Grundsteinlegung in Görlitz: Was hat Emil von Schenckendorff bewirkt?

Görlitz, 5. Dezember 2017. Morgen soll der Grundstein für die neue Zweifeld-Sporthalle am Rande der Görlitzer Altstadt gelegt werden. Einem Stadtratsbeschluss vom 26. Oktober 2017 zufolge soll das unterhalb der Jägerkaserne auf Hugo-Keller-Straße 15/16 gelegene Bauwerk den Namen "Emil-von-Schenckendorff-Halle" erhalten. Wer war das?
Abbildung: Emil von Schenkendorff, Quelle: Wikimedia Commons

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Ehrung für Pädagogen aus der Kaiserzeit

Von Thomas Beier. Haben da etwa die im Zuge eines gemeinsamen Projekts in Görlitz, Breslau und Liegnitz im Jahr 2014 gezeigten Adelsausstellungen eine späte Frucht getragen? Auf jeden Fall bekommt die neue, moderne Görlitzer Sporthalle einen alten, im Grunde vergessenen Namen.

Der 1837 in Soldin (heute Myślibórz) geborene Emil Gustav Theodor von Schenckendorff war Offizier, Telegraphendirektionsrat und nationalliberaler Politiker. Er starb 1915 in Berlin und ist in Görlitz, wo er viele Jahre wirkte, beerdigt. In der "DDR" wurde die Grabanlage zerstört, später dann von der Stadt Görlitz eine Plakette angebracht. Fakten aus der Biografie des Ehrendoktors sind auf der Webseite goerlitz.de zusammengefasst. Aus seinem pädagogischen Wirken lebt heute noch der Werkunterricht fort. Bereits 1887 veröffentlichte er "Die pädagogische und soziale Bedeutung erziehlicher Knaben-Handarbeit", 1910 "Über nationale Erziehung durch Leibesübungen".

Die Schenckendorff-Familie versteht sich als Niederlausitzer Uradel und verweist auf ihrer Webseite darauf, dass sie im Ersten und im Zweiten Weltkrieg mit mehreren hochrangigen Offizieren vertreten war, allein zwei Generale im Zweiten Weltkrieg. Einer davon war Max von Schenckendorff, ein "Partisanenjäger", dem neben Terrormethoden auch "die Anordnung von Säuberungsaktionen" vorgeworfen wird.

Dafür ist der in Görlitz nun zu neuen Ehren kommende Emil von Schenckendorff freilich nicht verantwortlich zu machen. Dennoch setzt die Benennung der Görlitzer Sporthalle nach einem national geprägten Politiker aus einer längst untergegangenen Zeit ein falsches Zeichen in Zeiten des aufflammenden Nationalismus in Europa. Außerdem gleichen Emil von Schenckendorffs Grundgedanken von "praktischer Intelligenz" und "allseitiger Arbeitstüchtigkeit" den von den Nazis in ihrer Ideologie vertretenen Bildern vom schaffenden, nützlichen Volksgenossen ebenso wie deren Ablehnung alles Intellektuellen: Statt zu Hinterfragen und Zusammenhänge zu erfassen wurde die praktische Intelligenz im Sinne der Handlungsfähigkeit in den Mittelpunkt gestellt.

In dieses Bild der Wegbereitung für den Nationalsozialismus passt auch das Zitat des Görlitzer Gymnasialdirektors Dr. Eitner in Bezug auf den Zweck körperlicher Betätigung, das auf goerlitz.de veröffentlicht ist: "Denn es wird wohl niemand in Abrede stellen, dass diese wichtige Angelegenheit auch eine hervorragend politische Seite besitzt, insofern es sich darum handelt, unsere Jugend geistig und körperlich geschickt zu machen, damit sie imstande ist, die großen nationalen Aufgaben, deren Lösung ihr als eine historische Notwendigkeit dereinst zufallen wird, auch im Sinne und Geist der Zeit zu lösen." Ergebnis war wohl Hitlers "Flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl."

Seit Emil von Schenckendorff ist der Sport militarisiert worden. Wer in der "DDR" zur Schule ging, erinnert sich: Antreten zum Sportunterricht mit "Richt' Euch!", "Die Augen links!" und zackiger Meldung an den Sportlehrer, "Handgranaten-Weitwurf" für Kinder. Noch heute dominiert in vielen Sportvereinen das militäraffine Denken in "Siegern", "Besiegten" und daraus resultierend "Revanche", das Belohnen mit Medaillen und das Bestrafen durch körperliche Belastung in Strafrunden und mit Liegestützen – Übungen, die doch eigentlich zum Spaß am Sport gehören sollten.
In der Görlitzer Bahnhofsunterführung war nach 1990 viele Jahre lang in einem Schaukasten eines Sportvereins "Nur in einem gesunden Körper wohnt auch ein gesunder Geist" zu lesen. Mit diesem Spruch hatten die Nazis das Bild des körperlich (kriegs)ertüchtigten Herrenmenschen gestützt und ebenso der Euthanasie den Weg bereitet. In der "DDR" war es dann die "sozialistischen Wehrerziehung", die den Sport nutzte, um die Militarisierung der Gesellschaft zu fördern (siehe die Gesellschaft für Sport und Technik, die sich um die vormilitärische Ausbildung kümmerte). Das Original des Zitats stammt übrigens vom römischen Dichter Juvenal und lautet mit ganz anderem Sinn "Beten sollte man darum, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper sei" – wem das jetzt nicht zu intellektuell ist.

Görlitz hat übrigens bereits eine Jahn-Sporthalle, benannt nach dem "Turnvater", Nationalisten und Bücherverbrenner (Wartburgfest 1817) Friedrich Ludwig Jahn. Für den Hilfslehrer war Sport "Doping fürs Deutschtum" (SPIEGEL ONLINE), auch seine Gedanken – hier der Traum von Großdeutschland – kamen den Nazis zupass.

Die Bedenken gegen die Benennung der neuen Görlitzer Sporthalle nach Emil von Schenckendorff, die von der Linkspartei und der FDP im Görlitzer Stadtrat vorgebracht wurden, wischten CDU und Bürger für Görlitz vom Tisch: Sie stellen von Schenckendorff mit "dem großen deutschen Turnvater Jahn" auf eine Stufe.

Mann kann auch Verdienste anerkennen, indem man zugleich auf Widersprüche hinweist, ohne die Gesamtpersönlichkeit zu ehren.

Kulturbeitrag:
Wir sind Helden - Denkmal

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  • Quelle: Thomas Beier | Foto: via Wikimedia Commons, bearbeitet
  • Erstellt am 05.12.2017 - 08:55Uhr | Zuletzt geändert am 21.08.2019 - 02:00Uhr
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