Tagebau frisst Gleise

Bad Muskau / Mužakow | Mühlrose / Miłoraz, 20. Juni 2013. Und dann nie wieder: Ein letztes Mal fahren Sonderzüge der Muskauer Waldeisenbahn (WEM) am 22. und 23. Juni 2013 von Bad Muskau nach Mühlrose. Hintergrund ist, dass ein Teil der denkmalgeschützten Waldbahnlinie zum Tonschacht Mühlrose vom umstrittenen Vattenfall-Tagebau Nochten in Anspruch genommen wird. Die als "Tonbahn“ bezeichnete Strecke soll zum Aussichtsturm "Am Schweren Berg“ verlegt werden, plant eine Arbeitsgruppe aus Waldbahnern, kommunalen Vertretern und dem schwedischen Vattenfall-Konzern.

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Sonderzüge der Waldeisenbahn auf der "Tonbahn"

Während diese Sonderzüge zum Tonschacht Mühlrose normalerweise an Bahnhof Teichstraße in Weißwasser abfahren, starten die Fahrten am 22. und 23. Juni in Bad Muskau. Geboten wird damit ausgehend vom Muskauer Park eine abwechslungsreiche Tour vorbei an den Grubenseen des Muskauer Faltenbogens bis hin zum ehemaligen Gebiet des Tiergartens bei Weißwasser. Diese Fahrt auf der rund 18 km langen Strecke wird zum letzten Mal für die Öffentlichkeit angeboten.

Wer diese letzte originale Waldbahnlinie noch einmal in ihrem ursprünglichen Verlauf erleben möchte, muss am 22. oder 23. Juni jeweils um 10.00 oder 14.30 Uhr am Bahnhof Bad Muskau dabei sein, wenn der Nostalgiezug mit historischer Dampflok zu den allerletzten Fahrten auf der Tonbahn das Abfahrtssignal erhält. Am Endpunkt der Strecke wird ein rustikales Picknick angeboten.

Die Fahrkarten bitte!
Fahrkarten für die Sonderzüge werden im Vorverkauf angeboten:
In der Geschäftsstelle der Waldeisenbahn,
02943 Weißwasser, Jahnstraße 5, Tel. 03576 - 20 74 72,
In der Tourismusinformation Weißwasser, Schmiedestraße 3, Tel. 03576 - 40 44 13.
An allen öffentlichen Fahrtagen am Bahnhof der Waldeisenbahn in der Teichstraße.

Der Fahrpreis beträgt für Erwachsene 18 Euro, Ermäßigte zahlen 10 Euro.

Kommentar

Eine historische, aber unbedeutende Bahnlinie wird verlegt - nicht so schlimm?

Es ist bitter-böse, wie im Norden des Landkreises Görlitz sorbischer Kultur- und Sprachraum buchstäblich verheizt werden soll. Der sorbische Schriftsteller Benedikt Dyrlich hatte schon in Jahr 1990 im inzwischen abgebaggerten Horno / Rogow gewarnt: "Mit der Auflösung unserer Dörfer und deren Infrastrukturen droht der ganzen Lausitz, dass sie ihre bikulturelle Substanz und Schönheit - einmalig im östlichen Deutschland - in wenigen Jahrzehnten verloren haben wird, wenn nicht endlich begonnen wird, den Raubbau von Kohle zu stoppen. Ohne eine radikale Abkehr und Umkehr in der Energiepolitik werden wir alle - Sorben und Deutsche - einen kulturell hochwertigen Kleinraum einbüßen."

Pikanterweise basiert jetzt die vorgesehene Vernichtung sorbischen Dörfer Rohne / Rowno, Mulkwitz / Mułkecy, Schleife / Slěpo Süd, Mühlrose / Miłoraz, Trebendorf / Trjebin (Klein-Trebendorf und Trebendorf-Hinterberg), die mit der Umsiedlung von nahezu 1.600 Menschen verbunden ist, auf der von den Nazis ins Bergrecht eingeführten Grundabtretung.

