Wallstraße 13 schlägt Brücken

Görlitz | Breslau (Wrocław), 7. Oktober 2013. Von Thomas E. Beier. “Wallstraße 13” ist der Titel der gestrigen Aufführung der Bente-Kahan-Stiftung aus Breslau (Wrocław) im Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz. Ein Stück der in Breslau lebenden Norwegerin Bente Kahan (Foto von Aleksandra Vosding), das Brücken zwischen den Zeiten und den Menschen schlägt.

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Zwei jüdische Schicksale verknüpft - für unsere Zeit

Die auf realen Ereignissen aufbauende Erzählung führt in die Wallstraße 13, die heutige Paweł-Włodkowica-Straße (ul. Pawła Włodkowica) in Breslau. Geschickt wird das Schicksal einer deutschen Jüdin, die in der Nazizeit vor ihrer Deportation in ein Vernichtungslager hier einziehen musste, verwoben mit dem einer später hier wohnenden polnischen Jüdin, die vor der massiven antijüdischen Stimmung im Polen der sechziger Jahre fliehen musste.

Die Zeitreisen, die von nachgespielten Auftritten jüdischer Künstler der jeweiligen Zeit illustriert werden (unter Bezug auf den in der Nazizeit bestehenden Jüdischen Künstlerbund und das 1945 gegründete Jüdische Theater in Niederschlesien), sind so intensiv, dass sich das Publikum zeitweise von der Theateraufführung in die Show versetzt fühlt.

Ein Höhepunkt des Theaterabends war die Interpretation des Jüdischen Partisanenlieds in Gesang und Tanz durch Anna Błaut und Bente Kahan.

Das Bühnenbild wird von dokumentarischen schwarz-weiß Fotos dominiert, die die gesamte Bühnenrückwand einnehmen. Sparsam eingesetzte Zoomeffekte lassen den Eindruck einer versinkenden Bühne entstehen.

Das Drehbuch ist wohltuend knapp und prägnant und verzichtet auf den - bei vielen anderen Annäherungen an das Thema einer vermeintlichen political correctness geschuldeten - erhobenen Zeigefinger. Nein, auf der Bühne wird ebenso nüchtern dokumentiert, wie die Täter als Rädchen im Getriebe der jeweiligen Machthaber ihrer Arbeit verrichteten: So schließt beispielsweise die Bank das Konto der deportierten Jüdin und überweist das Geld an den Nazistaat; da ist die Frau noch nicht einmal umgebracht.

Jede Gesellschaft ist manipulierbar und es immer der Einzelne, der sich der Manipulation widersetzen muss. Der auch aufstehen muss, wenn Mehrheiten gegen Minderheiten vorgehen, sei wegen der Rasse, der Herkunft, politischer oder religiöser Ansichten oder wegen des sozialen Standes.

Für das teils für diese Vorstellung über mehrere hundert Kilometer angereiste Theaterpublikum war es ein besonders Erlebnis, dass die Autorin des Stücks, die vor allem als Sängerin bekannte Norwegerin Bente Kahan, für die erkrankte Hauptdarstellerin eingesprungen war.

Die Bente-Kahan-Stiftung


Die im Jahr 2006 gegründete Bente-Kahan-Stiftung ist im Haus ul. Pawła Włodkowica 5 zu finden. Gemeinsam mit der Breslauer Zweigstelle des Verbandes Jüdischer Gemeinden ist die Stiftung Träger des Zentrums für Jüdische Kultur und Bildung.

Wichtigste Ziele der Stiftung war die Sanierung der 2010 offiziell wiedereröffneten Synagoge zum Weißen Storch (Pod Białym Bocianem) und die Etablierung eines lebendigen Zentrums für Jüdische Kultur und Bildung. Das Jüdische Informationszentrum befindet sich in der Synagoge, die ebenfalls auf der ul. Pawła Włodkowica (Nummer 7) zu finden ist und als zusätzliches Gebetshaus für die Jüdische Gemeinde in Breslau dient.

Mehr:
Jüdische Gemeinde Breslau nach 1945
Die heutige Jüdische Gemeinde in Breslau / Synagoge zum Weißen Storch
Die Bente-Kahan-Stiftung (Fundacja Bente Kahan)
CDs von Bente Kahan

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  • Quelle: Thomas E. Beier | Foto: Aleksandra Vosding
  • Erstellt am 07.10.2013 - 18:25Uhr | Zuletzt geändert am 09.10.2013 - 18:55Uhr
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