Das deutsche Gesundheitssystem – wie es funktioniert

Das deutsche Gesundheitssystem – wie es funktioniertGörlitz, 6. Januar 2022. Von Thomas Beier. Gesund bleiben oder gesund werden, das will wohl jeder. Und jeder hat selbst ein Stück weit Einfluss auf seine Gesundheit, etwa durch die Ernährung und Bewegung. Nicht ohne Grund spricht man von Zivilisationskrankheiten. Der Görlitzer Anzeiger hat sich näher angeschaut, was rund um die Gesundheit eine Rolle spielt.

Abb.: "Apparatemedizin" – aber wie sonst?
Symbolfoto: Foto: Parentingupstream, Pixabay License (Bild bearbeitet)
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Vergleichsweise teuer – mehr Effizienz nötig

In Deutschland kostet der Gesundheitssektor jährlich hunderte Milliarden Euro, von denen etliche nur ausgegeben werden müssen, weil der allgemeine Wohlstand im Zusammenhang mit einer ungesunden Lebensweise die erwähnten Zivilisationskrankheiten fördert. Zu den Zivilisationskrankheiten beziehungsweise begünstigenden Faktoren zählen etwa der Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Übergewicht als Risikofaktor und Fettleibigkeit als Erkrankung, Karies, Lungenkrebs, bestimmt Allergien, der durch Vorsorgeuntersuchungen weitgehend vermeidbare Darmkrebs, Herz- und Gefäßkrankheiten sowie die Gicht.

Die obige Aufzählung von Zivilisationskrankheiten legt nahe, dass die Kosten für Gesundheitsdienstleistungen erheblich von den Patienten selbst durch eine gesündere Lebensführung gesenkt werden können – wobei: Der Einfluss des Einzelnen auf seine persönlichen Risikofaktoren ist zwar wirksam, aber dennoch beschränkt, denkt man etwa an Umwelteinflüsse.

Kosten des Gesundheitssystems

Wie das Statistische Bundes­amt (Destatis) zum Weltgesundheitstag am 7. April 2021 mitteilte, lagen die Gesundheitsausgaben in Deutschland im Jahr 2019 bei 410,8 Milliarden Euro, das sind pro Einwohner 4 944 Euro – und damit grob um die Hälfte mehr als der EU-Durchschnitt, der jedoch in etwa das gleiche Versorgungsniveau wie in Deutschland bietet.

Doch was sind die Kostentreiber in der deutschen Gesundheitsversorgung? Die Ursachen liegen einerseits im System selbst, das durch den leichten Zugang zu ärztlichen Leistungen und deren hohe Inanspruchnahme unnötigen Aufwand provoziert und beispielsweise Doppeluntersuchungen führt. Auch die Digitalisierung ist noch zu gering ausgeprägt. Außerdem leistet sich Deutschland deutlich mehr Krankenhausbetten als andere Länder und belegt diese zudem länger.

Eine Rolle spielt auch der medizintechnische Fortschritt, der zu immer teureren Medikamenten und preisintensiverer Apparatetechnik führt. Man braucht nur nach "Medizintechnik Krankenhaus" zu googeln um zu erkennen, dass an die Ausstattung in Krankenhäusern, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen ganz besondere Anforderungen gestellt werden, die nicht gerade billige Preise mit sich bringen. Ein weiterer Punkt sind Wegwerf-Instrumente im OP-Bereich: Eine Einmal-Schere ist um ein Mehrfaches preiswerter zu haben als eine mehrfach nutzbare, die zudem das Problem der Sterilisation mitbringt.

Deutlicher als bisher könnte zudem die Entwicklung der Personalkosten durchschlagen. Als größte Kostenposition gilt der Krankenhaussektor, gefolgt von der ambulanten versorgung und den Ausgaben für Medikamente. Obgleich das deutsche Gesundheitssystem insgesamt bereits teuer ist, könnte bis 2040 eine weitere Kostenexplosion ins Haus stehen, warnte das Handelsblatt im September 2021.

