Hebesätze in Görlitz – Gespräche zwischen Allgemeinem Unternehmerverband und Görlitzer Stadtpolitik

Görlitz, 8. April 2017. Der Allgemeine Unternehmerverband Görlitz und Umgebung Gewerbeverein zu Görlitz 1830 e.V. (AUV Görlitz) macht sich nach wie vor für eine seit Jahren überfällige Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsstandort Görlitz stark.
Abbildung: Das Görlitzer Rathaus am Untermarkt. Lässt sich Wirtschaftsfreundlichkeit hier nicht nur an Worten, sondern auch an Taten messen? Der örtliche Unternehmerverband sieht Handlungsbedarf beim Hebesatz der Gewerbesteuer.

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Mehrheit im Görlitzer Stadtrat für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen in Görlitz

Die Wechselwirkungen sind offensichtlich: Unternehmenssicherung und Unternehmensansiedlung bringen Arbeitsplätze. Arbeitsplätze sind die Grundlage für Zuzug, insbesondere für Heimkehrer. Eine wachsende Unternehmenslandschaft und eine größere Arbeitsplatzanzahl bringen der Stadt höhere Steuereinnahmen und befördern Bevölkerungswachstum. Bevölkerungswachstum vermindert Wohnungsleerstand und sorgt für eine bessere und einnahmesteigernde Auslastung der öffentlichen Einrichtungen und des öffentlichen Personennahverkehrs.

Daher fordert der AUV seit Jahren, dass zumindest die weit überhöhte Gewerbesteuer, die in den Jahren des immensen strukturellen Defizits der Stadt heraufgesetzt wurde, auf den Kreisdurchschnitt herabgesetzt wird. Der AUV hat in den vergangenen Monaten sein Anliegen gegenüber allen Fraktions- bzw. Parteispitzen und dem Oberbürgermeister vorgebracht. Hierbei erinnerte er unter anderem daran, dass es Beschlusslage des Stadtrates aus dem Jahr 2012 ist, den weit über Durchschnitt liegenden Hebesatz der Gewerbesteuer (450 Prozent) auf den Landesdurchschnitt kreisangehöriger Städte zu senken. Dies wurde im Rahmen des Integrierten Stadtentwicklungs-Konzepts (kurz INSEK genannt) festgeschrieben, indem es als ein zentrales Handlungsfeld mit dem Ziel "Möglichst niedrige Steuersätze – langfristig Absenkung der Hebesätze auf Landesdurchschnitt kreisangehöriger Städte"“ aufgenommen wurde. Das INSEK selbst ist mit Fachgutachten untersetzt.

Die Forderung des AUV ging und geht dahin, den Hebesatz der Gewerbesteuer auf den regionalen Durchschnitt zu senken. "Es ist unser Ziel, die hiesige Wirtschaft zu stärken und bei Gewerbeansiedlungen nicht gegenüber dem konkurrierenden Umland weiterhin das Nachsehen zu haben. In der Region sind die Hebesätze eben in der Nähe des von uns geforderten Landkreisdurchschnittes. So weist Bautzen 400, Kodersdorf 400, Schöpstal 390 Punkte auf. Außerdem wollen wir deutlich machen, dass Wirtschaft in Görlitz willkommen ist", heißt es in einer Mitteilung des AUV vom 6. April 2017.

Während der Vorsitzende der Bürger für Görlitz (BfG) Dr. Michael Wieler, zugleich Bürgermeister der Stadt Görlitz, in einem Vorstellungsgespräch Ende 2016 als neuer Vorsitzender der BfG eine Senkung der Gewerbesteuer, anders als eine Senkung der Grundsteuer B, ablehnte, sah der Fraktionsvorstand der BfG (Dr. Rolf Weidle und Wolfgang Kück) in einer späteren Arbeitsrunde mit dem AUV eher eine sachliche und politische Verpflichtung hierzu. Jedoch vermochte er keinen Spielraum für eine Gegenfinanzierung oder gar ein Abstandnehmen von geplanten Investitionen (Brautwiesenbogen, Jugend- und sozio-kulturelles Zentrum, Jakob-Böhme-Projekt, Theaterinvestitionen, Stadthalle u.v.m.) zu sehen.

Die Fraktion die LINKE sah in dem Gespräch mit dem AUV-Vorstand ebenfalls einen Senkungsbedarf, zumal Landtagsmitglied Mirko Schultze betonte, dass es gerade die LINKE im Jahr 2007 war, die gegen eine Heraufsetzung des Hebesatzes Gewerbesteuer im Rahmen der Haushaltskonsolidierung gestimmt hatte, die LINKE sei nicht wirtschaftsfeindlich. Es bedürfe jedoch noch einer internen Beratung. Im Nachgang wurde seitens des Fraktionsvorsitzenden Thorsten Ahrens und Mirko Schultze in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung vom 9. Februar 2017 betont, dass die Stadt jedes Jahr Mehreinnahmen habe und diese Mehreinahmen im Haushalt 2017/18 als Rücklagen gebildet werden sollten. Für den nächsten Haushalt 2019/20 wäre zu entscheiden, ob diese zurückgestellten Mittel für andere Zwecke benötigt werden oder zur Gegenfinanzierung einer Steuersenkung eingesetzt werden könnten.

Die Fraktion Zur Sache!, FDP, SPD (Joachim Paulick, Frank Wittig und Renate Schwarze) positionierte sich im Gespräch mit dem AUV-Vorstand eindeutig für eine Senkung der Hebesätze im Bereich Gewerbesteuer und Grundsteuer B auf Landkreisdurchschnitt, sie sahen es als überfällig an.

