Vorratshaltung ja, Hamstern nein
Görlitz, 19. März 2022. Von Tina Beier. Solche Bilder hat wohl jeder noch im Hinterkopf: Zu Beginn der Corona-Pandemie vor zwei Jahren haben sich viele als Erstes mit Toilettenpapier und Butter eingedeckt. In Frankreich hingegen war angeblich zuerst der Rotwein ausverkauft und außerdem alles, was das Leben im Lockdown zu Hause gemütlich macht.
Leere Regale müssen nicht sein, doch die Verknappungsspirale dreht sich bereits
Mit dem Ukraine-Krieg ist es nun erneut zu leeren Regalen bei Discountern und in Supermärkten gekommen. Sicher gehört zu den Ursachen, dass Lieferungen aus Richtung Osten nun ausbleiben, was etwa zur Knappheit bei Sonnenblumenöl führt. Die andere Seite: Droht etwas knapp zu werden, wird es auch von Leuten gekauft, die das sonst gar nicht machen würden – die Verknappungsspirale beginnt sich zu drehen.
Bei manchen Produkten rätselt der Verbraucher, ob es einen Zusammenhang zum Krieg gibt: Beliebte preiswerte Marken, etwa Katzenstreu im Supermarkt oder Katzenfutter in einem Baumarkt, sind auf einmal ständig vergriffen. Es ist schwer vorstellbar, dass stets ausbleibende Lieferungen aus der Ukraine die Ursache sind.
Aber immer wieder ist jeder sich selbst der Nächste: Entgegen jedweder Gewohnheit und konkreten Bedarfs werden viele Heizöltanks gerade jetzt aufgefüllt, aus Sorge, die Preise könnten noch mehr ansteigen oder Heizöl wirklich knapp wird. Im Ergebnis sind die Heizöl- und Dieselpreise tatsächlich überproportional gestiegen. Überhaupt wird nicht nur am Rande Sachsens wieder gern in Tschechien oder in Polen getankt mit der Folge, dass die ersten Tankstellen in Deutschland schließen müssen und der Sprit hinter der Grenze teils rationiert wird.
Wie Verbraucher reagieren können
Die Zeiten ändern sich wieder einmal und zwar so massiv, wie es kaum jemand erwartet hat. Im Kampf gegen den Klimawandel sind Themen wie geringerer Ressourcenverbrauch und höhere Nachhaltigkeit in den Vordergrund gerückt und nun wirkt der Krieg wie ein Beschleuniger, weil die Abhängigkeit von Energieträgern aus Russland gesenkt werden soll.Schon seit Beginn der Corona-Pandemie hat, wer konnte, sich ins Häusliche zurückgezogen. Schon mehrfach hat der Görlitzer Anzeiger den Trend zum Cocooning, zum bildlich gesehen sich Einspinnen im Privaten, aufgegriffen. Was zunächst vor allem als erfüllende Beschäftigung im Lockdown, zu der man Haus oder Grundstück nicht verlassen musste, gedacht war, kann nun dazu beitragen, Kostensteigerungen abzufangen und dank stärkerer Selbstversorgung unabhängiger vom Handel und eventuellen Besorgungsfahrten zu werden.
Wohl dem, der einen eigenen Garten hat und bereits mit der Anzucht im Haus beginnen konnte. Bereits jetzt sollten Paprika, Chili und Tomaten wachsen. Salat kann auch im Haus auf der Fensterbank ausgesät und im Winter geerntet werden. Für eine Gärtnerseele bedeutet das viel Freude. Wie aufrecht die kleinen Pflanzen wachsen… Dieses immer wieder neu entstehende Leben macht Mut in dieser Zeit. “Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch einen Apfelbäumchen pflanzen” – ein Spruch, der Martin Luther zugeschrieben wird, tatsächlich jedoch erst im Oktober 1944 – mitten im “totalen Krieg” der Nazis – in Hessen erstmals belegt ist.
Auf die Qualität der Zeit achten
In Zeiten der Krise gewinnt die Qualität von Zeit, vor allem die gemeinsame Zeit mit der Familie und mit Freunden, wieder an Bedeutung. Das hat schon die Corona-Pandemie gezeigt und noch immer ist gemeinsame und unbeschwerte Zeit mit anderen keine Selbstverständlichkeit und wird es wohl auf Sicht nicht sein.Deshalb ist es umso wertvoller, wenn man sich treffen und beieinander sitzen kann – und sei es nur im kleinen Kreis. Ein Highlight etwa ist ein gemeinsames Essen, ganz im Sinne des Starkochs Jamie Oliver, der sein Buch "Together – alle an einem Tisch" mit einem schönen Vorwort darüber versehen hat, wie wertvoll die Zeit ist, die man mit seinen Lieben verbringen kann. Die Wertschätzung für diese Zeit ist heute wohl so hoch wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr.