Legitimiert werden soll das durch Befragungsergebnisse, die eine - so für Rohne - Zustimmung der Bevölkerung zur Umsiedlung suggerieren. Dr. Bernadette Jonda von der Universität Halle, die im Jahr 2010 eine solche Befragung durchgeführt hat, stellt klar: "Zugleich jedoch erreichten mich Informationen, die ich nicht anders interpretieren kann, als dass man die Ergebnisse der Befragung, die ich in Rohne 2010 durchgeführt habe, regelrecht missbraucht, um zu argumentieren, dass die Menschen in Rohne für die Abbaggerung ihres Ortes stehen würden. Ich erlaube mir, diesen kurzen Brief an Sie zu nutzen, um ausdrücklich zu betonen, dass es NICHT zulässig ist, die Ergebnisse der durch mich realisierten Befragung dahingehend zu interpretieren, dass die Bewohner von Rohne eine Umsiedlung befürworten würden. Diese Frage war zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der Untersuchung von 2010!!! Vielmehr bin ich damals informiert worden, es sei allgemein bekannt, dass die Menschen in Rohne in der Mehrheit GEGEN die Abbaggerung seien. Die Befragung von 2010 diente lediglich der Untersuchung der Frage, was die Menschen tun würden, wenn es zur Abbaggerung kommen SOLLTE. Dazu haben 347 Personen von 445 Befragungsberechtigten (die Beteiligung lag also bei 78%) zumindest teilweise Stellung bezogen. Und wenn in meinem Forschungsbericht zu lesen ist, dass die „meisten Bewohner von Rohne (73,4 % der befragten Bürger) (...) eine geschlossene Umsiedlung des Ortes zu einem neuen Standort begrüßen“ würden (S. 15), bedeutet dies NICHT, dass diese Menschen damit der Vernichtung ihres Ortes zugestimmt haben." (Quelle: http://www.strukturwandel-jetzt.de/images/nochten-heute/nochten-heute-02-2013.pdf - Seite 2)

Manch Neider wirft ein, dass die Umgesiedelten doch schöne neue Häuser bekommen. Ein böses Argument, doppelt böse für die vielen Alten, für die der Verlust des oft über Generationen angestammten Eigentums und Lebensumfeldes eine Entwurzelung bedeutet, die so mancher vermutlich nicht verkraftet.

Ob der Abbau der Lausitzer Braunkohle in Nochten II überhaupt wirtschaftlich sinnvoll oder notwendig ist, dazu gibt es unterschiedliche Gutachten. So kommt Prof. Dr. Georg Erdmann von der Prognoseforum GmbH in Albstadt im Jahr 2013 zu dem Schluss "...käme es einem Schildbürgerstreich nahe, die hoch modernen und vergleichsweise effizienten Braunkohle-Bestandskraftwerke in der Lausitz perspektivisch von der erforderlichen Brennstoffversorgung abzuschneiden." (Quelle: http://www.strukturwandel-jetzt.de/images/studien/Erdmann-Gutachten-Nochten-04-2013.pdf )

Anders Christian von Hirschhausen und Pao-Yu Oei vom renommierten Deutschen Insitut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, die ebenfalls 2013 "keine energiewirtschaftliche Notwendigkeit der Fortschreibung des Braunkohlenplans auf die im Feld Nochten II befindlichen Braunkohlevorräte" erkennen. Sie schreiben: "Auch aus dem jüngst verabschiedeten „Energie- und Klimaprogramm Sachsen 2012“ sind keine anderen gesamtwirtschaftlichen Gründe für eine Fortführung des Braunkohleverfahrens abzuleiten. Der heimische Energieträger Braunkohle ist nicht subventionsfrei; hierzu kommen die negativen umweltpolitischen Aspekte der Braunkohlenutzung (sogenannte „negative externe Effekte“) wie die Emission von CO2, Stickstoffoxiden, Quecksilber, Schwefeloxide, Staub und Lärm, die Verockerung der umliegenden Gewässer sowie die extensive Nutzung von Flächen. Angesichts der tatsächlichen privaten Kosten und der hohen negativen externen Kosten sind der Braunkohleabbau und die -verstromung nicht wirtschaftlich darstellbar. Auch die Versorgungssicherheit mit Rohstoffen und Stromnetz hängt längerfristig nicht von der Braunkohlewirtschaft ab." (Quelle: http://www.strukturwandel-jetzt.de/images/studien/DIW-Gutachten-Nochten-04-2013.pdf )

