Zeitmaschinen im Uhrenturm: Gerhard Harvan

Zeitmaschinen im Uhrenturm: Gerhard HarvanDüsseldorf | Görlitz, 11. April 2019. Görlitz, ein Platz für große Künstler? Die Frage lässt sich nicht auf einfache Weise beantworten. Sicher denkt jeder sofort an den 1943 im Zuchthaus verstorbenen, von den Nazis wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" verurteilten Schriftsteller und bildenden Künstler Johannes Wüsten. Andere jedoch, für die Görlitz nur Station war, sind weithin vergessen. Zu ihnen zählt der Maler und Objektkünstler Gerhard Harvan, 1941 geboren in Wien, aufgewachsen in Görlitz, 1960 in London, ab 1965 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Sackenheim, Beuys und Faßbender, gestorben 1971 in Düsseldorf. Nun erinnert einen Ausstellung.
Abbildung oben: Gerhard Harvan bei seiner Performance vor der Düsseldorfer Kunstakademie im Jahr 1969

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Männer liebt den Zyklus! Damen nehmt ihn nicht so ernst

Männer liebt den Zyklus! Damen nehmt ihn nicht so ernst
Gerhard und Renate Harvan

Was ist Zeit? Diese Frage ließ den in Görlitz aufgewachsenen Künstler Gerhard Harvan sein Leben lang nicht los. Er starb bereits im Alter von 30 Jahren, geriet nach seinem plötzlichen, frühen Tod 1971 in Vergessenheit. Zu Unrecht, wie die Ausstellungseröffnung "Gerhard Harvan – Bilder und Objekte“ am kommenden Sonntag im Uhrenturm Düsseldorf beweist. Dank der Initiative seiner Witwe Renate Harvan und der Unterstützung des Vorstands des Uhrenturms erlaubt der Uhrenturm eine aufregende Zeitreise durch den faszinierenden Kunst-Kosmos eines Besessenen.

"Gerhard schuf unermüdlich, beschäftigte sich mit der Darstellung von mechanischen Bauteilen, konstruierte Zeitröhren aus durchsichtigem Plexiglas, in denen ein Uhrwerk war", erinnert sich Renate Harvan und betont: "Ich freue mich, dass sein künstlerisches Wirken jetzt wiederentdeckt wird. Mehrere Galerien interessieren sich bereits für seine Arbeiten. Das ist einfach großartig."

Für Aufsehen sorgte Harvan 1969 – noch Student an der Kunstakademie und von Beuys zu unkonventionellen Aktionen ermutigt – mit seinem Kunst-Happening "Männer liebt den Zyklus! Damen nehmt ihn nicht so ernst" vor der Düsseldorfer Kunsthalle. Menstruation als Kunst-Event, das war damals wie heute ein Tabubruch. In der Kunstszene galt er als "Senkrechtstarter", dem man eine große Karriere prognostizierte. Sein Thema war die Zeit, sie wurde als Spannungsbogen zwischen Geburt und Tod schnell zur künstlerischen Obsession. Ähnlich wie Samuel Beckett in "Warten auf Godot" verknüpfte Harvan in seiner Kunst die Grundfrage nach dem Sein mit dem Phänomen des menschlichen Zeitempfindens. In seinem Notizbuch findet sich der Eintrag "Haben Sie schon einmal bewußt gewartet und begriffen, dass Warten der Ursprung des Lebens ist…?"

Prädikat: Unbedingt hingehen!
Montag, 15. April, bis Montag, 2. September 2019, jeden Montag von 18 bis 20 Uhr,
Uhrenturm an der Grafenberger Allee 300 (Nähe Arbeitsagentur), 40237 Düsseldorf

Gezeigt werden sechzehn Radierungen, acht Collagen und drei Bilder, Kurator: Friedrich Huppertz.
Private Führungen mit Renate Harvan sind möglich, Vereinbarung unter harvanx@xrenate-harvan.de (Spamschutz: bitte beide x entfernen) oder am Telefon unter 0211 - 31 32 63.


Gerhard Harvan – Stunde um Stunde

Von Dr. Barbara Könches, Geschäftsführerin der ZERO foundation. "„Haben Sie schon einmal bewußt gewartet und begriffen, daß Warten der Ursprung des Lebens ist," schrieb der 1941 in Wien geborene Gerhard Harvan in sein Notizbuch und weiter: "Das Warten wurde geboren bei der ersten Verpflanzung der Menschen. Warten auf die Geburt." Die Zeit als Spannungsbogen zwischen Geburt und Tod, dieses Thema verfolgte der früh verstorbene Künstler obsessiv in seinem vielseitigen, konsequenten künstlerischen Werk.

In Görlitz groß geworden, verließ er 1960 den Osten Deutschlands, um nach einem längeren Aufenthalt in London, in Düsseldorf zu leben. Zunächst jedoch führte ihn seine künstlerische Ausbildung zum Zeichenunterricht und Übungen im Fach des klassischen Aktzeichnens zu Edith Hultzsch. Anschließend studierte er von 1965 bis 1970 an der Kunstakademie Düsseldorf bei den Professoren Joseph Faßbender (1903-1974), Rolf Sackenheim (1921-2006) und schließlich Joseph Beuys (1921-1986). Insbesondere die zwei Ersteren prägten seine Kunst formal, Beuys hingegen ermutigte ihn zu unkonventionellen Aktionen und außergewöhnlichen Assoziationen.

