Kompetenz bei Bombardier Görlitz
Görlitz, 11. Februar 2017. Effizienzüberlegungen angesichts weltweiter Konkurrenz und technologische Möglichkeiten, wie sie beispielsweise als Industrie 4.0 zusammengefasst werden, machen auch um die ostsächsischen Produktionsstandorte von Bombardier keinen Bogen. Der Görlitzer Oberbürgermeister Siegfried Deinege, einst langjähriger Waggonbauer und bis zum Werkleiter aufgestiegen, engagiert sich persönlich für den Görlitzer Standort, an dem nach Angaben aus dem Rathaus Görlitz Aufträge kontinuierlich abgearbeitet werden.
Abbildung: Symbolfoto.
Verlieren oder gewinnen im Wandel – oder den Wandel gestalten?
Nachdem bekannt wurde, wie sich Bombardier an den einzelnen Standorten in Deutschland künftig ausrichten will, hat sich Oberbürgermeister Deinege mit Gewerkschaft und Betriebsrat an einen Tisch gesetzt.
Auslöser war, was die Frankfurter Allgemeine Zeitung aus dem Munde von Bombardier Transportation Deutschland Chef Michael Fohrer verkündete. Demnach sollen die Mitarbeiter des Zugherstellers bis Juli Klarheit über die Zukunft ihrer Standorte erhalten. Grob sieht das wohl so aus:
- In Bautzen läuft als industrieller Leitstandort die Serienfertigung. Der dortige Oberbürgermeister Alexander Ahrens zeigt sich solidarisch mit dem Werk in Görlitz.
- Das weltweite Produktionszentrum für Loks soll Kassel werden.
- Die Entwicklung der Loks hingegen übernimmt Mannheim.
- Braunschweig baut weiterhin Signal- und Steuerungstechnik.
- In Siegen werden Drehgestelle gefertigt.
- Görlitz schließlich, so Fohrer, soll sich auf Aluminium-Wagenkästen spezialisieren.
Dafür sieht der Ex-Waggonbauer und heutige Görlitzer Oberbürgermeister sehr gute Voraussetzungen: "Der Standort Görlitz hat in den Bereichen Wagenkasten und Doppelstockprodukte die absolute Kompetenz. Dank der Spitzentechnologien vor Ort ist das Görlitzer Werk zudem in allen Materialien firm. Das zeigt auch die Abarbeitung der laufenden Verträge."
Der Leichtbau mit Aluminium scheint nicht die schlechteste Option für Görlitz, hat er doch Zukunft: Das Leichtmetall bietet neue Potentiale zur Energieeinsparung, ist haltbar und recyclingfähig. Außerdem biete es jede Menge Potential für moderne Fertigungtechnologien. Interessiert wird die Entwicklung auch beobachtet von externen Konstruktionsbüros, die sich beispielsweise mit der Dauerschwingfestigkeit im Bahnverkehr beschäftigen, und Zulieferern.
Kommentar:
Die Sorge von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern um ihre Arbeitsplätze, wenn Umstrukturierungen anstehen, ist nur zu verständlich. Verständlich ist aber auch, dass sich ein Unternehmen zukunftsrobust aufstellen muss, solange es (noch) wirtschaftlich erfolgreich ist.
Unser Einkommens- und Sozialsystem basiert darauf, dass Menchen im arbeitsfähigen Alter einen Arbeitsplatz haben, mit dem sie ein Einkommen erwirtschaften, das für einen angemessenen Lebensstandard – wie auch immer man den definiert – ausreicht. Die Wurzeln dafür liegen in der Bismarck'schen Sozialgesetzgebung, als die Bevölkerung wuchs und mangels technischer Produktivität Arbeitskräfte gebraucht wurden, so etwa, wie es in der "DDR" bis zur Implosion der sozialistischen Idee war.
