Skifahren im Land der Erzgebirgsdichter

Skifahren im Land der ErzgebirgsdichterGörlitz, 9. November 2021. In Sachsen, ganz besonders im Flachland, wird gern behauptet, in den Bergen – etwa im Erzgebirge, im Vogtland und nicht zuletzt im Zittauer Gebirge – könnten die Kinder eher Skifahren als Laufen. Stimmt das? Der Herausgeber des Görlitzer Anzeigers erinnert sich.

Abb.: Der Eisenbahntunnel unter Schloss Schwarzenberg wurde 1883 eröffnet und bis 1951 befahren. Später diente er als Gemüselager. In den 1980er Jahren wurde er mit Beton ausgespritzt, weil anschließend hier die mobile Reserve an Fernmeldetechnik der Reichsbahndirektion Dresden eingelagert wurde. Seit 1994 wird er kulturell genutzt, für Konzerte und Modelleisenbahnausstellungen.
Archivbild: © Foto: © BeierMedia.de
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Arthur Schramm, Lorenzwiese und Brückenberg

Arthur Schramm, Lorenzwiese und Brückenberg
Der Brückenberg, unten der im Text beschriebene Zaun, Endstation so manches Skiläufers
Archivbild: © BeierMedia.de

Von Thomas Beier. Aufgewachsen bin ich im Erzgebirge, genauer gesagt im Westerzgebirge. Die Region dort weist häufig Höhenlagen zwischen 400 und reichlich 800 Metern auf, der Auersberg bringt es auf immerhin 1.018 Meter und der Fichtelberg als höchster Berg Ostdeutschlands sogar auf mehr als 1.214 Meter über Normalhöhennull. Insgesamt war die Landschaft meiner Kindheit schneesicher, heute gilt das eher für die Lagen über 800 Meter.

Skifahrer trifft man heutzutage vor allem am Fichtelberg. Gegenüber vom Fichtelberg liegt auf böhmischer Seite der Keilberg, von den Tschechen Klínovec genannt, und der ist sogar – als höchster Berg des Erzgebirges – nahezu 1.244 Meter hoch, übertrifft den Fichtelberg also um knapp 30 Meter. Da kann man nichts machen, außer den in Insiderkreisen berühmten Erzgebirgsdichter Arthur Schramm aus Annaberg, der von 1895 bis 1994 lebte und sich selbst als Kaufmann, Poet und Erfinder bezeichnete, zu zitieren:

Der Fichtelberg ist hoch und steil!
Ski heil!
Der Keilberg ist höher und steiler!
Ski heiler!


Dieses und andere Gedichte des Erzgebirgspoeten – wie etwa: "Im Wald, da liegt ein Ofenrohr. Stellt euch mal die Hitze vor!" – sind heute Kult und ich bin froh, dem Mann, der "das klaane Getu" (erzgebirgisch ungefähr für "der kleine Wichtigtuer") genannt wurde, noch begegnet zu sein. Der Schramm, Arthur, hat sich als "kleiner Mann" immer irgendwie durchgeschlängelt. Nach der Erfahrung des Ersten Weltkriegs friedensbeseelt, wurde er als nebenberuflicher Dichter trotz Eintritts in die NSDAP von den Nazis aus der Reichsschrifttumskammer, nun ja, hinausgebeten, was ihn nicht davon abhielt, einen SA-Marsch und Mussolini-Lobgedicht zu verfassen.

Schnell den Mantel gedreht...

Schon zwei Monate nach dem zweiten großen Krieg, den erleben durfte, hatte Schramm die Zeichen der neuen Zeit erkannt und dichtete über Frieden und Einheit. Sein Friedensaufruf wurde vom "DDR"-Kulturministerium angekauft. Wie Arthur Schramm tickte, zeigt die Tatsache, dass er stets eine Streichholzschachtel mit toten Fliegen mitführte. Die gab er bei Gaststättenbesuchen in sein Essen, um nicht bezahlen zu müssen. Manche Wirte erteilten ihm Hausverbot, aber seine Sympathisanten machten gute Miene zum bösen Spiel und bewirteten den Mann, der längst weithin bekannt war, dennoch.

Der Poet hatte es ja auch faustdick hinter den Ohren, wie weitere bekannte Gedichte, besser gesagt Sprüche, aus seiner Feder zeigen:

Am Bahndamm stand ein Sauerampfer.
Er sah nur Züge, niemals Dampfer.

Sommer, Sonne, Wellenpracht,
Badehose, Sowjetmacht.

Schaut nur, wie die Sonne lacht
– das hat die SED gemacht!


Ob er nun die Politik "der Partei" verballhornen wollte oder das als ehrliche Anerkennung gemeint war? So etwas kann man im Erzgebirge, wo alles irgendwie in Verbindung steht und sogar bis nach Görlitz reicht, nur schwer auseinanderhalten.