Der CDU-Fraktions- und Parteivorstand (Dieter Gleisberg, MdL Octavian Ursu) erklärte nach einem konstruktiven Gespräch mit dem AUV-Vorstand in der Sächsischen Zeitung vom 30. Januar 2017, dass sie den Hebesatz der Gewerbesteuer schrittweise senken wolle und zwar mit Beginn des anstehenden Doppelhaushaltes 2017/18. Der Vorsitzende Octavian Ursu ließ sich davon überzeugen, dass es im Hinblick auf die weitaus bessere Finanzlage der Stadt ansteht, ein Zeichen für den Wirtschaftsstandort zu setzen und für diesen und insbesondere für Arbeitsplätze zu kämpfen. Nach Lesart unseres Verbandes heißt das, den Wirtschaftsstandort Görlitz konkurrenzfähig zu machen. Auch mit Blick auf die Standorte Bautzen und Kodersdorf sowie die polnische Sonderwirtschaftszone Kamienna Góra rund 30 Kilometer hinter der deutsch-polnischen Grenze, müsse sich eine "Willkommenskultur" für die Wirtschaft entwickeln.

Die GRÜNEN begrüßen laut ihrer Pressemitteilung (Ende 02/2017) ebenfalls eine Senkung der Gewerbesteuer auf ein vergleichbares sächsisches Niveau und betrachten den aktuellen Hebesatz von 450 Prozent als Standortnachteil. Sie erwarten eine positive Auswirkung in Form von Arbeitsplatzzuwachs und Sekundäreffekte, allerdings erst in fünf bis sechs Jahren. Seitens der Verwaltung forderten sie eine belastbare Darstellung der Einnahmen- Ausgabensituation, um etwaig erforderliche temporäre Einschnitte oder das Aufschieben von Projekten in der Übergangszeit verträglich gestalten zu können.

In einer vom Oberbürgermeister Siegfried Deinege einberufenen Gesprächsrunde am 23. März 2017 im kleinen Rathaussaal, an der Vertreter der Kreishandwerkerschaft, der Industrie- und Handelskammer Dresden, der Fraktionen CDU, BfG, der LINKE und ein Vertreter der FDP teilnahmen, stellte Siegfried Deinege einige der für den kommenden Doppelhaushalt maßgeblichen Eckdaten vor. Er vertrat die Ansicht, dass keinerlei Spielraum für eine Senkung der Gewerbesteuer bestünde. Die aktuellen Planungsansätze für den Doppelhaushalt gehen von einem Finanzbedarf von jährlich rund 100 Millionen Euro aus. Eines seiner wesentlichen Argumente war, dass eine Senkung zur Besserstellung von nur wenigen hiesigen Unternehmern führe, hauptsächlich aber Unternehmen begünstigen würde, die ihren Hauptsitz außerhalb der Stadt hätten. Zudem würden der Stadt bei einer Senkung auf 390 Punkte ca. zwei Millionen Euro jährlich entgehen. Der AUV vertrat die Ansicht, dass dies kein belastbares Argument sein könne, zumal es nicht um Personen oder um Unternehmen innerhalb oder außerhalb von Görlitz ginge, sondern um die Rahmenbedingungen des Wirtschaftsstandortes und um Erhalt und Vermehrung von Arbeitsplätzen. Stadtrat Kück (BfG) räumte für die Görlitzer Kommunalpolitik ein, dass die Wirtschaft in den letzten Jahren in der Stadtpolitik nicht im Focus gestanden habe. Er betonte jedoch, dass das künftige Haushaltskonzept zumindest einen namhaften Betrag für die Entwicklung oder den Erwerb von Ansiedlungsflächen aufweisen sollte.

Trotz der sowohl jährlich steigenden Steuereinnahmen, als auch höheren Aufgabenbelastungen innerhalb des Haushaltes, bleiben für den AUV Fragen nach der Verwendung unverhoffter Mehrmillionen aus der Gewerbsteuer im Haushalt 2015/2016. Unklar blieb aus Sicht der Unternehmerschaft auch, welche Eigenmittelbeträge für welches Projekt, in welcher Höhe, wann und aus welchem Topf genommen werden sollen. Insbesondere bleibt seitens des AUV die Frage, ob es nicht klüger wäre, Eigenmittel kostengünstig per Kreditaufnahme zu beschaffen, um die Liquidität und Reserven zu schonen.

Der AUV vertritt folgende Auffassung: Görlitz hat eine der geringsten Pro-Kopf-Verschuldungen einer Stadt in dieser Größe in Deutschland, ist kreditfähig und verfügt wieder über einen positiven Bevölkerungstrend. Eine Kreditierung einzelner geplanter Groß-Maßnahmen, soweit sie überhaupt notwendig wäre, hätte den Vorteil, den Zeitraum für die Beschaffung der Eigenmittel, aber auch deren Tilgung deutlich zu strecken. Sollten Mindereinnahmen aus der Gewerbesteuer bei einer Senkung entgegen der Einnahmenprogression zu deutlich ausfallen, könnten die in Aussicht genommenen städtebaulichen (freiwilligen) Maßnahmen dennoch umgesetzt werden.

In seiner Neujahrsansprache forderte Oberbürgermeister Deinege die Bürgerschaft auf, ein positives Standortkonzept von Bombardier und von der Politik einzufordern. Der AUV begrüßt diese Forderungen ausdrücklich. "Görlitz und der Stadtrat können jetzt ebenfalls ein Signal setzen, dass es Wirtschaft willkommen heißt. Eine Mehrheit im Stadtrat hat dies nun nach eigenen Verlautbarungen erkannt", endet die zitierte Mitteilung des Allgemeinen Unternehmerverbands Görlitz.

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  • Quelle: red
  • Erstellt am 08.04.2017 - 02:43Uhr | Zuletzt geändert am 08.04.2017 - 08:31Uhr
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