Schließung und dem Verlust von 1500 Arbeitsplätzen wäre die ganze Lausitz betroffen – und damit ein weiteres Mal von den Folgen der Energiewende. Siemens eröffnet weltweit neue Werke, aber will ausgerechnet im Osten Deutschlands Standorte schließen." Das Unternehmen habe auch eine gesellschaftliche Verantwortung für unser Land.

Kommentar:

Ich weiß nicht mehr, von wem das Zitat stammt, aber es ist für eine sozial orientierte Marktwirtschaft zutreffend, sinngemäß: "Mitarbeiter zu entlassen ist unangenehm, Betriebsschließungen aber sind unsozial." Es bedeutet, dass Betriebe rentabel sein müssen, um Mitarbeiter beschäftigen zu können respektive zu müssen. Um aber Betriebe rentabel zu halten, muss man immer wieder in deren Zukunftsrobustheit investieren, sprich: rationalisieren, so lange der Laden gut läuft - läuft es nicht mehr gut, ist es meist schon zu spät.

Zu spät ist es auch, wenn der Produktlebenszyklus der Dampfturbine in Deutschland abgelaufen ist. Das hat viel mit politischen Entscheidungen beim Bund zu tun. Dennoch: Die Entscheidung, vor der SIEMENS in Bezug auf Görlitz steht, ist weniger von der Politik (Exportverbot, eventuelles Aus für die Kohleverstromung) beeinflusst als von einem grundlegenden Technologiewandel. Es ist eben technologisch immer umfangreicher möglich, auf umweltschädigende und ressourcenverbrauchende Technologien für die Erzeugung elektrischen Stroms zu verzichten – auf Technologien wie die Kohleverstromung, die sogar unser Lebensmittel Nummer Eins, die Luft, nicht nur mit Kohlendioxid, sondern auch mit Schwermetallen beeinträchtigt. Wer nicht wahrhaben will, dass Technologien aussterben, kann gern noch Dampfloks bauen oder mit "Frolleins vom Amt" in der Telefonzentrale Arbeitsplätze schaffen.

Die Zukunftsszenarien im Bereich der Braunkohleverstromung, vom Abbau bis zur Dampfturbine und zum Generator, liegen so klar auf dem Tisch wie in kaum einem anderen Technologiebereich. Was fehlt ist ein Masterplan, der auch, aber nicht allein industriell orientierte Arbeitsplätze im Visier hat: Der wirtschaftliche Umbau kann ohne einen Umbau in der Gesellschaft und in den Sozialsystemen nicht gelingen, Stichwort: stärkere Entkopplung der Sozialsysteme vom Faktor Arbeit.

Parteien sollten sich durchringen, das Phrasengedresche vom Fordern und Kämpfen einzustellen, sondern sich erst einmal zu einer nüchternen Situationsanalyse durchzuringen und dann, je nach politischer Ausrichtung, Lösungsansätze vorzulegen,

meint Ihr Thomas Beier

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  • Quelle: TEB | Kommentar: Thomas Beier | Foto: Josef17 / Josef Juchem, pixabay, Lizenz CC0 Public Domain
  • Erstellt am 20.10.2017 - 13:33Uhr | Zuletzt geändert am 20.10.2017 - 15:03Uhr
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