Wozu brauchen wir den Kohleabbau? Energiepolitisch im Interesse der Versorgungssicherheit demnach also nicht. Bleibt die Frage, ob die mit den Tagebauen verbundene großflächige Umwelt- und Kulturvernichtung dadurch zu rechtfertigen ist, dass relativ wenige Beschäftigte vor Ort auf dieser Grundlage ihr Arbeitseinkommen sichern. Nein, denn der Landkreis Görlitz ist schon jetzt - trotz seiner Energiewirtschaft - das Armenhaus Deutschlands.
Welche Gründe dann? Dass ein schwedischer Energiekonzern Gewinn machen kann und seine Subunternehmer Arbeit haben?

Die Zeiten sind nicht nur in Veränderung, sie haben sich bereits geändert,

meint Ihr Fritz R. Stänker


Mehr:
http://www.strukturwandel-jetzt.de
http://www.archiv-verschwundene-orte.de

Frankfurter Rundschau vom 4. April 2013:
Braunkohle-Kraftwerk Jänschwalde gefährdet Leben

Kommentare Lesermeinungen (2)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Lösungswege

Von Jens Jäschke am 22.06.2013 - 10:26Uhr
Werter Görlitz,

rummeckern bringt vielleicht manchmal etwas Unfrieden unter der Bevölkerung und hin und wieder auch mal seinen Namen in den Vordergrund, nur leider hilft es jn der Situation überhaupt nichts.

Vielleicht wäre es sinnvoll, eine Initiativgruppe gegen Atommüll in unseren Breitengraden zu gründen. Abgeordnete im Bundestag haben wir doch reichlich und demnächst vielleicht noch einen mehr, also bitte, Herr/Frau Bundestagsabgeordnete. Setzt Euch für Eure Region ein und nochmals gegen Atomkraftwerke , vor allem in unserem Umfeld.

Fortschritt made in Sachsen

Von görzelec am 21.06.2013 - 12:38Uhr
Tja, das ist alles leider nur zu wahr. Aber Sachsen gefällt sich nun mal als Land der Ingenieure, worunter nach dem Verständnis der hier seit zwanzig Jahren tätigen Politik Landschaftsverbrauch, rauchende Schornsteine und möglichst viel Asphalt in der Gegend gehört. Und Nutztier-Fabriken zwischen den Dörfern nicht zu vergessen. 20. Jahrhundert eben.

Übrigens sucht die BRD ja gerade ein neues Atom-Endlager. Wetten, der Oberlausitzer Granit schafft es in die letzte Casting-Runde? Hach, das wird fein. Im Norden gräbt Vattenfall oder wer auch immer noch auf Jahrzehnte das eine oder andere Dörfchen weg. Und im Süden strahlen die Hinterlassenschaften von 60 Jahren BRD-Atomwirtschaft. "Oberlausitz, geliebtes Heimatland ..."

Und dazwischen torkelt ein glückseliger Sächsischer MP von einer Bauband-Durchschneidung zur nächsten. Sage niemand, sächsische Infrastrukturpolitik höre westlich der Elbe auf! Vorwärts immer, rückwärts nimmer!

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  • Quelle: red | Kommentar: Fritz Rudolph Stänker | Foto: BeierMedia.de
  • Erstellt am 20.06.2013 - 04:28Uhr | Zuletzt geändert am 19.02.2014 - 18:12Uhr
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