Zum Tag der Deutschen Einheit 2016

Görlitz, 3. Oktober 2016. Von Thomas Beier. Die Westfälischen Nachrichten schrieben in ihrer Erstausgabe vom 3. August 1946 In Bezug auf das deutsche Volk: "Wie würde es sein Schicksal bestehen, wie wieder zu lebendiger Einheit erstarken können, wenn es nicht mehr Willen und Kraft genug hätte, Heimatlosgewordenen auf deutschem Boden neue Heimat zu schaffen?" Der Beitrag stand unter dem Titel "Heimat für unsere Flüchtlinge / Sie haben alles verloren – Wir wollen helfen". Und auf der Titelseite ein Artikel zur von den Amerikanern initiierten wirtschaftlichen Vereinigung Ihrer Besatzungszone mit der britischen; die Briten stimmten damals uneingeschränkt zu. Auch die Franzosen äußersten sich, allerdings zurückhaltend, und die Sowjetunion, die befürchtete, Deutschland würde dadurch getrennt gehalten werden und die politische Einheit vermisste.
Abbildung: Der Himmel über Berlin, gesehen aus der Kuppel des Reichstagsgebäudes.

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Deutschland hat viel erreicht – und es gibt immer wieder viel zu tun

Reichlich 70 Jahre ist das her. Heute stehen wir wieder vor der Aufgabe, Flüchtlinge aufzunehmen. Für Humanisten und Vertreter christlich-jüdischer Grundwerte ist es dabei egal, woher sie kommen, für national-konservative Kräfte eher nicht. Wenn wir heute die wiedererlangte Deutsche Einheit feiern, dann sollten wir nicht nur dem glücklichen Ausgang der Friedlichen Revolution und der damit möglich gewordenen politischen und wirtschaftlichen Vereinigung der beiden deutschen Staatsgebilde gedenken, sondern auch der Vorgeschichte der Trennung.

Die beginnt 1933 mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, die als rechtsnationale Rattenfänger das Land mit ihrer Ideologie gleichschalteten und so den Boden für Angriffskriege bereiteten, mit denen – neben der Bedienung des Größenwahns – die eigenen wirtschaftlichen Probleme gelöst werden sollten. Die entgegen allen Mythen zwangsläufige Niederlage im Kampf der Achsenmächte gegen den Rest der Welt führte zur Zerschlagung des Großdeutschen Reichs, Deutschland wurde im Osten als Pufferzone zur Sowjetunion unter polnische Verwaltung gestellt und Mittel- und Westdeutschland in Besatzungszonen und damit Einflusssphären aufgeteilt. Ein Status, der als Ergebnis der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen erst mit der Wiedervereinigung endgültig in die Geschichtsbücher verbannt wurde.

Daran sollte denken, wer heute wieder Stichworte wie "Heimat" und "Patriotismus" hervorhebt – Begriffe, deren Bedeutung sich im langen Prozess des europäischen Zusammenwachsens längst gewandelt hat. Heimat ist nicht mehr Heimatland im Europa der Regionen, sondern eben heimatliche Verbundenheit mit Sprache, Traditionen und vielleicht typischen Verhaltensweisen der Region, in der man aufgewachsen ist oder sich verortet hat. Patriotismus kann hingegen nicht mehr im Sinne der "leidigen Vaterländerei" (Einstein), sondern nur noch als Einstehen für Europa, als Verbundenheit mit dem europäischen Einigungsprozess gedeutet werden.

Mit Patriotismus auf Wählerfang und hin zu "globalen Aufgaben"

Doch das Fußball-"Sommermärchen" zur Fußball-WM von 2006 im Rausch der deutschen Trikolore hat sich wie befürchtet als Vorbote des Wiedererstarkens der nationalen Gefühle und der damit einhergehend national-konservativen Einstellungen erwiesen.

Das hat nun auch die Sachsen-CDU, die sich selbst gern die "Sächsische Union" nennt, in ihrem neuen "Aufruf zur einer Leit- und Rahmenkultur" aufgegriffen und damit ihrer panischen Angst vor dem Wählerzulauf zu den AfD-Populisten Ausdruck verliehen. Ausdrücklich wird hier als "Fundament unseres Zusammenlebens" der "Aufbau starker nationaler und regionaler Idenditäten" genannt, als Rückhalt für "globale Aufgaben", "Heimat" und "Patriotismus" seien "Kraftquelle" – da erhebt sich die Frage, worauf mit den globalen Aufgaben angespielt wird. Weiter: Einesteil wird das Bekenntnis zu jüdisch-christlichen Werten gefordert, andererseits die Trennung von Staat und Religion – die Staatsfinanzierung der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland scheint ausgeblendet. Nationalfarben und Nationalhymne werden in ihrer Bedeutung unterstrichen.

Mit diesem Rechtsausschlag in Richtung CSU mutiert diese Volkspartei, nachdem sie zunehmend auch soziale und grüne Themen besetzt und ihr liberales Korrektiv FDP fallen gelassen hatte, vollends zum Anspruch, eine eierlegende Wollmilchsau zu sein. Wo das hinführt weiß jeder, der ein wenig von Zielgruppen versteht. Anstelle solcher Panikreaktionen und dem Bestreben, sich im Grunde einander ausschließende Wählergruppen zu ködern, sollte sich die CDU ehrlich dem Wandel in Gesellschaft und Arbeitswelt stellen – Themen, bei denen der rechte Rand gar nicht befähigt ist, mitzureden.