Alte Rezepte
In Görlitz ist man so tief im Osten Deutschlands, dass es tiefer kaum geht, sieht man einmal vom östlichsten Punkt Deutschlands nördlich der Neißestadt ab. Wer “aus dem Westen” zuzieht – hier für eine art Bewährungszeit “Neugörlitzer” genannt – erlebt mit einigem Erstaunen die übergroße Wertschätzung für “DDR”-Rezepte. Doch es dauert nicht lange und diese Wertschätzung springt über: Man staunt, was sich in der Küche mit manchmal sehr einfachen Zutaten alles zaubern lässt. Heute ist das ja wieder topmodern, mit Lebensmitteln in ihrem Urzustand, ohne jede industrielle Vorverarbeitung, zu kochen, die Lebensmittel haltbar zu machen oder Leckereien herzustellen.Wer etwa fermentiert, einweckt, sein Brot aus gutem Mehl selbst backt, Wurst selbst macht, Käse und Fleisch räuchert, schätzt gute selbstgemachte Lebensmittel und betreibt in gewisser Weise von jeher eine Vorratswirtschaft, die Hamstertouren im Supermarkt unnötig macht. Das wäre übrigens auch unvernünftig, weil die Lieferketten auf konstanten Nachschub optimiert sind, aber genau deshalb gar nicht die Kapazität besteht, unerwartet leere Regale schnell wieder aufzufüllen. So entsteht der Eindruck von Warenknappheit, der sich nur schwer aus der Welt schaffen lässt, wenn viele meinen, gerade jetzt eh schon knappe Waren kaufen zu müssen.
Bewährt-begehrt: Eierlikör
Da ist es besser, auf das zurückzugreifen, was schon im Haus ist. Steht etwa ein Treffen mit guten Freunden bevor, macht schon die Vorbereitung viel Spaß, wenn man sich die zeit dafür nimmt und sich gern in seiner Küche austobt. In der “DDR” war ja wohl der akzisefreie Bergarbeiterschnaps in den Revieren sehr verbreitet und wurde, da sehr preiswert, für alles Mögliche genutzt, etwa als Gefrierschutzmittel für die Scheibenwaschanlage des Autos oder für eine schwungvolle Likörproduktion.Einer der noch immer beliebten Klassiker aus dieser Zeit ist Eierlikör. Warum wohl? “Wer Sorgen hat, hat auch Likör!”, wusste schon die Fromme Helene bei Wilhelm Busch, hier in einer Aufnahme mit Willi Schwabe, bekannt aus der "DDR"-Fernsehserie "Die Rumpelkammer", zum nebenher Anhören beim Wirtschaften in der Küche.
Wohlan! Für eine Flasche Eierlikör – diesmal mit Rum – benötigt man 24 Eigelb und anderthalb Pfund Puderzucker. Das wird lecker! Aber was macht man mit den verbliebenen 24 Eiweiß? Google sollte Rat wissen, doch im Web findet man zwar Rezepte für Low Carb Wolkenbrötchen, aber wirklich viel Eiweiß braucht man dafür nicht. Wie also kann man es verwerten?
Not macht erfinderisch – doch es geht schief
Man könnte mit dem übriggebliebenen Eiweiß einen Kuchen backen. Gesagt, getan: Tatsächlich wird die Masse steif, aber sie muss schnell verarbeitet werden. Doch ebenso schnell ist man abgelenkt, das Telefon klingelt, der Postbote kommt, der Hund muss gefüttert werden und, ach ja, die Wäsche muss ja auch noch auf die Leine! Und schon hat man verloren: Der Eischnee ist in sich zusammengesackt, ein Kuchen wird das nimmer. Doch aus Erfahrungen lernt man am besten, dieser Fehler kommt bestimmt nie wieder vor.Schokolade, die Rettung!
Diesmal aber gilt es, auf Nummer sicher zugehen, nun soll es ein Schokoladenkuchen werden! Schokolade macht ja bekanntermaßen glücklich und in Kombination mit dem Eierlikör kann das ja nur ein großer Erfolg werden. Allerdings gibt es einen Trick, der die Gäste jeden Gedanken an Kalorien vergessen lässt, schließlich will man ja mit gutem Gewissen genießen.Also, worum geht es? Man nehme neben Schokolade und Mehl auch eine spezielle Gewürzmischung für Schokokuchen mit besonderes gutem Geschmack und auch noch Buttermilch hinzu, damit der Kuchen so richtig aromatisch, saftig und fluffig wird. Falls von der Eierlikörproduktion noch etwas Rum übrig ist und das für die Gäste in Ordnung ist: Hinein damit in den Schokokuchenteig! Auch Espresso verhilft dem Schokoladenkuchen zu einer noch größeren Aromenvielfalt.
Ich habe ein gutes Gewissen – und jetzt ist mein Mann dran
Nach einer solchen Backaktion und insbesondere nach dem Versuch der Eiweißverwertung sieht die Küche allerdings nicht mehr so aus wie vorher. Jetzt bloß nicht die gute Laune verlieren! Also die Tür von außen zugemacht, Rückzug aufs gemütliche Sofa und den Eierlikör, in geneigten Fachkreisen auch als Beierlikör bekannt, noch einmal einer genussvollen Qualitätskontrolle unterzogen.Wertvolle Lebensmittel gut zu verwerten, das kann doch nichts Schlechtes sein – und mit der Zeit klappt es immer besser. Das gibt ein gutes Gefühl! Bleibt noch die Küche, die aussieht wie nach einem Explosionsunfall. Aber wozu ist man verheiratet? Und Schokokuchen samst Eierlikör muss man sich verdienen, wenn man nicht gerade als Gast bewirtet wird.
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- Quelle: Tina Beier | Foto Regal: Deutsch / KSPICHALE, Pixabay License; Foto Eier: stevepb / Steve Buissinne, Pixabay License
- Erstellt am 19.03.2022 - 06:02Uhr | Zuletzt geändert am 19.03.2022 - 07:11Uhr
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