Hertie geht – und niemand kommt?
Görlitz, 22. Mai 2009. Das Görlitzer Jugendstil-Kaufhaus, zuletzt unter dem Namen „Hertie“ bekannt, schließt im Sommer. Die Ursachen der Insolvenz sind vielfältig, die Folgen kaum abschätzbar. Ungefähr 50 Mitarbeitern droht die Arbeitslosigkeit.
Welche Perspektive bleibt für das traditionsreiche Görlitzer Kaufhaus?

Wenn ungünstige Umstände sich summieren, dann wird es für jedes Unternehmen schwer. Das mussten auch die aus dem Arcandor (ehemals KarstadtQuelle) Konzern ausgegliederten Warenhäuser erleiden. Sie waren im Jahr 2005 vom britischen Investor Dawnay Day übernommen und als „Hertie“-Warenhäuser weitergeführt worden.
Mitte 2008 wurden erhebliche finanzielle Probleme bei Dawnay Day bekannt, wonach der Investor die Hertie-Verluste nicht mehr auffangen konnte und die Warenhauskette am 31. Juli 2008 Insolvenz anmeldete. Als eine der Pleiteursachen werden überhöhte Mieten ins Gespräch gebracht, die der britische Finanzinvestor von seiner Tochter eingefordert habe.
Tatsächlich waren die Mieten bezogen auf dem Umsatz hoch, im absoluten Quadratmeterpreis hingegen vergleichweise aber günstig. Das ist ein Hinweis darauf, dass Hertie an Umsatzschwäche eingegangen ist. Eine vom Insolvenzverwalter geforderte Mietpreissenkung hätte zwar die aktuelle Schließung verhindern können, aber die Ursache des Problems vermutlich nicht beseitigt.
So gesehen reiht sich Hertie ein in das Sterben der klassischen Warenhäuser. Das Einkaufsverhalten der Verbraucher hat sich verändert: Wo es früher reichte, wenn Warenhäuser - immer im Kompromiss zwischen Sortimentsbreite und -tiefe - Waren feilboten, will der Kunde heute ein Einkaufserlebnis, das längst zum Freizeitvergnügen mutiert ist.
Mit den klassischen Ansätzen des Warenhaus-Managements wie ausgefeiltere Logistik, Kostenoptimierung oder Werbestrategien ist da kein Pfifferling mehr zu gewinnen. Gewinner sind hingegen die hochspezialisierten Filialisten sowie die Einkaufscenter und Malls, die oft genug auf die grüne Wiese gesetzt wurden und für eine zusätzliche Kundenabwanderung aus den Innenstädten sorgen.
Auch Hertie Görlitz kann unter den gegebenen Umständen so nicht überleben. Hinzu kommt: Das zwar beeindruckend schöne Jugendstilgebäude ist zwar ein Besuchermagnet, aber umsatzhinderlich. Das Verhältnis von Kubatur (umbautem Raum) zur Verkaufsfläche ist zu ungünstig. Schuld daran ist vor allem der von einer gläsernen Kuppel gekrönte Lichthof, der zwar einem Einkaufstempel alle Ehre macht, aber Fläche kostet.
Das Gebäude weiterhin merkantil zu nutzen, wird zur echten Herausforderung. Die naheliegende Flucht in eine hochpreisige einkaufscenterähnliche Shop-in-Shop-Lösung trifft auf ein Kaufkraftproblem. Preiswerte Anbieter werden das aus Denkmalschutzgründen rolltreppenfreie Gebäude scheuen.
So bleibt nur die Rückbesinnung auf alte Stärken: Um die vierzig Prozent soll in guten Zeiten der Umsatzanteil aus den Portemonnaies polnischer Bürger betragen haben. Wie wäre es also mit dem ersten wirklich deutsch-polnischen Kaufhaus, einer Einrichtung des Einzelhandels, wie sie der Europa-Doppelstadt Görlitz-Zgorzelec würdig ist?
Voraussetzungen wären komplett dreisprachiges (Englisch gehört als Europasprache selbstverständlich dazu) Personal, komplett dreisprachige Ausschilderung und ein deutsch-polnisches Warensortiment, das die gegenseitigen Bedürfnisse befriedigt. Bei der Mietersuche und Bewerbung des Projekt könnten sich die Wirtschaftsförderer beiderseits des Neißestrands so richtig austoben.
Eins muss jedoch auch klar sein: Die Rechnung wird nicht ohne den Wirt gemacht – gelingt ein Shop-Konzept, dann kann der Vermieter die Quadratmeterpreise anziehen.



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- Quelle: Quelle: /Fritz R. Stänker | Archivbilder: /BeierMedia.de | Erstveröffentlichung 22.05.2009 - 09:08 Uhr
- Erstellt am 23.05.2009 - 08:55Uhr | Zuletzt geändert am 24.04.2021 - 13:34Uhr
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