Die SPD und vor allem die Linkspartei hingegen vermögen den Wandel auch nicht so richtig zu gestalten, sind sie doch von der Idee der sozialen Gerechtigkeit so vernebelt, dass sie allein der sozialen Umverteilung von den "Reichen" zu den "Armen" huldigen – mit fatalen Folgen: Den "Reichen" macht es keinen Spaß mehr, "reich" zu werden (und Leute dafür arbeiten zu lassen), und die Armen verlieren jede Motivation, eigenverantwortlich zu handeln und stellen immer nur neue Forderungen an Staat, Arbeitsamt und Jobcenter zu Lasten der Allgemeinheit.

Aufgaben für die Arbeitswelt

Intelligente Politik sieht anders aus. Wie wäre es, die Versteuerung hoher Einkommen weniger für direkte Sozialausgaben zu verwenden, sondern noch viel mehr zur generellen Verbilligung von Lohnkosten zugunsten von Niedriglohnempfängern? Dann wäre einerseits sogar die Anhebung des Mindestlohns aus Unternehmersicht tragbar, andererseits würden die Beschäftigten merken, dass sich Arbeit lohnt. Zugleich könnten daraus auch Arbeitsplätze, insbesondere voll sozialversicherungspflichtige, bei Klein- und Kleinstunternehmen gefördert werden, zu klaren Rahmenbedingungen und ohne bürokratischen Aufwand. Aktuell ist es doch so, dass es gerade für Kleinstunternehmen besonders schwierig ist, Arbeitsplätze zu schaffen. Vollzeitarbeitsplätze sind in diesem Bereich oft nur schwer finanzierbar, inzwischen sind selbst https://www.minijob-zentrale.de/DE/0_Home/01_mj_im_gewerblichen_bereich/04_450_euro_minijob/04_pauschalabgaben/node.html“ target=“_blank“>Minijobs kompliziert geregelt.

Ziel muss es sein, ein Lohnniveau zu erreichen, das den Arbeitnehmer in seiner Lebenshaltung über die Runden kommen lässt, andererseits dem Unternehmer ermöglicht, den Arbeitsplatz überhaupt erst zu schaffen. Weiter gedacht kann durch solch eine Form der Umverteilung auch Arbeit finanziert werden, die sich zwar marktwirtschaftlich nicht rechnet, den Beschäftigten jedoch Sinnerfüllung, sozialen Status und nicht zuletzt einen strukturierten Tagesablauf gibt. Auf diese Weise subventionierte Arbeitsplätze sind allemal besser, als das Prekariat sich selbst (von „Maßnahmen“, bei denen der Beschäftigte doch nur im eigenen Milieu bleibt, unterbrochen) zu überlassen. Erst der, dem damit die Teilhabe an Gesellschaft und Arbeitswelt ermöglicht wird, wird in die Lage versetzt, die Chancen des Arbeitsmarktes tatsächlich zu nutzen.

Die Deutsche Einheit ist gelungen

Im Grunde aber ist die Deutsche Einheit vollzogen. Das ist um so bemerkenswerter, weil ein echter Tranformationsprozess aus sich selbst heraus im Beitrittgebiet nicht stattgefunden hat. Das neue Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsystem wurde überstülpt, der Anpassungsprozess innerhalb kurzer Zeit erzwungen. Ober es andere Wege gegeben hätte, steht in den Sternen.

Die Sicht auf den Stand der Deutschen Einheit ist nicht, wie oft behauptet, eine Frage des Lebensalters („Für die Jüngeren spielt das keine Rolle mehr!“), sondern der gegenseitigen Erfahrungen im deutsch-deutschen Verhältnis. Da ist dem westdeutschen Rentner, der noch nie im Osten war, ebenso wenig zu helfen wie dem jungen Ostdeutschen, der Vorurteile von seinen Eltern übernommen hat und selbst in einer geschlossenen Welt gegenseitiger Bestätigung von Vorurteilen lebt.

Genau so wie Nord in der Relation zu Süd haben Ost und West ihre Vorzüge und ihre Nachholpotenziale. Zu wünschen ist, Deutschland selbst viel stärker als Land der Regionen zu sehen und den Solidaritätsbeitrag dorthin zu lenken, wo das Geld wirklich gebraucht und wirkungsvoll eingesetzt wird.

Die Ostdeutschen sind gut beraten, von weinerlicher Nabelschau, die gern Lohnniveau und Renten vergleicht, abzusehen – ostdeutsche Regionen wie die Oberlausitz können mit schönen Städten, sanierter und intakter Natur und einer hohen Kulturdichte punkten. Auch das ist ein Stück Lebensqualität dank Wiedervereinigung.

Ergebnis: Ist die Deutsche Einheit gelungen?

eher ja (68.6%)
 
eher nein (31.4%)
 
Nichtrepräsentative Umfrage
Umfrage seit dem 03.10.2016
Teilnahme: 35 Stimmen
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  • Quelle: Thomas Beier | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 03.10.2016 - 09:27Uhr | Zuletzt geändert am 03.10.2016 - 10:01Uhr
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