Gesetz für Aussteiger und solche, die es werden müssen

Gesetz für Aussteiger und solche, die es werden müssenDresden, 4. Juli 2020. Bundestag und Bundesrat haben gestern den Gesetzen zum Kohleausstieg und zur Strukturstärkung der vom Kohleausstieg maßgeblich betroffenen Braunkohlereviere und Kraftwerksstandorte zugestimmt. Was mancher als Zerstörung einer ganzen Industrie ohne Not bezeichnet, ist für andere längst überfällig und kann gar nicht schnell genug umgesetzt werden.

Zeugnis des Strukturbruchs: Ehemalige Textilfabrik in Großschönau
Foto: © BeierMedia.de
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Allerorten entwickelt sich was in der Lausitz

Allerorten entwickelt sich was in der Lausitz
Die Brikettfabrik in Knappenrode ist heute als "Energiefabrik" Museum
Foto: © Görlitzer Anzeiger

Von Thomas Beier. Man braucht gar nicht den Klimawandel und die Kohlendioxidvermeidung zu bemühen, um den Kohleausstieg zu rechtfertigen: Allen der sonstige Schadstoffausstoß auch moderner Kraftwerke wie auch die nachhaltige Landschaftszerstörung, für die die Rekultivierung nur ein Trostpflaster ist, sind Argumente genug, um sich von einer veralteten Technologie zu verabschieden.

Natürlich gibt es viele Gegenstimmen, die vom Lobbyverein Pro Lausitzer Kohle e.V. weiter angestachelt werden. Da muss man schon Konzerninteressen und die Verunsicherung der Bürger deutlich auseinanderhalten. Verunsicherung tritt regelmäßig ein, wenn grundlegende Veränderungen oder Neuerungen anstehen, man also nicht weiß, was kommt und wie es weitergeht, weshalb man sich halt gern dagegen wehrt – siehe die vielen Bauvorhaben, bei denen Bürgerinitiativen erst einmal ein "Dagegen!" einbetonieren. Insofern muss man akzeptieren, dass nicht jedem der Kohleausstieg angenehm ist.

Die andere Seite: Zukunftsperspektiven ergeben sich immer aus Umbrüchen, wer den Wandel nicht zulässt, setzt sich über kurz oder lang selbst ins Aus, weil die Entwicklung ja trotzdem weitergeht.

Für die beiden Lausitzen ist es beruhigend, wenn von Strukturstärkung und nicht nur von Strukturwandel gesprochen wird. Zwar meint der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) "Der Strukturwandel ist längst im Gange. Er begann bei uns 1990", meint aber eher die Deindustrialisierung vor allem durch die Stillegung von Tagebauen und Kraftwerken. Wo keine Strukturen sind, kann man keine wandeln. Die also nötige Strukturentwicklung darf sich jedoch nicht auf Verkehrsinfrastrukturen beschränken. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) begrüßt die neuen Gesetze: "Jetzt endlich haben wir die Rechtsgrundlage, um mit der Strukturentwicklung richtig loslegen zu können. Für die Menschen bei uns in der Lausitz und im Mitteldeutschen Revier ist das ein wichtiges Signal. Denn wir haben nun die große und einmalige Chance auf eine neue Gründerzeit."

In Sachsen konzentriert sich der Tatendrang auf eine ganze Reihe von Projekten, darunter wichtig:

    • Ansiedlung je eines Helmholtz-Zentrums in der sächsischen Lausitz und im Mitteldeutschen Revier
    • Ansiedlung des Centers for Advanced System Understanding (CASUS) als deutsch-polnisches Forschungsprojekt in Görlitz
    • Ansiedlung des DLR-Instituts für CO2-arme Industrieprozesse in Zittau (in Brandenburg in Cottbus)
    • Ansiedlung der Agentur für Innovation in der Cybersicherheit (derzeit in Halle (Saale), ab 2022 am Flughafen Leipzig/Halle)
    • Ansiedlung der Agentur für Sprunginnovation in Leipzig
    • Ansiedlung einer Außenstelle des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in Weißwasser
    • Ausbau der Schienenverbindung zwischen Dresden, Görlitz und der Grenze zu Polen
    • Ausbau der Bundesautobahn A4 zwischen Dresden, Görlitz und der Grenze zu Polen
    • planungsbeschleunigte Realisierung bedeutsamer Verkehrsinfrastrukturprojekte wie beispielsweise der Ausbau der Schienenverbindung Berlin - Cottbus - Weißwasser - Görlitz in der Lausitz, die eine bessere Anbindung an die Wirtschaftsregion Breslau (Wrocław) erlaubt, der Schienenverbindung Leipzig - Bad Lausick - Geithain - Chemnitz im Mitteldeutschen Revier und der Bundesfernstraßenverbindung Mitteldeutschland - Lausitz (MiLau)