Die Zeiten haben sich geändert. Je nach Region erleben wir in Deutschland die ganze Bandbreite von Vollbeschäftigung bis hin zu extrem hoher Arbeitslosigkeit, die dazu führt, dass viele Menschen ihre Beschäftigungsfähigkeit verlieren. Klassische, einst als "sicher" empfundene Berufskarrieren funktionieren nicht mehr, regionale Arbeitsmärkte sind zusammengebrochen – oder wie soll man es nennen, wenn sich Stellenangebote im äußersten Ostsachsen, dort, wo es zuert in Deutschland finster wird, vor allem um Zeitarbeit, Reinigungskräfte, Mitarbeiter im Sicherheitsdienst auf 450-Euro-Basis und – das müssen die "Fachkräfte" sein – als Spitze der Qualifikationen um CNC Zerspaner drehen?
Der durch die Digitalisierung vorangetriebene Wandel der Arbeitswelt wird immer mehr Berufsbilder für die Wirtschaft wertlos machen. Das Prinzip, wonach der technische Fortschritt neue Berufsbilder und Arbeitsplätze mit sich bringt, hat ausgedient.
Die Sekretärinnen haben das als Erste erlebt, als mit dem Einzug von E-Mail und immer mehr datenbankgestützter Rationalisierung ein Großteil ihrer Arbeitsplätze obsolet wurde. Mittlerweile gibt es eine regelrechte Abschussliste von Berufen und ganzer Wertschöpfungsketten. Für Kraftfahrer, Bankangestellte, Mitarbeiter in der Produktion zum Beispiel wird die Zukunft unsicherer. Smartfone-Apps machen ganzen Branchen Konkurrenz, seien es Hotels, die Gastronomie, die Logistik oder der Personentransport und sogar kreative Berufe in der Entwicklung und in der Kunst. In der Wertschöpfung gilt: Was durch Software ersetzt wird, braucht auch keine Rohstoffe, muss nicht mehr produziert, transportiert, gelagert, verkauft, gewartet, repariert und entsorgt werden.
Eher als zumuftssicher gelten hingegen die Berufe, in denen es auf Menschenkenntnis, Führungqualitäten und Verhandlungsgeschick ankommt. Auch die Kindererziehung und die Pflege von Kranken und Alten werden immer einen hohen personellen Aufwand erfordern. Allerdings mit einem Nebeneffekt: Relativ gering qualifizierte Berufe werden aus relativ schlecht bezahlt.
Glaubt man unterschiedlichen Studien, so kann in den nächsten beiden Jahrzehnten in den entwickelten Industrieländern nahezu jeder zweite Arbeitsplatz verloren gehen. Allerdings sind langfristige Prognosen mit Vorsicht zu genießen: Kein seriöser Zukuftsforscher blickt mehr als 15 Jahre voraus und: Der Siegeszug des PC führte keineswegs zum prophezeiten papierlosen Büro, ebensowenig, wie E-Reader das Buch aussterben ließen.
Worauf wir uns aber einstellen müssen, ist der Wandel der Arbeitswelt. Der braucht neue gesellschaftliche Rahmenbedingungen, so die Entkopplung von sozialer Sicherheit und Arbeit. Perspektiven für ein sinnerfülltes Leben außerhalb der klassischen Arbeitswelt sind gefragt. Den Wandel bewältigt leichter, wer sein Berufleben mehr selbst steuert und seinen Konsum überdenkt. Sicherheit bietet nicht mehr der Arbeitsvertrag, sondern die eigene Flexibilität, sich immer wieder neu zu orientieren.
Ein weites Feld, meint Ihr
Thomas Beier
Hintergründe zu den Entwicklungen bei Bombardier erfahren Sie im Görlitzer Anzeiger!
26.02.2016: Fokus: Bombardier baut Stellen ab
02.04.2009: Tillich in Görlitz: Bombardier wichtig für Ostsachsen



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- Quelle: red | Kommentar: Thomas Feier | Foto Zug: hpgruesen / Erich Westendarp, Foto Schachspiel: stevepb / Steve Buissinne, beide pixabay und Lizenz CC0 Public Domain
- Erstellt am 11.02.2017 - 09:54Uhr | Zuletzt geändert am 11.02.2017 - 12:29Uhr
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