Wie besessen beschäftigte sich Harvan zunächst mit der Darstellung von mechanischen Bauteilen. Die gezackten Zahnräder, die Spindeln und Schrauben, die Bolzen und Federn greifen ineinander, füllen den Bildraum aus, oder aber sie verfehlen sich, scheinen voneinander weg zu driften. Das Getriebe der Zeit füllt Blatt um Blatt. Er kombinierte, collagierte, arrangierte Siebdruck mit Lithographie, Radierung mit Holzdruck. Parallel dazu erschuf er Zeitzonen auf seinen Blättern und fügt die „Zeit-des-Wartens“ in die „Harvan-Zeit“ ein. Ähnlich wie in dem sehr erfolgreichen Theaterstück „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett verband Gerhard Harvan die Grundfrage nach dem Sein mit dem Phänomen des menschlichen Zeitempfindens. Eine zunächst unpolitisch erscheinende Fragestellung, die dies jedoch im Wesen weder bei Beckett noch bei Harvan war.

Der Künstler selber produzierte unermüdlich. Er erweiterte seine Zeitmaschinen, indem er „Zeitröhren“ konstruierte, die aus durchsichtigem Plexiglas gefertigt sind und ein Uhrwerk beinhalten. Wie in einer herkömmlichen Pendeluhr senkt sich ein Gewicht nach unten und zeigt an, dass Zeit vergeht. Allmählich wandte er sich von der linearen Zeit ab und interessierte sich für die zyklische Zeit, welche die Abläufe in der Natur widerspiegelt. Ob es die Jahreszeiten sind, die Mondphasen oder die biologischen Kreisläufe – die zyklische Zeit endet nicht, sondern sie wiederholt sich.

Gerhard Harvan inszenierte am 23. Oktober 1969, um 12:30, eine der vielleicht originellsten Performances in Düsseldorf, indem er in einer "Spontanaktion" die "Sichtbarmachung der Intimen Ästhetik, Zyklus der Frau" darstellte und die "Verschönerung des Zyklus durch Underground-Musik" versprach. Fernab jeder feministischen Rhetorik forderte Harvan "Männer liebt den Zyklus! Damen nehmt ihn nicht so ernst." Bernd Jansen dokumentierte die Performance vor dem damals frisch errichteten Kunsthallengebäude am Grabbeplatz. Wie der Künstler in einigen Metern Entfernung locker zwischen den paarweise angeordneten Karyatiden steht, ihr Spiel von Stand- und Spielbein aufnimmt, sich gerade eine Zigarette anzündet, das ist vielleicht das prägnanteste Bild für seine Kunst im öffentlichen Raum, die ein buntes Publikum zum Zusehen veranlasste.

Immer häufiger arbeitete der Künstler mit Film, der es ihm erlaubte, die komplexe Zeit-Thematik adäquat darzustellen. Für die "Zykluslandschaft Teil 2", Farbe, dreieinhalb Minuten auf 16mm Film, beschrieb er den Inhalt: "Eine Zykluslandschaft in eine gemalte Landschaft hineinprojizieren", allerdings: "Ton muß noch angelegt werden." Der Film blieb tonlos, still. Harvan starb am 13. Mai 1971, um die Mittagszeit, genau 30 Tage nach seinem 30. Geburtstag. Die Tageszeitung "Rheinische Post" berichtete, "Stromschlag tötete Gerhard Harvan". Sein plötzlicher Tod war nicht nur wegen der tragischen Umstände eine Nachricht wert, sondern auch, weil er sich mittlerweile als Künstler einen Namen gemacht hatte.

Bereits als Student war Harvan an verschiedenen wichtigen Ausstellungen beteiligt und seine Werke präsentierte er neben arrivierten Künstler*innen. Heinz Junker nannte ihn einen "Senkrechtstarter" und schrieb in den "Düsseldorfer Nachrichten": "Derweil summt und tickt die Harvansche Zeitmaschine im Atelier und sagt dem Künstler an, was er überraschend nicht zu tun brauchte: >Warten< – warten auf den Erfolg."

In seinem letzten Bild "Zyklus Landschaft" ist das Zahnrad verschwunden. Ein tiefer Horizont eröffnet den Blick über eine öde Steppe oder ein absolut stilles Meer hin zu einem aufsteigenden, rot durchfluteten Lichtstrahl. Sanfte Hügel in Form von weiblichen Konturen setzen sich kaum vom tiefen Blau des Himmels ab. Mit diesem Bild hatte Harvan sich auf seine eigene Weise der Pop-Art angenähert und war gerade dabei, ein neues Kapitel seiner Kunst aufzuschlagen.

Kommentare Lesermeinungen (2)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Ausstellung Gerhard Harvan im Uren-Turm

Von Renate Harvan am 26.04.2019 - 19:46Uhr
Es war ein großer Erfolg, die Eröffnung im Uren-Turm, weit über 100 Besucher waren vor Ort und die Ausstellung ist zu den Öffnungszeiten montags auch gut besucht.

Gerhard Harvan

Von Harvan Renate am 16.04.2019 - 13:25Uhr
Wir hatten in Düsseldorf eine große erfolgreiche Eröffnung mit einem großen Publikum.

Es war ein toller Erfolg für ein Jahr Arbeit.

Liebe Grüße

Renate Harvan

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  • Erstellt am 11.04.2019 - 06:51Uhr | Zuletzt geändert am 12.04.2019 - 07:24Uhr
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