Abfahrtslauf ohne Bremse

Und so ist es auch mit dem Skifahren. Sportlich gesehen… nun ja, meine Motorik war nicht sonderlich. Dass das ein Vorteil sein kann, zeigte sich beim Abfahrtslauf auf der "großen Lorenzwiese" – spätestens jetzt wissen die Schwarzenberger, wo sich die Ereignisse abspielten. Während jedenfalls alle elegant abwedelten und so zu Tal fuhren, waren mir derlei Bewegungsabläufe nicht vergönnt: Schnurstracks gings in Schussfahrt den Hang hinab – Bestzeit! Allerdings klappte auch das Bremsen nicht, die Landung auf dem Hintern brachte eine Eigendynamik hervor, die das Geschehen zum Glück in einer Pulverschneewolke untergehen ließ.

Ähnliches auf dem Brückenberg: Meine Ski aus der Zeit vor 1930, noch mit Spitzen zum Spannen, waren mit Kerzenwachs und Bügeleisen gewachst und liefen wie geheizte Schlittenkufen von "DDR"-Olympioniken 1968 in Grenoble. Nachteil der Bretter war, dass ihre Kanten eher sanfte Rundungen waren und man damit quer genau so gut wie geradeaus vom Fleck kam. Das hätte meinen Abfahrtsläufen durchaus einen balletthaften Stil geben können, aber mein Stil war ja von "Geradeaus!" und "Direkt ins Ziel!" gekennzeichnet. Klar gab es damals auch im Osten längst moderne Ski mit Plastiksohle und Stahlkanten, aber ich hatte meinen Stolz auf die alten Bretter.

Abfahrtslauf mit Notbremse

Nun muss man eine Besonderheit des Brückenbergs erläutern. Als in Johanngeorgenstadt der Uranerzbergbau der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut prosperierte, wurde ein Schwarzenberg die eingleisige Bahnlinie, die unter dem Schloss durch den Berg hindurchführte – der Tunnel (Foto ganz oben) wird noch heute für Kulturveranstaltungen genutzt – durch eine neue zweigleisige Trasse ersetzt. Dazu wurde am Fuße des Brückenbergs ein tiefer Einschnitt in den Fels gesprengt. An dessen Rand entstand ein schmaler Streifen von Gärten und natürlich gab es Zäune, zum Schutz der Gärten und damit niemand hinab auf die Gleise stürzte.

Das Problem lässt sich ahnen, denn am Fuße des wirklich steilen Abfahrtshangs stand nun ein Zaun – und zwar quer zur Bewegungsrichtung des hochbeschleunigten Abfahrtsläufers. Wirklich sportliche Typen mit modernen Schneeschuhen bremsten abenteuerlich davor ab, aber ich? Die Knochen habe ich mir nicht gebrochen, aber einige Zaunlatten mussten dran glauben, zum Glück, denn so konnten sie die Energie des Aufpralls aufnehmen. Als ich dann auf dem Weg nach Hause noch von der Straße – natürlich auf Schiern – ins Schwarzwassertal abrutsche und ein paar Meter Steilhang über mir ließ, beendete ich klammheimlich meine Skifahrerkarriere.

Heute ist alles perfekt, aber ohne mich

Heute ist diese Absturzstelle mit einem Geländer gesichert und überhaupt: Wenn ich etwa am Fichtelberg die Flachland-Tiroler mit ihrer perfekten Skiausrüstungen, mit Skistiefeln, Helmen und Thermokleidung sehe, kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Wie ursprünglich ging es doch in meiner Kindheit noch zu! Heute wird aus allem eine Wissenschaft gemacht, selbst aus Skiwachs. Das heißt heute Glidewax, kommt flüssig und fest daher, sogar fluorfrei. "Aber wir wollten doch Skilaufen und nicht Wachswissenschaften studieren!" – Irrtum, alter Mann.

Basiswachs, Rennwachs, Trainingswachs, Cleaner, das sind die Themen der heutigen Skifahrergeneration. Das richtige Skiwachs auswählen, das ist Herausforderung und Selbstoffenbarung zugleich. Wer sich auf diesem Gebiet auskennt, erntet Bewunderung, noch eher der erste Meter am Hang absolviert ist.

Ach, wie gemütlich ist’s doch auf der Ofenbank... dort wird die Zeit nicht lang, wusste schon ein anderer Erzgebirgsdichter, der Günther, Anton, aus Gottesgab (Boží Dar), der von 1876 bis 1937 lebte.

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  • Quelle: Thomas Beier | Fotos: © BeierMedia.de
  • Erstellt am 09.11.2021 - 17:19Uhr | Zuletzt geändert am 09.11.2021 - 23:26Uhr
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