Finanzierung der Gesundheitsleistungen

Finanziert wird das deutsche Gesundheitssystem aus einer ganzen Reihen von Quellen. Den Hauptposten stellen die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung dar, gefolgt von den Arbeitnehmern, die, wenn gesetzlich versichert, seit 2019 vom Versicherungsentlastungsgesetz profitieren, wonach auch die Zusatzbeiträge der gesetzlichen Krankenkassen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern hälftig zu teilen sind.

Der Topf wird zudem etwa mit den Zahlungen von Privatpersonen für die ambulante und die stationäre Pflege sowie mit den Zahlungen für kurz IGeL genannte Individuelle Gesundheitsleistungen und jenen von Krankenzusatzversicherungen gefüllt Außerdem schießt Vater Staat zu, beispielsweise mit den Beihilfen der öffentliche Arbeitgeber und dem Bundeszuschuss für den Gesundheitsfonds. Das hat ein G’schmäckle, werden dafür doch auch die Steuerzahlungen jener verwendet, die privat krankenversichert sind und ihre Kosten ohne jeden Zuschuss vollständig selbst tragen.

Für Krankenhäuser des Kassensystems gilt: Die Behandlungskosten und die Betriebskosten der Krankenhäuser werden letztendlich von den Krankenkassen finanziert, die Investitionskosten hingegen tragen die Bundesländer.

Aufbau des deutschen Gesundheitssystems

Das Gesundheitssystem gliedert sich grundlegend in den ambulanten und den stationären Bereich. Ambulante Gesundheitsdienstleistungen werden von niedergelassenen Ärzten erbracht, die eine eigene Praxis betreiben. Hinzu kommen Fachambulanzen an den Krankenhäusern und Medizinische Versorgungszentren (MVZ), in denen Synergieeffekte zur Kostendämpfung führen sollen. Portalpraxen hingegen sollen die medizinische Versorgung in Regionen sicherstellen, in denen es generell zu wenig Ärzte – meist Fachärzte – gibt; sie werden als eine Art Außenstelle von größeren Einrichtungen besetzt.

Der stationäre Bereich ist durch die Krankenhäuser – darunter Allgemeinkrankenhäuser, Fachkrankenhäuser, Akutkrankenhäuser, Universitätskliniken, Belegkrankenhäuser, Praxiskliniken sowie Tagesklinken und Nachtklniken – sowie die Fachkliniken und Rehabilitätskliniken geprägt.

Für die Krankenhäuser existieren drei unterschiedliche Formen von Krankenhausträgern, nämlich die öffentlichen Krankhausträger, deren Träger etwa Städte oder Landkreise sind, die gemeinnützigen beziehungsweise konfessionellen Krankenhausträger und die privaten Krankenhausträger. Öffentliche Träger betreiben ihre Krankenhäuser – wie etwa die Städtisches Klinikum Görlitz gGmbH – inzwischen meist in privatrechtlicher Rechtsform. Das entkoppelt von den Haushalten, sorgt für stärkere unternehmerische Transparenz und mehr Gestaltungsmöglichkeiten in Tariffragen. Zunehmend wird erkannt, dass Krankenhäuser Dienstleister in Sachen Gesundheit sind und dabei Wirtschaftlichkeit und Ethik unter einen Hut bringen müssen.

Wie Krankenhäuser funktionieren

Klassisch sind Krankenhäuser in Form der sogenannten triadischen Versäulung mit einer Geschäftsleitung organisiert, in der die kaufmännische Verwaltungsleitung, die ärztliche Leitung und die Pflegedienstleitung zusammenarbeiten – sollen. Krankenhäuser gehören zwar zu den komplexesten Organisationen, die die Menschheit hervorgebracht hat, andererseits wird die nötige Organisationsentwicklung und Mitarbeiterführung oftmals vernachlässigt, worunter die Zusammenarbeit dann eben leidet.