Wo Otto und Erika Normalkohlearbeiter da ihren neuen Arbeitsplatz finden sollen, kann schon verunsichern. Neben Investitionen in Wissenschaft und Infrastruktur kann Brandenburg mit dem erheblichen Ausbau des Deutsche Bahn-Standorts Cottbus punkten, wo rund 1.200 zusätzliche Industriearbeitsplätze entstehen sollen. Sachsen-Anhalt setzt neben Verkehrsinfrastruktur und Digitalisierung auf dem gemeinem Volke eher absonderlich erscheinende Begriffe wie etwa einen "BioEconomy Hub" als Zentrum für eine nachhaltige Chemie in Mitteldeutschland und den Aufbau eines "integrierten Innovations- und Translationscampuses" für Digitalisierung in Medizin und Pflege im südlichen Sachsen-Anhalt. Genitiv von Campus: des Campus – aber Hauptsache, es entwickelt sich, das Campuswesen.

In Brandenburg entwickelt sich noch etwas: Hier wollen die Wirtschaftsregion Lausitz GmbH (WRL) und die Innovationsregion Lausitz GmbH (iRL) – in deren Beirat der Pro Lausitzer Braunkohle e.V. sitzt – kooperieren. Aus Anlass der Bestätigung der WRL-Gesellschafter am 26. Juni 2020 (die iRL hatte bereits am 18. Mai 2020 abgenickt) haben sich verschiedene Leute geäußert, Zitate siehe unten.

Da passt die Anfrage an den Sender Jerewan: Stimmt es, dass die Lausitz mit Volldampf in die Nach-Kohle-Zeit dampft? Antwort: Im Prinzip ja, aber 80 Prozent des Dampfes werden zum Tuten und Blasen verwendet. So sieht sich die Innovationsregion Lausitz als "Kooperationsplattform in der Region": Klickt man auf der Website erwartungsfroh den Punkt "Projekte" an, so muss man ernüchtert erkennen, dass man "Wachstumsprojekte" selber mitbringen muss. Es riecht irgendwie nach BWL-Grundkurs: Wir wissen was geht, nur nicht wie und man fühlt sich an Anfragen wie "Wir haben Fördermittel. Kommen Sie doch mal vorbei und schildern sie uns ihre Ideen. Wir setzen das dann für Sie um!" erinnert – unternehmerisches Denken sieht anders aus. Demgegenüber findet man bei der Wirtschaftsregion Lausitz unter Projektarbeit immerhin eine Vielzahl von Punkten wie etwa den Lausitzer Energie-Radweg, aber beispielsweise auch eine Studie zu Ansiedlungsbedingungen in Industrieparks der Energieregion Lausitz.

Die nächsten Monate werden spanned: Wie werden die 40 Milliarden Euro des Bundes eingesetzt? Sicher ist: 26 Milliarden sollen mit Hilfe von Programmen und Projekten investiert werden, etwa in die Ansiedlung von wissenschaftlichen Einrichtungen, die Förderung von innovativen Vorhaben der Energiewende und in wichtige Infrastrukturprojekte. Die restlichen 14 Milliarden gehen als Bundesfinanzhilfen an die vier Kohleländer. Geld ist ein wunderbares, weil universelles Ausgangsmaterial für Verpulverisierungsprozesse, etwa durch das erwähnte Tuten und Blasen. Nötig sind schnelle und klare Antragsstrukturen besonders für Unternehmen und deren Begleitung in Innovations- und Wachstumsprozessen, nicht zuletzt, damit all die in Aussicht gestellte schöne neue Infrastruktur auch genutzt werden kann.


Zitate zur Kooperationsvereinbarung WIL – iRL

Prof. Dr. Hans Rüdiger Lange, Geschäftsführer iRL GmbH: "Wir unternehmen heute einen weiteren und wichtigen Schritt zum Schulterschluss zwischen den regionalen Akteuren aus Wirtschaft und Wissenschaft mit denen aus Kreisen und Kommunen. Die in der Kooperationsvereinbarung angelegte Zusammenarbeit zwischen iRL und WRL wird dazu führen, die Maßnahmen der Strukturentwicklung zu optimieren. Hierfür wird der Struk-turwandel im Unternehmenssektor mit den Strukturwandelprozessen auf der Landes- und kommunalen Ebene besser verzahnt. Seit 2016 hat die Innovationsregion Lausitz GmbH durch die Arbeit mit Unternehmen in über 130 Innovationsprojekten, durch das Programm Innovation Interaktiv mit Schülern, durch den Erfahrungsaustauch 'Unternehmergespräche im LausitzLab' sowie den Aufbau der Ko-Innovationsplattform für Unternehmen der Industrieautomatisierung Unternehmen der Region im Strukturwandel unterstützt."

