Zu Besuch: Parlamentarier hinter Gittern
Görlitz, 3. Februar 2016. Von Andreas Herrmann. Der SPD-Landtagsabgeordnete Harald Baumann-Hasske will wissen, worum es in der Strafvollzugsanstalt Görlitz geht. Was er findet ist Personalmangel.
In Görlitz sind fast die Hälfte der Insassen ausländische Straftäter
Wenn der SPD-Politiker Harald Baumann-Hasske das Wort Personalmangel hört, assoziiert er damit nicht nur Polizei und Lehrer, sondern auch Strafvollzugbedienstete.  Seitdem der Rechtsanwalt und  Sprecher für Justizpolitik der SPD-Landtagsfraktion auf einer "Gefängnistour" durch die sächsischen Lande zieht, hat er  dieses ungenannte Problem vor Augen. Es besteht sachsenweit und in Görlitz nicht anders als in Leipzig oder Regis-Breitingen.  
Allerdings: Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Görlitz, die er letzte Woche besuchte,  ist in Sachsen neben Zwickau die kleinste und weist noch dazu Besonderheiten auf.  Fast die Hälfte sind hier ausländische Straftäter, darunter viele aus Afghanistan, Marokko und Tunesien. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal und es  wird zunehmen, ist sich Anstaltsleiter Frank Hiekel sicher. Damit steige auch der Aufwand, erfährt Baumann-Hasske. Ausländische Straftäter brauchen Dolmetscher, zusätzliche Telefonate, Begleitung. 
Klar, als Politiker fragt er nach Deutschkursen für Ausländer. Damit aber hat die JVA Görlitz zwei Probleme. Erstens eines mit geeigneten Räumen und zweitens ein zeitliches. Solche Kurse werden vom Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert und müssen mindestens drei Monate dauern. Geht ein Sprachschüler vorher weg, sind die Förderkriterien nicht erfüllt und unter Umständen muss dann zurückgezahlt werden. Der Resozialisierungsgedanke könne  in Görlitz angesichts der Kürze der Freiheitsstrafen ohnehin nicht im Vordergrund stehen, bemerkt Hiekel.
Personalmangel schafft Probleme mit  Ausfallzeiten der Bediensteten und fördert auf der anderen Seite auch wieder die Kollegialität.  "Wenn der Kollege nebenan wegen der Krankheit eines anderen Extra-Schichten schieben muss,  ist das nicht gut. Aber man überlegt untereinander schon, ob man  sich dann unbedingt beim Arzt einen Schein holt", sagt der Gefängnisdirektor. 
Zu erledigende Aufgaben gibt es viele in der JVA. Nicht nur Bewachung und Einschluss. Zum Beispiel ist da die Vorführung der Gefangenen zu Gerichtsterminen. In Bayern erledigt das die Polizei, in Sachsen sind die JVAs  zuständig.  Hiekel möchte den Personalmangel nicht auf dem Rücken der Gefangenen austragen, was  verkürzte Aufschlusszeiten für die Gefangenen, das heißt  Verlassen der Zellen und Freizeit auf dem Gang, bedeuten würde. Deshalb hat er den Häftlingen einer Abteilung gestattet, das selbst in die Hand zu nehmen. Bisher wurde sein Vertrauen bisher noch nicht enttäuscht - keine Gewalttaten oder Klauereien. Baumann-Hasske freut sich auch.
Görlitz besitzt als zweites Merkmal  Untersuchungshäftlinge und 40 Prozent Leute mit Ersatzfreiheitsstrafen, also solche, die ihre Geldstrafe wegen Trunkenheit am Steuer, mehrfachen Schwarzfahrens und anderer kleiner Delikte nicht bezahlen können oder wollen.  Kurze Strafen hätten aber auch den Vorteil, dass sich Subkulturen wie Hierarchien unter den Gefangenen kaum herausbilden können.  Für manche Leute verwendet Frank Hiekel auch ein eigentlich eher ungewöhnliches Wort: Die "Disozialität" vieler Insassen sei durchaus gegeben, sagt er.  Gemeint ist, dass viele die Rechtsprechung nicht ernst nehmen und sich auch mit Crystal die Gesundheit ruinieren. 
Tabletten mit ähnlicher Wirkung gebe  es in Polen in jeder Apotheke und auch Kräutermischungen ersetzen schon lange die verbotenen Drogen, erfährt der Politiker aus dem Dresdner Landtag.  Manchmal  kämen Strafgefangene, die sich kaum mehr auf den Beinen halten können.  In solchen Fällen entständen sogar Zweifel an der Haftfähigkeit und jede Menge Mehrarbeit für die Bediensteten. Doch auch mit ganz normalen Zivilisationskrankheiten hat man es im Görlitzer Strafvollzug zu tun. Von den vier Krebsfällen der letzten Jahre wurden drei als haftunfähig entlassen. Das sei angebracht, meint der Anstaltsleiter. Immerhin kämen in einem solchen Fall schnell Kosten von Zwanzig- bis Dreißigtausend Euro für die Haftanstalt zusammen. Gefängnisinsassen, auch solche in Untersuchungshaft, sind nicht krankenversichert. Ihre Kosten trägt das Sächsische Justizministerium. Darunter fallen auch Brille, Zähne und ähnliches. Viele der Leute mit Kurzzeitstrafe würden das auch nutzen, um sich medizinisch zu sanieren und verstünden es auch, ihre  Wünsche durchzusetzen. 
Besonders interessant auch: der Fernsehempfang. Welche Programme sehen Ausländer im deutschen Knast ? Bisher gibt es in Görlitz zwölf, aber viele Ausländer kennen ihr Recht auf Information auch hinter schwedischen Gardinen und fordern das mit Nachdruck ein. Mehr gelesen sollte werden, wünscht sich Hiekel.  Überzeugend so auch die Solidarität einiger Görlitzer Bürger. SPD-Stadtrat Michael Prochnow zum Beispiel gab eine Bücherspende mit polnischer Literatur ab.
Natürlich erkundigt sich Baumann-Hasske auch nach der Wirkung der neuen sächsischen Gesetze für den Strafvollzug. Das wirke ganz gut, so die Einschätzung des Anstaltsleiters, obwohl man natürlich mehr tun könne. Ein Gesetz besagt dabei sogar, das man durchaus auch freiwillig nach Verbüßung der Haftstrafe im Knast bleiben kann -  freilich als Freigänger nicht. 
Politisch lobt Anstaltsleiter Hiekel  die große Koalition in Sachsen, denn auch die lokalen Politiker Octavian Ursu von der CDU und Thomas Baum von der SPD sind beide im Anstaltsbeirat der JVA Görlitz aktiv.  Zwischen beiden herrsche ein sehr gutes Einvernehmen, sagt Hiekel. Also politisch eigentlich alles ganz ruhig im Görlitzer Knast.
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- Quelle: Text und Fotos: Andreas Hermann
 - Erstellt am 03.02.2016 - 01:13Uhr | Zuletzt geändert am 03.02.2016 - 08:12Uhr
 
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