Negative Folge sind umständliche Kommunikationswege mit entsprechenden Fehlern und Verlusten, wenn etwa – wie als Unternehmensberater außerhalb Sachsens erlebt – die Leiter beziehungsweise Direktoren der drei Bereiche grundsätzlich nicht miteinander sprechen. Ebenso kommt es zu Verteilungskämpfen bei Budgets und zum Dienst nach Vorschrift, im schlimmsten Fall zu provozierten Fehlern, um anderen Bereichen zu schaden. Auch die eingeführten Qualitätsmanagementsysteme haben daran kaum etwas geändert, wenn sie nicht als Chance zur Organisationsentwicklung begriffen wurden.

Natürlich sind diese Kritikpunkte nicht zwangsläufig typisch für die Krankenhauslandschaft, jedoch gehen vor diesem Hintergrund modern geführte Klinika zu prozessorientierten Organisationsstrukturen über, bei denen der Aufwand besser an die Bedürfnisse der Patienten angepasst ist. So werden neben den üblichen Normalstationen solche eingerichtet, in denen Patienten untergebracht werden, die kaum Pflegebedarf haben, und zusätzlich zur Intensivstation entstehen Überwachungsstationen für die intensivmedizinische Überwachung von Patienten, die weitgehend ohne intensivmedizinische Betreuung auskommen.

Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen

Das deutsche Gesundheitssystem lädt regelrecht dazu ein: Breite Kreise haben sich angewöhnt, beim kleinsten Zipperlein einen Arzt aufzusuchen. Das kann im Sinne der Früherkennung durchaus richtig sein, dient aber oft genug nur dem Sozialkontakt und der Aussicht auf eine Krankschreibung – sechs Wochen Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber sind eine attraktive Leistung. In Regionen wie Görlitz trägt das dazu bei, dass niedergelassene Ärzte kaum noch neue Patienten aufnehmen oder nur mit monatelanger Vorlaufzeit.

Die Ursachen für die Ärzteknappheit vor allem in der Provinz sind vielfältig: Sie reichen vom sinkenden Punktwert bei der Abrechnung an die gesetzlichen Krankenversicherungen, wodurch Leistungen umso schlechter bezahlt werden, je mehr Patienten behandelt werden, bis hin zu modernen Work-Life-Balance-Ansprüchen, die dadurch noch verstärkt werden: Warum für wenig Geld arbeiten, wenn man stattdessen Freizeit haben kann?

Wie in vielen Lebens- und Wirtschaftsbereichen gibt es in der medizinischen Versorgung zudem einen grundlegenden Paradigmenwechsel, den viele allerdings nicht wahrhaben möchten: Während früher die Kunst der Ärzte durch das vorhandene Wissen und den Stand der Medizintechnik begrenzt war, liegt die Begrenzung heute zunehmend in den Kosten – man könnte mehr tun, aber der Aufwand – etwa bei der Entwicklung neuer Medikamente – wird immer teurer bis hin zur im Grunde Unbezahlbarkeit.

Hinzu kommen, wie die Corona-Pandemie zeigt, Kapazitätsgrenzen beim Personal und bei den verfügbaren Betten. Obgleich Deutschland pro Kopf über überdurchschnittlich viele Betten auf Normal- und Intensivstationen verfügt, reichen diese wie in Sachsen nicht aus oder können wegen des Personalmangels nicht genutzt werden.

Ein Lösungsansatz ist eine Lebensweise, die sich stärker als bisher an der Gesunderhaltung orientiert. Aber das ist ein anderes Thema, das wird ein andermal behandelt.

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  • Quelle: Thomas Beier | Foto: Westfalen/Deutschland / KarinKarin, Pixabay License
  • Erstellt am 06.01.2022 - 10:27Uhr | Zuletzt geändert am 06.01.2022 - 13:08Uhr
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