Heiko Jahn, Geschäftsführer WRL GmbH: "Seit 2017 hat die Wirtschaftsregion Lausitz GmbH durch eine Reihe von Studien die Datengrundlage, mit dem RIK Programm eine Serie von Pilotprojekten und über diverse Veranstal-tungen einen breiten Dialog in der Region über den Strukturwandel ermöglicht. Die Kooperationspartner sehen es jetzt als erforderlich an, der Lausitz für die nun anstehenden Aufgaben eine abgestimmte Management-Struktur sowie leistungsfähige Koordinationsprozesse zwischen den regionalen Akteuren zu geben. Dazu unterzeichnen iRL und WRL am 26. Juni 2020 die Kooperationsvereinbarung. Mit diesem Schulterschluss geht die Lausitz gut aufgestellt an die Startblöcke. Sobald das Gesetzgebungsverfahren (Strukturstärkungsgesetz, Kohleausstiegsgesetz) auf Bundesebene abgeschlossen sein wird, kann es mit deren Umsetzung von Maßnahmen losgehen."

Peter Kopf, Präsident der IHK Cottbus, Gesellschafter der iRL GmbH: "Die regionale Wirtschaft hat im Herbst 2015 unmittelbar nach der Entscheidung, die ersten zwei Kraftwerksblöcke in Jänschwalde abzuschalten, die Initiative für einen zukunftsorientierten Strukturwandel ergriffen. Ziel bei der Gründung der Innovationsregion Lausitz GmbH am 18. Januar 2016 war die Stärkung der Innovationsfähigkeit und die Entwicklung neuer Geschäftsfelder bei den betroffenen Betrieben. Inzwischen wurde ein weiterer Schwerpunkt auf die proaktive Unterstützung von Unternehmensansiedlungen gesetzt. Eine bessere Abstimmung und stärkere Einbindung der Wirtschaft über die iRL in den Managementprozess des Strukturwandels sowie die gemeinsame Finanzierung entsprechender Maßnahmen ist ein not-wendiger Schritt zum Erfolg. Der Strukturwandel muss unternehmerischer angegangen werden."

Harald Altekrüger, Landrat des Landkreises Spree-Neiße und Sprecher der WRL GmbH: "Diese Kooperationsvereinbarung ist eine logische Folge aus den Verabredungen der Klausurtagung der WRL. Wir haben die Gespräche aufgenommen und sind heute soweit, diese Fortschritte über einen Vertrag als weitere Grundlage zu setzen. Über diese Vereinbarung ist es uns gelungen die Vernetzung der Akteure und Kompetenzen zu stärken. Wir bündeln verschiedene Seiten unter einem Dach. Das Zusammenspiel aus Wirtschaft, Wis-senschaft, Kommunen, Kreisen und kreisfreie Stadt Cottbus wird wichtige Aufgaben überneh-men. Zu nennen sind die Innovationsarbeit mit Unternehmen der Region, eine neue Ansiedlungsoffensive für das Lausitzer Revier und die Entwicklung von Initiativen zwischen Firmen und Wissenschaft."

Prof. Christiane Hipp, Amtierende Präsidentin der BTU Cottbus-Senftenberg, Gesellschafterin der iRL GmbH: "Die Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) sieht sich in der Verantwortung, die Verbindung zwischen Wissenschaft, Forschung und Transfer in die Region noch weiter zu befördern und dabei eine Art Scharnierfunktion einzunehmen. An der BTU knüpfen die wissenschaftsnahen sowie außeruniversitären Forschungseinrichtungen an. In den letzten drei Jahren ist hier eine große positive Bewegung und Dynamik entstanden. Dar-über freuen wir uns sehr. Wir können nun im Bündnis mit den Akteuren der Region unseren attraktiven Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort gemeinsam vermarkten."

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  • Quelle: red / Thomas Beier | Fotos: © beiermedia.de / © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 04.07.2020 - 07:21Uhr | Zuletzt geändert am 04.07.2020 - 09:14Uhr
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